«der arbeitsmarkt» 04/2005

Als Milchpraktikerin in die Arbeitswelt integriert

Bewegung in der Berufsbildung: Mit einer Attestausbildung sollen lernschwache Schülerinnen und Schüler besser in die Arbeitswelt integriert werden.

Das seit gut einem Jahr geltende neue Berufsbildungsgesetz macht sich immer mehr auch abseits der Amtsstuben, nämlich in den Lehrbetrieben und Schulen, bemerkbar. Ab diesem Sommer können die ersten Lernenden zu Restaurations-, Hotellerie- und Küchenangestellten sowie zu Detailhandelsassistenten ausgebildet werden. Im folgenden Jahr eröffnen sich Jugendlichen neue Berufsfelder von der Milchpraktikerin bis zum Seilbahnpraktiker. Bis 2009 sollen alle Anlehren durch Attestausbildungen ersetzt werden. Dort eignen sich die Lernenden, wie in der Anlehre auch, die Kenntnis einfacherer beruflicher Tätigkeiten und Abläufe an.

Alter Wein in neuen Schläuchen also? «Nein. Es handelt sich bei der Umstellung um eine massive Veränderung», sagt Peter Knutti von der Deutschschweizer Berufsbildungsämter-Konferenz. «Die zweijährige Grundbildung mit Attest stellt eine neue Bildungsstufe dar. Dank der klar definierten Qualifikation sind die eidgenössischen Berufsatteste vergleichbar und können wie das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) behandelt werden.» Im Gegensatz zum sehr individuellen Kompetenznachweis der Anlehre sind die Atteste klar einzuordnen. Um ein gemeinsames Niveau zu gewährleisten, wird jede Attestausbildung in einer verbindlichen Bildungsverordnung geregelt.

Hinter dem Wechsel von der Anlehre zur Attestausbildung steht die Absicht, Lernende mit Defiziten im schulischen Bereich dauerhaft in die Arbeitswelt zu integrieren. Sie sollen das Rüstzeug erwerben, um auf Veränderungen der Arbeitswelt angemessen reagieren zu können. Dazu soll ein den Möglichkeiten schwächerer Schüler angepasstes Niveau in der Berufsbildung verankert werden. So wird der Anschluss an die berufliche Weiterbildung bis zum EFZ ermöglicht. Die wichtigsten Zielsetzungen sind dabei die Schaffung eigenständiger Berufsbilder und die arbeitsmarktorientierte Ausbildung. «Das Ganze steht unter dem Motto: ‹Kein
Abschluss ohne Anschluss›», erklärt Peter Knutti, der als Co-Projektleiter die Pilotphase der Attestausbildung begleitete.

Deshalb wird auf Durchlässigkeit gesetzt. Bei genügender Leistung ist der Übertritt in eine drei- oder vierjährige Lehre – oder von dort in die Attestausbildung – nach jedem Ausbildungsjahr möglich. «Die Lernenden können sich in der Attestausbildung durchaus so weit entwickeln, dass ein Abschluss mit EFZ möglich wird», erklärt Peter Knutti. «Das werden nicht alle schaffen, aber es ist motivierend, zu wissen, dass man nicht in einer Sackgasse unterwegs ist.»

Im Gegensatz zur Anlehre, die individuell gestaltet werden konnte, sind für die Attestausbildung standardisierte Ausbildungsprogramme festzulegen. Ausserdem wird in Form überbetrieblicher Kurse neben Arbeitsplatz und Schule ein dritter Lernort eingeführt. Der individuellen Lernkapazität wird aber trotz aller Standardisierung Rechnung getragen. «Es wurde eine Hürde eingebaut. Jetzt muss man den Leuten auch
darüber helfen», sagt der Fachmann Peter Knutti. Einerseits lasse sich eine schulische Schwäche mit praktischem Können ausgleichen – da seien die Betriebe gefordert. Andererseits sieht das System auf der
Schulseite eine Reihe von Vorkehrungen zur Unterstützung vor: spezielle Lehrkonzepte wie die Lernwerkstätten etwa oder Stützunterricht für schwache und Freifächer für stärkere Schüler. Ausserdem soll es möglich sein, die Attestausbildung bei Bedarf um ein Jahr zu verlängern.

Ob sich die neue Form der beruflichen Bildung bewährt, wird erst die Erfahrung zeigen. Die Frage, wie viele Ausbildungsplätze in welchen Berufen angeboten und ob diese der Nachfrage entsprechen werden, muss vorerst offen bleiben. Und auch das Weiterbildungsangebot für Absolventen muss noch geschaffen werden. Doch erst einmal gilt es, die ersten Attestlernenden über die neu geschaffene Hürde zu begleiten und sie ins berufliche Qualifikationssystem zu integrieren.

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