«der arbeitsmarkt» 07/2007

Auf dem Weg in die Arbeitswelt

Seit zwanzig Jahren existiert die Gesellschaft für Arbeit und Wohnen in Basel. Sie setzt sich für die Integration von geistig, psychisch und körperlich Behinderten ein. Ein Schwerpunkt dieser Institution betrifft die Ausbildung, Beratung und Förderung von Jugendlichen, die kaum Chancen auf dem heutigen Arbeitsmarkt haben.

Der am Rheinufer bei der Schwarzwaldbrücke gelegene Hauptsitz der Gesellschaft für Arbeit und Wohnen (gaw) beherbergt neben der Verwaltung und der Lingerie eine grossräumige Küche, in der bis zu fünfzehn Küchenangestellte, darunter sechs Auszubildende, das Essen für das gaw-Personalrestaurant und eine Schulkantine zubereiten. Zuständig für die Auszubildenden ist Heinz Eckardt, der seit über einem Jahr für die Leitung des Coachings innerhalb der gaw verantwortlich ist. Eckardt betont die schwierige Lage für schwach qualifizierte Menschen, die sich in einem heiklen Zwischenbereich befinden: «Menschen mit wenig Qualifikationen haben bei der Stellensuche schlechte Karten, und das Wegfallen der Hilfsjobs aufgrund der Restrukturierung der Wirtschaft verschärft ihre Situation noch: Es gibt für sie nicht mehr genug Arbeitsplätze. Umso wichtiger wird eine Ausbildung nach der Schulzeit und dem Werkjahr, die die Integration in den Arbeitsmarkt erleichtern kann.»

Selbständigkeit und gesellschaftliche Integration

Die Jugendlichen, die bei der gaw eine Ausbildung in Angriff nehmen, stammen häufig aus sozial schwachen, bildungsfernen Milieus. In der Schule wird bei ihnen eine Lernbehinderung festgestellt, die Leistungen in Rechnen und Sprachen sind oft unterdurchschnittlich. Nach einem Werkjahr nach Abschluss der Schule erhalten sie Unterstützung bei der beruflichen Integration der Invalidenversicherung. Die Unterstützung ist zu diesem Zeitpunkt besonders wichtig. Denn wer IV-Rentner wird, bleibt es meist ein Leben lang. Eckardt betont diese Problematik: «Wem die berufliche Erstintegration nicht gelingt, der landet schnell auf dem Abstellgleis und in der Isolation. Arbeit ist ganz wesentlich für die Integration in die Gesellschaft, weil sie dem Menschen einen Wert, eine Bedeutung zumisst. Wer eigenständig für sich selber aufkommen kann, zweifelt weniger an seinem Selbstwert.» Je länger jemand vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen bleibt, desto schwieriger wird es für ihn oder sie, wieder den Anschluss zu finden. Eine Abwärtsspirale wird in Gang gesetzt, die oft kaum mehr
aufzuhalten ist. Menschen, die nicht mehr gebraucht werden und die niemand will, verlieren den Glauben an das Leben und an sich selbst.
Wesentlich ist, es gar nicht so weit kommen zu lassen. Unterdessen hat auch die Wirtschaft erkannt, dass die Folgekosten dieser Entwicklung exorbitant anwachsen und dass schliesslich auch das Gemeinwesen darunter leidet. Umso wichtiger wird eine gute Ausbildung. Hier bietet die Gesellschaft für Arbeit und Wohnen in Basel wertvolle Unterstützung an: In Zusammenarbeit mit der Invalidenversicherung werden berufliche Massnahmen getroffen, die den Behinderten dazu verhelfen sollen, sich wieder in den Arbeitsmarkt und das Berufsleben zu integrieren. Eckardt: «Selbständigkeit und die gesellschaftliche Integration verhelfen den Menschen dazu, ihre Würde wieder zu finden. Wesentlich erscheint, dass in der Gesellschaft der Integrationsgedanke gestärkt und umgesetzt werden kann. Wer aus dem Arbeitsmarkt rausfällt, findet den Weg kaum mehr je zurück. Und diese Entwicklung kostet sehr viel Geld und belastet das Gemeinwesen je länger, desto stärker.»

