«der arbeitsmarkt» 07/2008

Angst nehmen und Mut machen

Bei der Lehrstellensuche leisten Lehrpersonen einen massgeblichen ­Beitrag. Franziska Huser unterrichtet seit vielen Jahren Sekundar-C-Klassen in Langnau am Albis bei Zürich. Ein Gespräch mit der Lehrerin über Berufswünsche und Möglichkeiten in einem schwierigen Umfeld.

Franziska Huser hat eine kaufmännische Lehre absolviert und ­einige Jahre auf diesem Beruf im medizinischen Bereich gearbeitet. Dort hatte sie auch mit Lernenden und deren Selektion zu tun. Auf dem zweiten Bildungsweg bildete sie sich im Kanton Aargau zur Sekundarlehrerin aus. Jetzt unterstützt sie Schülerinnen und Schüler beim Übertritt ins Berufsleben.
Sek C. Im Kanton Zürich ist die Sekundarschule in drei Stufen ge­gliedert: A, B und C. Sekundarschule C ist die untere schulische Leistungsstufe. Der Ausländeranteil ist in den Sek-C-Klassen besonders hoch, weil sich bei fremdsprachigen Jugendlichen die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache am deutlichsten manifes­tieren.
Langnau am Albis. Nicht zu verwechseln mit Langnau im ­Emmental. Die Gemeinde südlich von Zürich erstreckt sich von der Sihl bis zum Albispass auf einer Fläche von 866 Hektaren, davon sind 28 Prozent Landwirtschaftsfläche und 49 Prozent Wald. Das Dorf ist genau zehn Kilometer vom Zürcher Hauptbahnhof entfernt und hat knapp 7000 Einwohner, davon 1500 Ausländer.
Schulhaus Vorder Zelg. In der zweiten Klasse Sek C, die ­Franziska Huser nebst einer ersten betreut, unterrichtet sie zurzeit nur fünf Schülerinnen und Schüler; einen Schweizer, eine Portugiesin, einen Italiener, ein Mädchen und einen Knaben aus dem Kosovo. Die Berufsvorbereitung hat im Februar mit Schnupperlehren begonnen. In einem Jahr müssten alle fünf eine Anschlusslösung haben. Franziska Huser ist optimistisch: «Das schaffen wir schon.»

Im Gespräch konfrontieren wir Franziska Huser mit acht ­gängigen Behauptungen.

Erste Behauptung: Deutschkenntnisse sind fundamental. Deshalb sind Fremdsprachige bei der Lehrstellensuche ­besonders benachteiligt.
Franziska Huser: Stimmt ganz klar. Deutsch, aber vor allem auch Schweizerdeutsch ist fundamental. Ich rede hier nicht von Grammatik oder Orthographie, schon gar nicht von Stil, sondern von Sprache im elementaren Sinn von «sich verständigen». Eine Frage verstehen und eine verständliche Antwort geben. Oder zurückfragen, falls etwas nicht verstanden wurde. Das ist nicht selbstverständlich auf diesem Niveau, denn viele sind erst seit wenigen Jahren hier. Ich stelle immer wieder fest, dass Schüler bei Vorstellungsgesprächen Dinge nicht verstehen, weil ihre Deutschkenntnisse mangelhaft sind. Wenn sie dann nicht nachfragen und dranbleiben, ganz einfach, weil sie es nicht können, dann versandet das Gespräch und die Kommunikation bricht ab. Deshalb üben wir solche Gespräche immer wieder, nicht nur im Fach Berufswahl, eine Wochenstunde genügt niemals, sondern auch im Deutschunterricht, im Sachunterricht.

Zweite Behauptung: Für Sek-C-Schülerinnen und -Schüler kommen nur wenige Berufe in Frage.
Stimmt nur zum Teil. Klar ist die Auswahl beschränkt.* Es gehört zum Fach Berufskunde, die Schüler über diese beschränkte Auswahl zu informieren. Das sind die Grundlagen, der Rahmen: Welche Berufsfelder, welche Lehren kommen für mich überhaupt in Frage? Die Schüler müssen ihre Chancen und ihre Grenzen kennen. Viele träumen davon, Informatiker zu werden, weil sie gerne mit dem Computer spielen. Da müssen wir sie aufklären und zeigen, welche Anforderungen an Lernende gestellt werden. Für eine Lehre als Informatiker zum Beispiel braucht es zwingend einen Sek-A-Abschluss oder einen Sek-B-Abschluss mit einer guten Note in Mathematik.

Dritte Behauptung: Ihre Schülerinnen und Schüler müssen ihre Berufswünsche nach unten anpassen.
Stimmt zum Teil. Man könnte es auch positiver formulieren. Sie müssen lernen, sich und ihre Leistungen und Möglichkeiten selbst einzuschätzen. Selbsteinschätzung ist ein wichtiges Lernziel. Das muss schon in der Primarschule beginnen.
Sek-C-Schüler müssen sich bewusst sein, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind, dass sie ihr Ziel vielleicht erst auf dem Umweg einer Anlehre erreichen. Diese Möglichkeit besteht und wird auch oft genutzt. Zweijährige Lehre und danach mit einem ­Zusatzjahr zum Lehrabschluss.

