07.12.2016
TEXT: Melanie HaasFOTOS: Rolf SchaffnerVIDEO: Rolf Schaffner

Daniel Schlagenhauf kümmert sich darum, dass Pflanzen wachsen und gedeihen.

Der Gärtner

Herbst im Frühlingsgarten

Als Gärtner im Botanischen Garten Zürich hat Daniel Schlagenhauf auch in der kalten Jahreszeit einiges zu tun. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt seinen vielseitigen Berufsalltag.

Mitten in der Stadt, neben Tramhaltestellen und viel befahrenen Strassen, liegt der Botanische Garten der Universität Zürich. Zwischen Lärm und Hektik ist er ein Rückzugsort, um dem Alltagsstress zu entfliehen.

An diesem Novembertag ist der Himmel wolkenbehangen. Es liegt ein feiner Duft nach Wald und feuchter Wiese in der angenehm milden und trockenen Luft. Ein Bach plätschert den Mauern des Gartens entlang und untermalt die idyllische Stimmung, die nur sporadisch vom Lärm einer nahe gelegenen Baustelle gestört wird.

Am Eingang versammelt sich eine kleine Gruppe Pflanzeninteressierter, dann beginnt sie ihren Rundgang. Ein Lageplan neben dem offen stehenden Tor hilft, sich zurechtzufinden. Auch im Herbst lockt der Garten mit grünen Wiesen, Bäumen mit orange verfärbtem Laub und den Kuppeln der Tropenhäuser, die aus der Ferne zu sehen sind.

360° Rundumschau im Savannenhaus

Pflanzen und Kakteen im angepassten, warmen Klima der Savanne. Panorama: Rolf Schaffner
Zum Panorama-Viewer

Arbeiten in der Natur

Da wirkt das graue Institutsgebäude der Universität Zürich – an dem hauptsächlich Biologen lernen – wie ein Fremdkörper. Davor wartet Daniel Schlagenhauf. Er ist einer von 18 Gärtnern, die sich, unterstützt von Hilfsgärtnern und Freiwilligen, vor allem in Handarbeit um den Garten kümmern und beispielsweise jede Pflanze entsprechend ihren Bedürfnissen giessen.

Der gebürtige Schaffhauser ist 50 Jahre alt, erscheint durch sein offenes, ruhiges Wesen aber jünger. Er trägt einen dunkelbraunen, mit grauen Strähnen durchsetzten Vollbart und eine abgegriffene Kappe, unter der kurze braune Haare hervorschauen. Seine Ohren zieren runde schwarze Ohrstecker. Er hat ein freundliches Gesicht mit hellen, aufmerksamen Augen.

Berufsbild: Gärtner

Um Gärtner zu werden, gibt es verschiedene Wege:
Während einer zweijährigen Ausbildung kann das eidgenössische Berufsattest in zwei Fachrichtungen erworben werden: zum einen im Garten- und Landschaftsbau, zum anderen in der Pflanzenproduktion.

Während einer dreijährigen Ausbildung kann das eidgenössische Fähigkeitszeugnis (EFZ) in vier Fachrichtungen erworben werden: Garten- und Landschaftsbau, Stauden, Baumschule und Zierpflanzen.

Laut Lohnregulativ 2017 von Jardin Suisse, dem Unternehmerverband Gärtner Schweiz, verdient ein Gärtner (EFZ) mit abgeschlossener Berufslehre 4400 Franken pro Monat, mit mehr als drei Jahren Berufserfahrung 4650 Franken pro Monat und als Obergärtner (EFZ) 5200 Franken.

Seit nunmehr 17 Jahren arbeitet er im Botanischen Garten. Eigentlich ist er gelernter Bäcker, Konditor und Confiseur, erzählt er. Doch er hatte das Bedürfnis, etwas im Freien zu machen, und sehnte sich nach geregelten Arbeitszeiten, weshalb er als ungelernter Friedhofsgärtner in Winterthur anfing. Die Arbeit in der Natur gefiel ihm, und er machte eine Ausbildung zum Zierpflanzengärtner. Nach seinem Abschluss bewarb er sich auf eine Stellenanzeige des Botanischen Gartens und ist seitdem dort tätig.

