13.11.2017
FOTOS UND TEXT: Andreas Tschopp

Berufsfischer Beat Abegglen unterwegs mit seinem Boot auf dem Brienzersee

Fischerei

«Andere gehen golfen, ich fahre auf den See»

Beat Abegglen aus Iseltwald ist der letzte Berufsfischer auf dem Brienzersee. Infolge der seit der Jahrtausendwende stark rückläufigen Fangerträge arbeitet der 54-Jährige heute hauptsächlich als Kundendiensttechniker und fährt nur noch zum Nebenerwerb hinaus auf den See.

Pechschwarze Dunkelheit liegt noch über dem Brienzersee, als mich frühmorgens im etwas mehr als 400 Einwohner zählenden Dorf Iseltwald Fischer Beat Abegglen vor seinem Bootshaus begrüsst. Gemeinsam besteigen wir das rund sieben Meter lange Fischerboot und starten zur Ausfahrt. Obwohl nur wenige Lichter rund um den See am Ufer auszumachen sind, fährt Abegglen gezielt los. Er weiss genau, an welchen Stellen er am Vorabend die Netze ausgelegt hat. Zudem kann er die Position der im Wasser schwebenden Netze auf dem Handy kontrollieren, da die Markierbojen mit einem kleinen GPS-Sender ausgerüstet sind. Das ist besonders wichtig, wenn mal Nebel über dem See liegt.

Nach rund zehn Minuten Fahrt durch die Nacht stoppt das Boot bei der ersten Boje – zwei gekreuzte Bretter mit einer bunten Flagge obendrauf. Das Einziehen der Netze beginnt. Mit blossen Händen zieht Abegglen die feinen Schwebnetze ein, die sieben Meter tief im Wasser hängen und bis hundert Meter lang sein können. Ab und zu zappeln Fische im Netz. Zumeist sind es Felchen, manchmal ist auch eine Seeforelle oder ein Egli darunter, die normalerweise mit anderen Netzen und zu anderer Jahreszeit gefangen werden. Der Fischer nimmt die Fische aus dem Netz, schlägt ihren Kopf gegen die Stange, an der die Netze zum Trocknen aufgehängt werden, und wirft den Fang zielsicher in die bereitgestellten Plastikkisten – eine für die Felchen, die andere für die restlichen Fische. Dieser Vorgang wird mehrfach wiederholt, wobei sich die Kiste mit den Felchen allmählich füllt.

Tagesausbeute: gut zwanzig Kilogramm Fisch

Während des Einholens der Netze bricht langsam der Tag an. Der Himmel über dem Ostende des Brienzersees färbt sich von dunkel- zu hellblau und wird fast weiss, bevor die Sonne am Horizont aufgeht. So beginnt ein wunderschöner Herbsttag auf dem türkisgrünen, tiefen See im Berner Oberland (siehe Kontext unten).

Die Ausbeute lässt sich sehen an diesem Prachtstag: Gut zwanzig Kilogramm Fisch kann Beat Abegglen heimbringen, der auf der Rückfahrt per SMS schnell seine Ehefrau Elsbeth informiert, wann er zuhause sein wird.

Der gewerbsmässig tätige Fischer, der im Sommer seine Netze auch auf dem Thunersee ausbringt, ist zufrieden mit dem Ertrag dieser Ausfahrt. Abegglen fährt übers ganze Jahr aus – auch bei weniger idealen Wetterbedingungen. Dabei ist der Aufwand fürs Auslegen und Einholen der Netze, die zwischendurch repariert und ersetzt werden müssen, jeweils derselbe, die Ausbeute hingegen kann sehr unterschiedlich sein.

Der tiefste See, der ganz in der Schweiz liegt

Der 29,8 Quadratkilometer grosse Brienzersee ist bis zu 260 Meter tief. Er ist damit der tiefste See, der ganz in der Schweiz liegt. Noch tiefer sind nur die drei Grenzseen Lago Maggiore (bis 388 Meter), Lac Léman (bis 310 Meter) und Lago di Lugano (bis 288 Meter). Der türkisgrüne See, durch den die Aare fliesst und in den die Lütschine mündet, ist sehr nährstoffarm. Der Phosphatgehalt liegt bei 3,6 Mikrogramm (zum Vergleich: Thunersee 4,8 und Bielersee 15 Mikrogramm). Entsprechend unterschiedlich sind auch die Fangquoten: Brienzersee 1 kg/ha, Thunersee 6,5 kg/ha und Bielersee 31,8 kg/ha (Zahlen für 2015 von Berufs- und Angelfischerei). Die Fischereierträge im Kanton Bern liegen gesamthaft bei rund 120 Tonnen pro Jahr, wobei über 90 Prozent im Bieler- und Thunersee anfallen, wo noch neun beziehungsweise sieben Berufsfischer ihrer Arbeit nachgehen.

