27.05.2015

Corinne Andrea Hoffmann, 40, verkauft jedes Brillenmodell nur einmal.

Mein Tag als

Optikerin

Corinne Andrea Hoffmann findet für ihre Kunden die schönste Brille. Wo sie als Handwerkerin und Beraterin machtlos ist, hilft sie als Mensch. Zum Beispiel durch Vorlesen. Als Dekorateurin und Fasnächtlerin frönt sie ihrer kreativen Leidenschaft.

«Ich habe einen starken Bewegungsdrang. Deshalb starte ich schwimmend in den Tag. Dazu muss ich allerdings früh aufstehen. Wenn ich in Basel übernachte, sogar vor fünf Uhr. Von Berns legendärem «Mubeeri-Bad» bis zu meinem Laden sind es zum Glück nur ein paar Schritte.

Ich führe dieses Augenoptik-Fachgeschäft seit bald zwei Jahren allein. Meine beiden Chefs haben einen eigenen Betrieb ausschliesslich für Kontaktlinsen. So kann ich mich ganz auf Brillen konzentrieren. Das ist meine Welt.

Da ich selbst Brillenträgerin bin, weiss ich, wie wichtig es ist, dass man sich mit Brille schön und wohl fühlt. Wobei ich neben dem ästhetischen Aspekt grossen Wert auf den Tragekomfort lege. So nenne ich den optimalen Sitz der Brille. Sie muss sich regelrecht anschmiegen auf der Nase, soll auf den Ohren passen, und zugleich muss der Abstand der Gläser zu den Augen stimmen. Die Wahl des besten Glases zur Korrektur des Sehfehlers liegt in meiner Hand als Fachfrau. Dabei muss es nicht immer das teuerste sein.

Seitdem ich vor zwanzig Jahren meine Ausbildung gemacht habe, hat sich die Brille zu einem modischen Accessoire entwickelt. Das freut mich natürlich. Auf der anderen Seite beobachte ich, dass viele Menschen ob des grossen Angebots überfordert sind. Deshalb zeige ich in meinen Auslagen nur eine kleine Auswahl an Modellen.

«Die Brille soll den Träger kleiden,
nicht verkleiden.»

Corinne Andrea Hoffmann

Mit meinem Sortiment hebe ich mich von anderen Optikern ab. Ich habe wenige, ausgesuchte Lieferanten. Sie haben ihren Sitz vor allem in Frankreich und Deutschland. Bei ihnen kann ich einzelne Brillen bestellen, mit Glück in verschiedenen Grössen. Das gibt es heute kaum noch. Grossen Herstellern muss man oft ganze Kollektionen abnehmen. Bis heute bin ich übrigens meinem Vorsatz treu geblieben, jedes Brillenmodell nur einmal zu verkaufen. Meine Kunden schätzen diese Exklusivität.

Meine Arbeit erfordert viel Einfühlungsvermögen. Hier bin ich in meinem Element. Die Brille soll den Träger kleiden, nicht verkleiden. Nicht jeder trägt gern eine Brille. Es gibt Kunden, die mit Vorstellungen kommen, welche sich nur schwer umsetzen lassen. Ich achte besonders auf die Konstruktion der Brillenfassung, damit die Korrektur jeder Fehlsichtigkeit gelingt. Da kommt mir die Erfahrung im elterlichen Optikatelier zugute.

Die Auswahl des Brillengestells darf ein längerer Prozess sein. Ich möchte ja die Kunden beglücken. Ich freue mich mit ihnen, wenn sie mit meiner Hilfe ihre Brille gefunden haben. Dabei geniesse ich, dass viele Begegnungen über meine Dienstleistung hinausgehen. Häufig lerne ich gar die ganze Familie kennen.

Zu mir ins Geschäft kommen sogar Menschen nicht als Kunden. Da ist die ältere Dame, die samstags ihre Einkäufe bei mir zwischenlagert. Oder der 92-jährige Nachbar, dem ich hin und wieder seine Post vorlese. Seine Augen sind bereits so altersschwach, dass selbst ich ihm nicht mehr helfen kann. Oder eben doch.

 Neben dem Beraten gestalte ich gern den Laden neu. Da fröne ich meiner Leidenschaft fürs Dekorative. Auf einem Bildschirm laufen von mir kreierte Diashows aktueller Brillenmode, gemischt mit Porträts meiner Kunden. Ich fotografiere sie fast alle, zeichne sie auch selbst. Das Schaufenster liegt mir genauso am Herzen. Ich bastle unheimlich gern. In einem Skizzenbuch sammle ich Ideen dazu, die immer einem Thema folgen. Zuletzt war das Fasnacht.

Die spielt auch in meiner Freizeit eine grosse Rolle. Ich bin Bernerin, aber meine Eltern stammen aus Basel. Die Ausflüge zum «Morgestraich» gehören zu den prägenden Kindheitserinnerungen. Seit Jahren spiele ich Piccolo in der Clique Seibi. Mein Engagement ist aufwendig, ja. Schliesslich pendle ich dafür zwischen Bern und Basel. Wir proben mindestens jeden Donnerstag, vor der Fasnacht häufiger.

Neuerdings übe ich montags mit einer Gruppe, die am Eidgenössischen Pfeifer- und Tambourenfest teilnimmt. Mit meinem Berndeutsch bin ich die Exotin, klar. So haben auch die anderen ihren Spass, sie amüsieren sich köstlich über meinen Dialekt.

Wäre ich nicht Optikerin, würde ich als Theologin wirken. Aber das ist eine andere Geschichte. Ich bin inzwischen versöhnt, dass ich keine geworden bin. Ich kann auch hier mein Motto leben, das Blaise Pascal so beschrieben hat: «Nicht was wir sehen, wohl aber wie wir sehen, bestimmt den Wert des Geschehenen.»