«Es ist ein Traumjob und eine privilegierte Stelle. Ich kann mir meine Arbeit selbst einteilen, Pflanzen nach meinen Vorstellungen kultivieren und neue Ideen umsetzen.» Zum Beispiel entdeckte er auf einer Exkursionsreise in Südafrika eine Pflanze, die dann ins Sortiment aufgenommen wurde. Oder er erstellt Pflanzenkonzepte für neue Bereiche des Gartens, wie zum Beispiel für die Magerwiese, auf der Orchideen wachsen.

Auch im Herbst viel zu entdecken

Mit grossen, schnellen Schritten macht er sich auf zu seinem Einsatzgebiet. Auf dem Weg dorthin liegt sein primärer Arbeitsbereich, der sogenannte Frühlingsgarten, der im Frühjahr durch seine Farbenpracht zur Geltung kommt. Dort gedeihen verschiedene Stauden, Bäume, Gehölze und einjährige Pflanzen, unter anderem Sommerflor.

Darunter auch einige exotisch anmutende Gewächse wie der japanische Lackbaum, der zwar im Spätherbst keine Blätter mehr trägt, dafür aber perlenartige, herunterhängende Beeren. Oder die Zierquitte, an der kleine gelbe Früchte wachsen.

Daniel Schlagenhauf kennt seinen rund 1200 Quadratmeter grossen Bereich in- und auswendig und bleibt immer wieder stehen, um etwas über die Pflanzen zu erzählen. Der Zierapfel beispielsweise trägt jetzt kleine rote Früchte und sieht aus wie ein blattloser Kirschbaum. «Einige denken, das sind Kirschen. Aber Kirschen im Herbst gibt es natürlich nicht.» Zwischen den Zweigen des Baums hängen auch Misteln, die sich als Halbschmarotzer vom Baum ernähren. «Die Samen gelangten durch den Kot von Vögeln – den Seidenschwänzen – auf den Baum.»

Auch in anderen Bereichen des Gartens hilft er hin und wieder aus, wenn Not am Mann ist. Seine Augen strahlen bei seinen Erklärungen, und ihm ist anzumerken, dass er seine Arbeit gerne macht. «Es befriedigt mich, wenn ich versuche, aus einem kleinen Steckling oder einem Samen eine Pflanze zum Wachsen zu bringen, und damit Erfolg habe. Es gibt verschiedene Pflanzen, die ich spannend finde. Dazu gehört der Ginkgo, wegen seiner schön geformten Blätter und weil er ein Baum ist, der schon seit Urzeiten – seit einigen Millionen Jahren – wächst.»

Das ganze Jahr über Pflege nötig

Obwohl im Frühling und Sommer Hauptsaison ist, fallen auch in der kalten Jahreszeit unterschiedliche Arbeiten an, sagt Daniel Schlagenhauf. Die Beete muss er für den Frühling vorbereiten, indem er zum Beispiel Pflanzen entfernt, die den Winter nicht überleben. Von anderen, einjährigen Gewächsen schneidet er den oberen Pflanzenteil ohne Blüte ab und pflanzt diese Stecklinge in ein spezielles Vermehrungssubstrat – eine nährstoffarme, luftige Erdmischung. Dort bilden sie neue Wurzeln und werden dann zwischen April und Mai wieder ausgepflanzt.

Bei seinen Unterhaltsarbeiten schneidet der Gärtner auch Bäume und Sträucher zurück. «Um bei Obstbäumen den Ertrag zu steigern, bietet sich der Pyramidenschnitt an. Der Baum sollte wie eine Pyramide aussehen, damit überall gleich viel Licht hinkommt. Einjährige Triebe oder Wassertriebe – das sind gerade hochwachsende Triebe, die keine Fruchtansätze aufweisen – können einfach entfernt werden, wenn die Bäume regelmässig geschnitten werden.» Wenn lange nichts mehr gemacht wurde, mahnt er allerdings zur Vorsicht, da ein Schnitt immer eine Verletzung des Baums darstellt.

