16.02.2016
FOTOS UND TEXT: Jürg Streuli

Christian Schalk im Bahnhof Genève Cornavin neben zwei französischen Automaten.

Ein Thurgauer im Bahnhof Genf

Mehr als ein Kundenlenker

Im Bahnhof Genf arbeitet ein Thurgauer als Kundenlenker, Zugabfertiger französischer TGV und Express Regional sowie als Dispatcher im Operation Center. Besonders schätzt er den direkten Kontakt mit den Fahrgästen.

«Bonjour monsieur, où se trouve le départ du train à destination de Lyon?» Christian Schalk in der auffälligen Warnweste mit der Aufschrift «Escale Voyageurs» informiert die Dame korrekt über das Abfahrtsgleis 8 und weist darauf hin, dass sie zuvor die Zollkontrolle zu passieren habe. Wegen der Lage an der Grenze zu Frankreich sind die «Escales Voyageurs» in Genf mehr als Kundenlenker, wie die Kollegen auf dem übrigen Bahnnetz bezeichnet werden. Denn zu ihren Aufgaben gehört auch die Erteilung des Abfahrtsbefehls an die Züge der französischen SNCF wie den TGV nach Paris.

Ein ganzer Eisenbahner
Christian Schalk ist in Kreuzlingen (TG) aufgewachsen und hat die Eisenbahn noch von der Pike auf gelernt. Vor 35 Jahren begann er in Münsterlingen eine dreijährige Stationslehre. Damals eine umfassende Ausbildung von der Stellwerkbedienung über die Güterexpedition bis zum Reisedienst. Nach der Aufsplittung der SBB in mehrere Divisionen sind heute Spezialisierungen gefragt.

Bald nach der Ausbildung bereiste Schalk die südamerikanischen Länder und lernte Portugiesisch sowie Spanisch. Wieder in der Schweiz, lockte ihn das Angebot der SBB für einen Sprachaufenthalt in Genf. Inzwischen lebt Schalk seit über 20 Jahren in der Calvinstadt. Er hat geheiratet und ist Vater eines Mädchens und eines Buben geworden. Im Bahnhof Cornavin arbeitete er zunächst im Reisedienst und in der Gepäckabfertigung. Als Sprachtalent redet er fliessend Deutsch, Französisch, Englisch, Portugiesisch und Spanisch. Der ideale Mann, um Reisenden mit kompetenten Informationen weiterzuhelfen.

Die Kollegen der SNCF und der SBB pflegen eine gute Zusammenarbeit.

Besondere Verhältnisse in Genf
Genève Cornavin ist einer der wenigen Bahnhöfe der Schweiz, wo sogenannte Kundenlenker dauernd in drei Schichten arbeiten. In den meisten Bahnhöfen erscheinen diese erst bei grossen Störungsfällen auf den Bahnsteigen. Dazu zählen massive Verspätungen, Zugsausfälle und Busersatzbetrieb. «Treten solche Ausnahmesituationen auf, erhalten wir natürlich Verstärkung. Dann sind wir umringt von aufgeregten Fragestellern. Diese Situationen sind anspruchsvoll, weil sich die Lage bei Störungen laufend verändert.» Die Ursachen reichen von technischen Problemen an Fahrzeugen sowie der Infrastruktur bis zu Personenunfällen.

Schalk arbeitet auch als Dispatcher im sogenannten Operation Center mit acht Bildschirmen vor der Nase. «Ich betrachte es als grossen Vorteil meiner Tätigkeit in Genf, nicht ausschliesslich in der Anonymität eines Dienstgebäudes zu sein. Ich stehe gerne an der Front im direkten Kundenkontakt und lerne die Sorgen und Wünsche der Fahrgäste kennen.»

In der Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen sind immer wieder Mentalitätsunterschiede spürbar. «Bei Störungen in Frankreich kann es stundenlang dauern, bis endlich Lösungen getroffen werden. Ebenso sind Streiks keine Seltenheit. Wir von den SBB dienen den Reisenden dann häufig als Blitzableiter.»

Die Dispatcher im Operation Center greifen bei Störungen ein.

Grosser Aufwand für Störungsinformationen
Viele Reisende empfinden die Kundeninformation der SBB bei Betriebsstörungen als ungenügend. Geharnischte Reklamationen und Kritik in der Presse sind keine Seltenheiten. Früher musste das gestresste Fahrdienstpersonal zuerst die Störung beheben, und die Kundeninformation kam an zweiter Stelle. Um diese zu verbessern, haben die SBB die Operation Centers eingeführt. «In Genf überwachen wir den Lauf der Züge von Genf bis nach Domodossola, Fribourg, Murten, Biel, Delémont, Delle, Vallorbe und La Plaine.

Wir erkennen Verspätungen schon frühzeitig sowie die Konflikte, die sich daraus für die Anschlüsse ergeben. Wir treffen die Entscheidung, ob abgewartet oder der Anschluss gebrochen wird, und ordnen die Ersatzmassnahmen an. Dazu gehören das vorzeitige Wenden stark verspäteter Züge sowie der Einsatz von Autobussen für den Schienenersatzverkehr. Damit unterbrechen wir den Verspätungskreislauf, der sich über den gesamten Tag fortsetzen würde. Die betroffenen Reisenden informieren wir mit Durchsagen direkt in den Eisenbahnwagen.»

Diese neue Regelung hat intern einige Diskussionen ausgelöst. Bisher konnte die Division Infrastruktur bei Störungen über alle zu treffenden Massnahmen selber entscheiden. Die Fernsteuerzentralen bedienen die Weichen sowie Signale und stellen die Fahrstrassen für die Züge ein. Mit den hinzugekommenen Operation Centers der Division Personenverkehr sind heute bei Störungen zwei Instanzen in die Entscheidungen involviert. Das kann zu Reibungsverlusten und somit für die Fahrgäste zu unliebsamen Verzögerungen führen.

Der Eisenbahnenthusiast
Schalk fängt die Reklamationen professionell auf. Nur manchmal wird er sentimental. «Es hat mich geschmerzt, als ich im Dezember 2012 den letzten Nachtzug von Zürich nach Barcelona abgefertigt habe.» Doch das Engagement des Thurgauers bei den SBB geht noch weiter. «Ich stelle mich Railaway als Begleiter von Gesellschaften in den noblen Salonwagen zur Verfügung. Zusammen mit einem Kollegen von Elvetino bediene ich die Fahrgäste von Firmen und Vereinen mit Snacks und Getränken. Mit meinem Fachwissen beantworte ich gerne Fragen zur Eisenbahn. Diese Reisen haben mich bis nach Paris geführt.

Privat gehört Christian Schalk zur grossen Gemeinde der Eisenbahnfans. In der Schweiz gibt es kaum ein Bähnchen, mit dem er nicht gereist ist. Auch über den Polarkreis nach Bodø und Narvik in Nordnorwegen ist er mit dem Zug gefahren. «Aber das Schönste auf Schienen bleiben für mich die Speisewagen der Rhätischen Bahn auf der Albulalinie von Chur ins Engadin, wo in der kleinen Küche bodenständige Menüs frisch zubereitet werden. Das schwungvolle Einschenken des Grappa gehört zur Tradition.»