Die Aufsicht über die Fischerei im Kanton Bern obliegt dem Fischereiinspektorat, das 23 Angestellte hat und vier Fischzuchten betreibt (in Faulensee, Kandersteg, Reutigen und Ligerz). Geleitet wird das Inspektorat von Thomas Vuille. Er stellt fest, dass wegen des starken Rückgangs der Daphnien (die kleinen Krebstiere bilden die Ernährungsgrundlage für die Felchen) auf dem Brienzersee «keine wirtschaftlich erfolgreiche Berufsfischerei mehr möglich ist». Um einen realisierbaren Mindestfang sicherzustellen, müssten seiner Ansicht nach deshalb «Optimierungsmassnahmen bei den Nährstoffen diskutiert werden können», so der Berner Fischereiinspektor zum Thema, das derzeit auch die Bundespolitik beschäftigt.

Ausbildung auf dem Bieler- und Starnbergersee
«1999 gab es einen totalen Einbruch bei den Fangerträgen der Felchen», erzählt Beat Abegglen rückblickend. Geboren und aufgewachsen in Iseltwald, lernte er zuerst auf dem Militärflugplatz Interlaken Elektronikmechaniker und machte später die Ausbildung zum Berufsfischer auf dem Bielersee. Die Schlussprüfung legte er an der Fischereifachschule in Starnberg (D) ab. Danach begann er auf dem Brienzersee mit einem Partner zu fischen. 1988 konnte er von ihm das Patent übernehmen.

Nur zu Beginn seiner Tätigkeit vermochte Abegglen ganz von der Fischerei zu leben. Schon damals arbeitete der Iseltwalder im Winter zusätzlich als Elektroniker. Dieses zweite berufliche Standbein konnte er allmählich ausbauen, als nach dem grossen Einbruch von 1999 die Erträge tief blieben. Heute arbeitet er zu 70 Prozent im Einbau und Unterhalt von Brandmeldeanlagen in Hotels, Gewerbebetrieben und Spitälern im Berner Oberland. «Das ist ideal und lässt sich gut kombinieren mit der Fischerei», sagt Beat Abegglen, der seit 2016 als Einziger noch gewerbsmässig Fischfang auf dem Brienzersee betreibt.

Beat Abegglen beginnt mit dem Einholen der Netze noch bei Nacht. Langsam bricht der Tag an über dem Brienzersee. Solche Bojen zeigen an, wo die Netze im Wasser schweben. Der Fischer holt eine der Markierbojen zurück ins Boot. Die Reinigung des Bootes nach dem Fischfang. Die Ausbeute des Tages: gut zwanzig Kilogramm Fisch. Per SMS kündigt der Fischer seine baldige Heimkehr an. Das Fischerboot nimmt Kurs auf das Bootshaus in Iseltwald. Der Fischer macht sich daran, sein Boot aus dem Wasser zu holen. Mit dem Handwagen wird der gefangene Fisch nach Hause transportiert zur Verarbeitung. Elsbeth Abegglen bereitet die Fische zum Entschuppen in der Maschine vor. Ebenfalls maschinell werden Kopf und Schwanz entfernt. Die weitere Verarbeitung besorgt Beat Abegglen von Hand. Mit dem Messer werden die restlichen Gräten entfernt. Die frisch verarbeiteten Felchenfilets aus dem Brienzersee. Elsbeth Abegglen am Vakuumierapparat. Von Kinderhand angefertigte Fischlein als Dekoration. Ein stolzer Fischer: Beat Abegglen aus Iseltwald.
Fotos: Andreas Tschopp

Was bei der Verarbeitung wichtig ist
«Die Fischerei ist eine Leidenschaft. Man muss angefressen sein von der Sache», betont Abegglen beim Kaffee im Fischerhaus. Im Erdgeschoss werden die im Handwagen vom Bootshaus hergeschafften fangfrischen Fische verarbeitet. Bei dieser Etappe hilft auch Ehefrau Elsbeth mit. Sie gibt die ausgenommenen Felchen zuerst in eine Maschine zum Entschuppen, schneidet ihnen danach an einer Messerscheibe Schwanz und Kopf ab, ehe die Fische ebenfalls maschinell halbiert werden. Danach müssen noch von Hand die restlichen Fischgräten entfernt werden. Das besorgt mit flinken Handbewegungen Beat Abegglen. Dabei betont er, dass dieser Verarbeitungsschritt «matchentscheidend» sei bei der Herstellung der Fischfilets. Verkauft werden diese direkt bei der Fischerei Abegglen in Iseltwald, die auch den Dorfladen mit Frischfisch beliefert sowie einige wenige Hotels.

Abegglens besorgen ebenso das Räuchern (kalt und warm) von Fisch, darunter auch von zugekauftem Lachs. Für die Vermarktung zuständig ist wiederum Elsbeth Abegglen. Die gelernte Gärtnerin und zweifache Mutter trägt weiter noch als Hauswartin im 50-Prozent-Pensum zum Unterhalt der vierköpfigen Familie bei.

Beat Abegglen geht zudem auf Laichfischfang für die Fischzucht im Auftrag des Kantons. Das mache er «ohne Entschädigung, sondern aus purem Eigeninteresse», betont der Teilzeit-Berufsfischer, der über viele Jahre in diversen Verbänden tätig war und Ehrenmitglied des Bernisch Kantonalen Fischerei-Verbandes (BKFV) ist.