Verkaufslehre in der stiftungseigenen Migros-Filiale

Rund vierzig Jugendliche nehmen an Ausbildungsprogrammen der gaw teil. Ins Auge sticht die Möglichkeit einer KV-Lehre, die sicherlich eine grosse Herausforderung bedeutet für Menschen mit Leistungsbeeinträchtigungen. Eckardt macht auf die Problematik der heutigen Arbeitsplatzsituation auch in diesem Bereich aufmerksam: «Banken und Versicherungen nehmen heutzutage meist nur noch Maturanden auf. Die kaufmännische Ausbildung A-Profil, die für schwächere Auszubildende gedacht ist, hat bislang leider keine grosse Bedeutung am Arbeitsmarkt erlangt.» Trotz der schwierigen Situation auf dem Arbeitsmarkt ist die Vermittlungsquote für die Auszubildenden der gaw erfreulich hoch: Gut die Hälfte kann erfahrungsgemäss langfristig Fuss fassen im Arbeitsmarkt.
Oft kommen ganz verschiedene Probleme zusammen, die sich hinter einer Biographie verbergen: Die 19-jährige Indira M. möchte im August die Ausbildung als Küchenangestellte fortsetzen, die sie aus gesundheitlichen Gründen unterbrechen musste. Aufgrund von Spannungen mit ihren Eltern lebt sie nicht mehr zuhause, sondern in einer Asylbewerber-Unterkunft. Hinzu kommen gesundheitliche Probleme: Immer wieder fällt Indira M. am Arbeitsplatz aus, weil sie von chronischen Bauchschmerzen geplagt wird, gegen die kein Arzt Rat weiss. Eine Lehre kann nur erfolgreich absolvieren, wer vierzig Stunden in der Woche arbeiten und auch im Rechnen und Schreiben mithalten kann. Trotzdem möchte Indira M. diese Ausbildung in Angriff nehmen und rechnet sich gute Chancen aus, nach der Lehre eine Stelle im Gastgewerbe zu finden. Sie weiss aber gar nicht, ob sie bis dann nach Bosnien zurückgeschafft werden wird. In jedem Fall hofft sie, in der Schweiz bleiben zu dürfen: «Ich habe hier Wurzeln geschlagen, und es gefällt mir sehr gut in der Schweiz. Ich wüsste nicht, was ich für Perspektiven hätte in Bosnien: Ich fühle mich fremd dort und beherrsche die bosnische Sprache kaum mehr.»
Die gaw führt als Migros-Partnerin zwei ehemalige Migros-Filialen. Diese beiden Lebensmittelgeschäfte bieten zusätzlich zu den Migros-Produkten ein erweitertes Sortiment von Markenartikeln an und werden von ehemaligen Mitarbeitenden der Migros und Fachleuten der gaw betrieben. Insgesamt arbeiten dort sechzehn Angestellte der gaw mit dreissig leistungsbeeinträchtigten Personen zusammen. Die meisten davon sind Menschen, die psychisch oder leicht körperlich behindert sind. Zwölf Mitarbeitende absolvieren eine Verkaufsausbildung. Unter ihnen befinden sich der 20-jährige Sandro S., der im August eine Ausbildung zum Detailhandelsassistenten anfangen wird, und der ebenfalls 20-jährige Peter M., der unmittelbar vor dem Abschluss der Ausbildung steht. Besteht er die Prüfung, erhält er das eidgenössische Attest und kann sich gute Chancen ausrechnen, als Detailhandelsassistent auf seinem Fachgebiet Lebensmittel eine Stelle zu finden.

Neue IV-Fälle vermehrt psychisch bedingt

Die gaw verdient mit verschiedenen Unternehmungen (Catering, Logistics, Detailhandel und Gelati Gasparini) selber Geld und wird überdies unterstützt mit Taggeldern der IV und Subventionen des Bundesamtes für Sozialversicherungen. Integration in die Gesellschaft ist das primäre Ziel und die grosse Aufgabe der gaw. Da immer mehr Menschen unter Stress, Mobbing, Burnout und den Folgen von Machtmissbrauch im Betrieb leiden und kaum mehr in der Lage sind, die geforderten Leistungen im heuti-gen Arbeitsmarkt zu erbringen, sind Alternativen gesucht, um möglichst viele Menschen am Arbeitsleben teilnehmen zu lassen. Hierbei leistet die Gesellschaft für Arbeit und Wohnen in Basel wertvolle Dienste, indem sie die Integration von Menschen in den Arbeitsmarkt fördert, die aus dem Netz zu fallen drohen. Und dies vor allem aus psychischen Gründen, denn ein Blick in die IV-Statistik bestätigt: 45 Prozent der neuen Fälle gehen heute auf psychische Erkrankungen zurück, nur 25 Prozent dagegen sind auf Erkrankungen des Bewegungsapparats zurückzuführen.
www.gaw.ch

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