Zudem erntet er im Herbst Samen aus seinem Verantwortungsbereich, die er reinigt und dann für den Eigenbedarf oder den internationalen Samentausch mit anderen Botanischen Gärten in Tütchen abfüllt. «Samen einsammeln hatte ich vorher noch nie gemacht. Es ist aber etwas, das ich sehr spannend finde.» Sollte beispielsweise eine seltene Pflanzenart eingehen, kann er nachschauen, an welchen Garten er Samen dieser Pflanze geliefert hat, und sich davon wieder welche bestellen, erklärt er. Auf diese Weise können auch seltene Arten bewahrt werden.

Bei seiner Arbeit als Friedhofsgärtner machte er tagelang nichts anderes als jäten und Gräber pflegen. «Jäten ist eine mühsame Aufgabe», sagt Daniel Schlagenhauf. Umso mehr schätzt er die Tätigkeit im Botanischen Garten. «Wir haben zum Glück viel Abwechslung – von Unterhaltsarbeiten über Kultivieren von Pflanzen oder Sameneinsammeln bis hin zur Datenbankpflege.»

Zarte Pflänzchen zum Wachsen bringen

Auf der gegenüberliegenden Strassenseite des Botanischen Gartens befinden sich Tiefbeetkästen und Gewächshäuser. Diesen Arbeitsplatz teilt er sich mit Mitarbeitenden aus der Pflanzenforschung, die am Institut für systematische und evolutionäre Biologie forschen. In den Tiefbeetkästen, die etwas tiefer in die Erde gebaut sind und wie kleine Gewächshäuser aussehen, überwintern frostempfindliche Pflanzen, die im Herbst von den Gärtnern ausgegraben werden.

Daniel Schlagenhauf öffnet die Tür zu einem Anzuchtgewächshaus. Hier ist es wärmer als draussen, weshalb er seine Jacke ablegt, unter der ein grün-schwarz kariertes Flanellhemd zum Vorschein kommt.

Mit viel Licht und Wärme fühlen sich die kleinen Stecklinge wohl.

In der Mitte des Gewächshauses stehen Pflanzen in unterschiedlichen Wachstumsstadien auf mehreren aneinandergereihten Tischen. Rechts und links befinden sich weitere Stecklinge, meist in speziellen Vermehrungsbeeten. Geschützt unter einer Folie und mit separater Beleuchtung, haben sie hier optimale klimatische Bedingungen zum Wachsen. So bilden sie innerhalb von drei bis vier Wochen Wurzeln und werden umgetopft.

Heute widmet sich Daniel Schlagenhauf den südafrikanischen Gazanien. «Das ist eine alte Sorte, die früher auf dem Markt erhältlich war, aber mit der Zeit verschwunden ist.» Die Stecklinge sind in kleinen runden Vertiefungen in einer weissen Plastikschale – dem Vermehrungs- oder Anzuchtbeet – eingepflanzt. Die dünnen länglichen Blätter schimmern weisslich, da sie mit feinen Härchen bedeckt sind.

Daniel Schlagenhauf trägt die Plastikschale mit den bewurzelten Stecklingen zu einem Tisch mit nähstoffreichem Substrat – einem Gemisch aus selbst hergestelltem Kompost, hochwertiger Erde, natürlichem Langzeitdünger, Kokosfasern und Perlit, das aussieht wie kleine weisse Styroporkügelchen. Das Vulkangestein Perlit ist luft- und wasserdurchlässig, was für eine gute Versorgung der Pflanzen wichtig ist.

