15.03.2017
FOTO UND TEXT: Fabian Jeker

Der unkonventionelle Schauspieler und Kommunikationstrainer.

Mein Tag als

Schauspieler

Christoph Matti, 53, erzählt über sein Leben als freischaffender Schauspieler, Lehrer für «Action Theater» und Lehrbeauftragter für Kommunikation. 

Jeder Tag ist anders. Einmal bin ich viel unterwegs, ein andermal verfüge ich über viel Freiraum. Als freischaffender Schauspieler erledige ich alles selbst: vom Schreiben, Proben und Einrichten über die Administration bis hin zur Werbung. Die Querfinanzierung des Schauspiels durch die anderen Tätigkeiten gibt mir die Freiheit, als Schauspieler nur das zu tun, was mir liegt. Zudem befruchten sich die Kommunikationstrainings mit Berufsleuten und das Schauspiel gegenseitig. Im Zentrum steht immer die Authentizität. Es gibt nur ein Leben, aber verschiedene Situationen. Alltag, Privatleben und Bühne verschwimmen.

Bereit sein: Im Kommunikationstraining bereite ich die Studierenden an den Fachhochschulen in Bern und Basel mittels Rollenspiel auf den Berufsalltag vor. Im Gegensatz zum Bühnenspiel liegt der Fokus auf der Lernsituation. «Action Theater» ist ein von Ruth Zaporah entwickeltes ganzkörperliches Achtsamkeitstraining. Der körperliche Ausdruck soll Gefühle und Gedanken hervorrufen und dadurch eine Situation oder Geschichte entstehen lassen. Geist und Körper müssen zusammenspielen wie Reiter und Pferd. Die Fokussierung hilft im Alltag. Für die Kurse kann ich mich inhaltlich vorbereiten, doch muss ich für den Moment bereit sein und flexibel auf Bedürfnisse und Situationen reagieren können.

 «An apple a day keeps me happy and gay.»

Christoph Matti

Karriere nicht planbar: Nach einer kaufmännischen Ausbildung habe ich bei einer Bank und in einem Hotel gearbeitet. Meine kreative Seite hat dann nach und nach mehr Raum eingenommen. Schauspieler ist ein unsicherer Beruf und nicht planbar. Mit Unsicherheit muss man umgehen können. Zwecks Absicherung sind Berufslehre oder Matura Voraussetzung. Für die Aufnahme setzen Schauspielschulen Altersgrenzen zwischen 25 und 30 Jahren. Junge Menschen sind noch formbar. Je früher man beginnt, desto mehr Zeit bleibt für die Herausbildung von Form und Technik. Doch die Lebenserfahrung älterer Menschen hilft bestimmt, sich in Rollen hineinzuversetzen. Geistige Reife trifft auf einen trainierten Körper. Das ist der übliche Weg. Jedoch gibt es immer wieder Talente, die erst spät hervortreten und mit 40 oder gar erst 50 entdeckt werden. Ich selbst habe im Alter von 20 Jahren erste Kurse belegt und daneben gearbeitet. In Berlin absolvierte ich private Ausbildungen. Wirklich angekommen und persönlich befreit war ich erst mit 45.

Gestrandet_wie_ein_Pottwal

Ausschnitt aus «Was von einer bizarren Kindheit übrig blieb»; Vorstellung vom 8. Februar 2017 im Teatro Palino, Baden; Text und Spiel: Christoph Matti; Video: ©dingdong_fiction_


Bleib dir treu! Das Schöne am Schauspiel ist, vorübergehend in Situationen eintauchen und Dinge ausprobieren zu können, die man so im Alltag nicht ausleben kann. An sich selber arbeiten. Herausfinden, was möglich ist. Wichtig ist, sich dabei stets selbst treu zu bleiben. Sich selbst sein. Seinen eigenen Stil entwickeln. Wenn ich bei mir bin, bin ich zu Hause, egal wo ich bin. Frechheit. Unerschrockenheit. Mut zu Fehlern. Ins kalte Wasser springen. Es gilt abzuwägen zwischen Sicherheit und Freiheit. Unabhängigkeit bedeutet, alles zu können, aber nichts zu müssen. Der Besuch renommierter Schauspielschulen hilft im Hinblick auf eine Anstellung. An staatlichen Schulen arbeiten die Studierenden aus den verschiedenen Bereichen wie beispielsweise Schauspiel und Regie von Beginn an zusammen und lernen sich kennen. Diese Vernetzung ist ein Vorteil für die spätere Zusammenarbeit.

Was von meiner bizarren Kindheit übrig blieb: Aufgewachsen bin ich in einem Wohnzimmer voller fremder Leute. Meine Eltern führten ein Hotel. Sieben Tage Betrieb mit viel Trubel. Viele Kinder müssen sich von Erziehung, Konventionen und Zwängen befreien, den vorgegebenen Weg verlassen. Ich musste einen Weg finden, suchte Verbindlichkeiten und Strukturen. Mit meinem aktuellen Stück «Was von einer bizarren Kindheit übrig blieb» konnte ich bisher ein sehr vielfältiges Publikum berühren. Jede und jeder kennt das Gefühl, nicht in Ordnung zu sein. Als Homosexueller genügt man nicht als Mann. Das Stück hat beim Publikum Betroffenheit ausgelöst und neue Sichtweisen geschaffen. Doch spüre ich Skepsis bei Homosexuellen. Warum noch darüber sprechen, wenn die Gesellschaft so offen ist? Ist sie es wirklich? Und Schwulsein ist doch kein Problem mehr. Stimmt, ich bin kein Problem mehr. Aber Schwulsein in einer heterosexuellen Welt ist auch heute noch einfach zu komisch, um darüber zu schweigen. Weitere Vorstellungen in Bern und Wien sind für das Jahr 2017 in Planung. Als nächstes Projekt steht die filmische Umsetzung des Stücks an. Die Produktion soll im Internet frei zugänglich sein.