Vierte Behauptung: Sek-C-Schüler sind schwache ­Schüler und haben Schwierigkeiten, in der Berufsschule zu folgen.
Das stimmt. Für viele ist der schulische Teil das Problem und nicht die praktische Arbeit. Zur Berufslehre gehört ja immer auch ein schulischer Teil, die Berufsschule. Und viele Berufe kommen tatsächlich für Sek-C-Schüler schon deshalb nicht in Frage, weil ihre Fähigkeiten, dem Unterricht zu folgen, aus sprachlichen Gründen begrenzt sind.
Die Schwierigkeiten liegen fast immer auf der schulischen Seite. Handwerklich sind Sek-C-Schüler zum Teil recht gut. Am Arbeitsplatz sind sie motiviert, praktisch zu lernen. Schulisch brauchen sie weiterhin Unterstützung. Die Eltern können in den meisten Fällen nicht helfen. Das bedeutet, dass die Lehrbetriebe die Lernenden im schulischen Bereich unterstützen müssen. Und das kommt nur in kleinen Betrieben in Frage. Die Lehrmeister müssen sich bewusst sein, dass ihre Lernenden viel Unterstützung im schulischen Bereich brauchen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen.

Fünfte Behauptung: Stellensuche ist für die beteiligten Lehrpersonen Sozialarbeit.
Stimmt. Man muss einen persönlichen Bezug zum Jugendlichen herstellen können, damit er sich wohlfühlt. Er muss wissen woran er ist, das heisst natürlich auch auf Absagen gefasst sein.
Und wenn er eine Absage bekommt, versuche ich, seine Ängste aufzufangen und ihm Mut zu machen, damit er es weiter versucht. Es gibt keine Tricks oder Rezepte, ich habe hier keine Stammkunden in der Gemeinde. Wir probieren immer wieder Neues aus. Dranbleiben, weitermachen. Schritt für Schritt. Ich bereite die Schüler auf ein Telefongespräch vor. Wir üben das auch untereinander in der Klasse.
Am folgenden Tag will ich wissen, ob der Schüler oder die Schülerin angerufen hat, wie das Gespräch verlaufen ist, wie es weitergeht. Das geht nur, wenn ich den Schüler kenne, ein Vertrauensverhältnis besteht.

Sechste Behauptung: Eine Wochenstunde Berufskunde reicht nicht.
Stimmt. Laut Lehrplan haben wir eine Wochenstunde für die Berufsvorbereitung, doch es geht nicht, ohne dass wir auch den Deutschunterricht dazu benutzen. Ein Telefon führen, das ist Deutsch mündlich. Ein Bewerbungsschreiben verfassen ist Deutsch schriftlich. Eine Stunde genügt auf keinen Fall. Die Suche nach einer Lehrstelle ist ein wichtiger Teil des Unterrichts auf dieser Stufe und nimmt viel Zeit in Anspruch.

Siebte Behauptung: Jugendliche Stellensuchende vom Balkan oder aus der Türkei haben es besonders schwer.
Diese Behauptung kann ich leider nicht widerlegen. «Kosovaren müssen sich bei uns nicht bewerben.» Das habe ich schon gehört. Das kommt vor. Ein krasser Fall war auch der einer dunkelhäutigen Schülerin, die sich am Anfang einer Schnupperlehre vorwerfen lassen musste, dass sie ihre Hautfarbe unterschlagen habe. «Das hättest du mir auch vorher schon sagen können, dass du dunkel bist.»
Wir wollen, dass uns die Schüler solche Dinge melden, und wir gehen dem nach. Wir suchen das Gespräch mit diesen Leuten, auch wenn wir sie nicht von ihrer Meinung abbringen können. Aber es gibt natürlich Lehrmeister, die mit bestimmten Gruppen schlechte Erfahrungen gemacht haben. Das kann man auch nicht verschweigen. Manchmal muss man das einfach akzeptieren und anderswo weitersuchen.

Achte Behauptung: Es gibt Fälle, wo man sagen muss: Integration gescheitert.
Das kommt leider vor. Das sind aber die Ausnahmen, nicht die Regel. Mädchen sind oft doppelt benachteiligt. Wer seine Tochter mit 16 verheiraten will, bemüht sich nicht um Integration. Und es gibt leider Eltern, die an einer Integration ihrer Tochter nicht interessiert sind. Sie soll bis zur Heirat Geld verdienen, allenfalls ein Praktikum machen, damit sie eine Stelle finden und Geld verdienen kann. Das müssen wir respektieren, auch wenn es frustrierend ist.

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