Kostspielige Entsorgung der Fischabfälle
Nach gut einer Stunde haben die Abegglens den Fang fertig verarbeitet. Während Ehefrau Elsbeth noch einige Fischfilets aus dem Räucherschrank nimmt und diese vakuumiert, macht sich Beat Abegglen daran, den Verarbeitungsraum mit Hochdruck zu reinigen. Er verweist darauf, dass die Sauberkeit im Fischerhaus regelmässig kontrolliert werde vom Fischereiinspektorat, ebenso die Haltbarkeit der verarbeiteten Ware.

Bei der Fischverarbeitung bleiben rund 50 Prozent als Abfall zurück, der im Schlachthof Interlaken entsorgt werden muss. Das kostet 50 Rappen pro Kilogramm Fischabfall, der früher einfach zurück in den See geworfen worden sei.

«Wir haben heute ein Luxusproblem mit den Fischabfällen», meint lakonisch Beat Abegglen, der sich früher in Iseltwald auch lokalpolitisch engagierte und heute noch Mitglied der kantonalen Fischereikommission ist.

Protestaustritt der Fischer aus Expertengruppe

«Wir wollten ein Zeichen setzen, denn man nimmt uns gar nicht ernst»: So begründet Reto Leuch, Präsident des Schweizerischen Berufsfischerverbandes (SBFV), warum er aus Protest vorzeitig die Expertengruppe verlassen hat, die dabei ist, einen Bericht über die Situation der Fischerei auf den Schweizer Seen und Flüssen zu verfassen. «Wir haben zu wenig Fisch», betont Leuch. Hauptgrund dafür sei der fehlende Phosphor als Nahrungsgrundlage für Kleinlebewesen, von denen sich die Fische ernähren. Weil dieses Hauptproblem zwar erkannt, aber im Bericht ausgeblendet werden soll, so Leuch, sei ihm «der Kragen geplatzt».

Dass ein solcher Bericht unter Einbezug der betroffenen Kreise – neben den Fischern sind die kantonalen Fischereifachstellen, Umwelt- und Gewässerschutz, Abwasserfachleute, ein Grossverteiler und Fischhändler dabei – ausgearbeitet wird, hat die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats (UREK-N) veranlasst. Lanciert und geleitet wird der partizipative Prozess durch das Bundesamt für Umwelt (BAFU). Wie das Amt festhält, sei der SBFV ermuntert worden, im Prozess dabeizubleiben. Und da die Berufsfischer inzwischen Stellung bezogen hätten, «betrachten wir sie weiterhin als Teil der Gruppe», teilt das BAFU mit. Dieses wird auf Grundlage des Berichts der Expertengruppe eine Stellungnahme verfassen. Der Bundesrat, der sich ursprünglich gegen die Erstellung des Zustandsberichts zur Fischerei ausgesprochen hatte, wird sich nun doch noch damit befassen müssen, ehe der Bericht zurück an die UREK-N geht. Diese entscheidet dann, ob sich der Nationalrat inhaltlich mit dem Thema befassen wird.

2012 war bereits das Phosphatmanagement im Brienzersee Thema im Ständerat. BDP-Vertreter Werner Luginbühl aus Krattigen am Thunersee regte damals an, in einem Pilotversuch in Abwasserreinigungsanlagen (ARA) teilweise oder ganz auf die Phosphatreinigung zu verzichten. Der Vorstoss wurde letztlich abgelehnt. Eine solch gezielte Regulierung des Phosphoreintrags auf mindestens zehn Mikrogramm wäre jedoch nach Ansicht von Reto Leuch immer noch der einfachste und günstigste Weg, auf dem die Berufsfischerei aus dem «Hungertal» herausfinden könnte, meint der SBFV-Präsident.

In der Freizeit spielt er Posaune in der Dorfmusik
Abegglen nahm einst auch die damalige Berner Regierungsrätin und Volkswirtschaftsdirektorin Elisabeth Zölch mit zum Fischen. An jenem Tag im September habe es bereits geschneit in den Bergen, und es sei sehr kalt gewesen auf dem See, erinnert er sich. Danach habe er bei der Politikerin stets ein offenes Ohr gefunden, merkt der Fischer schmunzelnd an. Mit dem jetzigen Berner Volkswirtschaftsdirektor Christoph Ammann aus Meiringen sei er per du, betont Abegglen.

«Andere gehen golfen, und ich fahre auf den See», resümiert der Berufsfischer, für den so schöne Tagesanfänge wie bei der Ausfahrt auch ein Lohn sind für seine harte Arbeit. Bei dieser regiere oft das Zufallsprinzip wie bei der Jagd, auf die Beat Abegglen aber nicht geht. Er spielt lieber Posaune in der Dorfmusik.

 

Berufsfischer_Beat_Abegglen_im_Video

Berufsfischer Beat Abegglen bei der Arbeit; Video: Andreas Tschopp