28.09.2016
FOTOS UND TEXT: Daniel Buess

In seinem Atelier arbeitet Mario Völlmin hauptsächlich an Grabsteinen und Skulpturen.

Mein Tag als

Steinmetz

Mario Völlmin, 37, betreibt neben dem Friedhof von Sissach ein Bildhaueratelier, in dem er vorwiegend Grabsteine herstellt. Als bislang einziger Schweizer, der den Titel des europäischen Steinmetzmeisters trägt, ist er auch bei Restaurierungen ein gefragter Fachmann.

«Mein Atelier befindet sich gleich neben dem Friedhof. Den Arbeitstag beginne ich um halb acht, wenn meine Tochter zur Schule geht. Manchmal kommt sie dann später ins Atelier, um Hausaufgaben zu machen oder zu basteln. Seit der Geburt meiner Kinder ist mir viel deutlicher bewusst, dass der Lebenszyklus etwas Ganzes ist, zu dem auch der Tod gehört. Normalerweise wird der Gedanke an die letzte Ruhestätte verdrängt. Und ein Trauerfall ist immer mit Stress verbunden. Darum kommt nur selten jemand mit präzisen Vorstellungen zu mir. Gemeinsam mit dem Kunden suche ich ein Motiv, das zu dem Verstorbenen passt. Wenn jemand bereits ein konkretes Motiv hat, zum Beispiel eine Rose, zeige ich auf, in welchen Varianten ich es umsetzen kann.

Nach der Entwurfsphase haue ich den Stein mit Spitzeisen, Stockhammer und Steinbeil zu und bringe ihn in eine Form. Um eine feine und glänzende Oberfläche zu erzielen, kommt die Schleifmaschine zum Einsatz. Anschliessend arbeite ich das Motiv mit dem Lufthammer und verschiedenen Meisseln aus. Bevor ich die Schrift anbringe, kann ich auf Wunsch des Kunden noch letzte Änderungen vornehmen.

Im_Bildhauer-Atelier_von_Mario_Voellmin

Video: Daniel Buess

Leider hat sich die Friedhofskultur in den letzten zwanzig Jahren stark verändert. Durch Gemeinschaftsgräber, Urnenwände und individuelle Bestattungsformen fallen Grabsteine oftmals weg. Uns Grabmalschaffenden setzt das natürlich zu. Dennoch versuchen wir, das Beste daraus zu machen.

Steinarten wähle ich nach dem Verwendungszweck. Nicht jedes Motiv und jede Form ist für jeden Stein geeignet. Ein feiner Marmor eignet sich für detaillierte Motive besser als Granit.

Nicht immer arbeite ich im Atelier. Und nicht immer arbeite ich alleine. Restauriere ich alte Bausubstanz, schliesse ich mich oft mit anderen Steinmetzen zusammen, da viele dieser Arbeiten nur im Team zu bewältigen sind. Jahrelang habe ich in der Basler Münsterbauhütte an der Restaurierung des Münsters mitgearbeitet. Unter anderem habe ich schadhaftes Masswerk von Fenstern und Balustraden rekonstruiert und ersetzt, was mich sicherlich geprägt hat. Die Initialzündung für meine Berufswahl war jedoch die Bildhauerei. Wenn ich an Grabsteinen und freien Skulpturen arbeite, kann ich sehr viel Kreativität einfliessen lassen. In meiner spärlichen Freizeit bin ich auch künstlerisch tätig. Ähnlich wie in der Grabmalgestaltung arbeite ich hier oft nach Gefühl, während ich bei Restaurierungen auf Zirkel und Lineal angewiesen bin. Generell wird in der Steinhauerei viel geplant und gezeichnet. Wenn ich bei Restaurierungen Steine ersetze, verbringe ich rund einen Viertel meiner Arbeitszeit damit, die Bauteile, die ich rekonstruiere, aufzumessen und zu schablonieren. Bei einem Grabstein zeichne ich bis zu drei Stunden, während die Arbeit am Stein etwa eine Woche dauert. Pro Grabmal entstehen zwei bis drei Entwürfe, die der Kunde noch abändern kann.

Die Stationen seiner Bildungsreise hat Mario Völlmin sorgfältig dokumentiert. Foto: Daniel Buess

Von der EACD, einer Vereinigung, die ein europaweites Netzwerk aus Dombauhütten, Fachschulen und Natursteinfirmen betreibt, erhielt ich 2012 den Titel des ‹European Master of Craft›. Auf der dreijährigen Meisterkurs-Tournee lernte ich in Canterbury die Bleiverglasung kennen, stieg in Slowenien in einen unterirdischen Steinbruch und schloss ganz nebenbei Bekanntschaft mit der lockeren Arbeitsmoral der osteuropäischen Steinmetzschüler. Eindrücklich war auch die Kölner Dombauhütte, weil ich dort Bereiche betreten durfte, die für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sind.

Seit diesen Wanderjahren ist mir viel stärker bewusst, wie wichtig unter uns Steinmetzen der Austausch ist. Weil wertvolles Fachwissen verloren geht, wenn wir es nicht pflegen und weitergeben. Deshalb engagiere ich mich in der Berufsbildung unseres Verbandes und möchte mittelfristig einen Lehrling ausbilden.»

In seiner Freizeit ist der Bildhauer auch künstlerisch tätig. Foto: Daniel Buess