Behutsam drückt er ein Pflänzchen aus der Plastikschale, nimmt mit einem grösseren Pflanztopf etwas Erde auf, setzt die Gazanie hinein und gibt zwei Hände voll Erde in den Topf. Danach drückt er die Erde leicht an und stellt den Topf in eine grüne Tragekiste aus Plastik.

Routiniert topft er so Pflanze um Pflanze um, bis die Kiste voll ist. Er arbeitet konzentriert und sorgfältig, geht vorsichtig mit den kleinen Pflänzchen um und stellt sie sorgfältig geordnet zurück auf den Tisch in der Mitte des Gewächshauses. Anschliessend topft er zwei weitere Anzuchtschalen um.

Daniel Schlagenhauf schätzt diese Handarbeit. «In vielen Gärtnereien gibt es sie gar nicht mehr, da bei grossen Mengen ein Umtopfroboter eingesetzt wird oder die Pflanzen schon vorgezogen in der Gärtnerei ankommen.»

Die umgetopften Stecklinge wachsen jetzt ungestört in den Töpfen, bis sie Daniel Schlagenhauf im Frühjahr wieder auspflanzt. Allerdings braucht er dafür nicht alle Pflanzen. Darunter sind einige Reservepflanzen, falls die eine oder andere eingeht. «Die übrigen Pflanzen können dann im Frühling an unserem Pflanzenverkaufsstand von den Gartenbesuchern gegen eine Spende mitgenommen werden.»

Vorher müssen die Pflanzen aber abgehärtet und an die Aussentemperaturen sowie das Sonnenlicht gewöhnt werden. Dazu setzt sie der Gärtner in eine Frühbeetanlage in den Aussenbereich und bedeckt sie mit einem speziellen Schattiertuch, mit dem die Pflanzen bei zu starker Sonneneinstrahlung geschützt sind, aber trotzdem noch genug Licht abbekommen. «Die Gazanie ist relativ lichtunempfindlich, da ihre weissen Härchen das Licht ganz gut reflektieren.»

Zum Schluss wässert er die Pflanzen, schiebt die Erde zusammen und wäscht sich sorgfältig die Hände. Dann macht er sich auf den Weg zu einem Kollegen. Er wird ihm helfen, kälteempfindliche Pflanzen mit Laub winterfest zu machen.

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Impressionen aus den Tropenhäusern im Botanischen Garten Zürich. Video: Rolf Schaffner

Der Botanische Garten der Universität Zürich

Der Botanische Garten ist eine «grüne Oase» mitten in Zürich und dem Institut für systematische und evolutionäre Biologie der Universität angeschlossen. Er wurde 1977 im Park der ehemaligen Villa «Schönau» eröffnet. Auf einer Fläche von rund 53 000 Quadratmetern – was etwa der Grösse von fünf Fussballfeldern entspricht – wachsen etwa 8000 verschiedene Pflanzenarten aus der ganzen Welt. Jährlich besuchen bis zu 130 000 Personen den Garten.

Angepasst an die jeweiligen Bedürfnisse der Pflanzen, gliedert sich der Garten in verschiedene Bereiche, die immer wieder umgestaltet oder erneuert werden. Wie zum Beispiel die Tropenhäuser mit allerlei exotischen Pflanzen, das Alpinum mit vorwiegend einheimischen Pflanzen sowie der Mittelmeergarten, der Frühlingsgarten, der Nutzpflanzengarten, die Fleischfresser oder die Wasserpflanzen. Darunter sind auch seltene oder bedrohte Pflanzenarten.

Der Garten ist nicht nur Forschungszentrum und Ausbildungsstätte für angehende Biologen, sondern dient dazu, botanisches Interesse zu wecken und Besuchern die Pflanzenwelt näherzubringen.

Diverse Führungen, Veranstaltungen oder Kurse bieten für interessierte Besucher oder auch Schulklassen vielfältige Möglichkeiten, sich über die Pflanzenwelt zu informieren.

Der Garten ist das ganze Jahr über geöffnet, und der Eintritt ist kostenlos.