17.05.2016
FOTO UND TEXT: Nicole Bielander

Werner Brandenberger lebt mit seiner Gleitschirmschule in Goldingen und Wald (ZH) seinen Traum. Sein Hund Leo holt ihn immer wieder auf den Boden zurück.

Mein Tag als

Gleitschirmfluglehrer

Werner Brandenberger war Banker in Zürich. Die internationale Kundschaft weckte seinen Abenteuergeist, 1971 zog es ihn nach Amerika. 1975 kehrte er in die Schweiz zurück. Heute betreibt er die Gleitschirmschule «ZüriOberland» in Goldingen.

«Ich gelte in der Branche als besonders taff. Viele schätzen meine strenge Haltung gegenüber einer fundierten Grundschulung. Meine Schüler wissen, dass sie bei mir keine Schnellbleiche durchlaufen. Fliegen soll Spass und nicht Angst machen. Die Gleitschirmgrundausbildung dauert bei mir im Schnitt zehn Halbtage. Oder so lange, bis alles sitzt. Dies ist bei weitem nicht Standard in der Schweiz, denn viele Interessenten können oder wollen nicht die Zeit investieren, um unter professioneller Führung nachhaltig Flugsicherheit zu gewinnen.

Mein Alltag richtet sich nach dem Wetter. Es erfordert Flexibilität und Improvisationstalent. Bei ungünstigen Witterungsverhältnissen fliegen wir nicht. Dann erledige ich Einkäufe und Telefonate, kümmere mich um die Buchhaltung oder feile an neuen Projekten weiter. In der Regel weiss ich am Vortag, ob ich einen Schnupper- oder Trainingsflug absagen muss. Im Zweifelsfall geht Sicherheit vor.

Als ich 1975 in die Schweiz zurückkam, herrschte hier Rezession. Ich wollte wieder einen sicheren Job in der Bank finden. Der Personalchef einer Grossbank lud mich zum Vorstellungsgespräch ein. Er gab mir zu verstehen, ich könne mich glücklich schätzen, überhaupt einen Job zu kriegen. Da stand ich auf, gab ihm die Hand und ging.

Zur gleichen Zeit wollte ein Bekannter die erste Deltaflugschule der Schweiz aufbauen. In Wald im Zürcher Oberland, von wo ich herkomme. Ich half ihm, ich hatte ja Zeit. 

Bald wurde ihm der Trubel zu viel, und ich übernahm die Schule. Ich machte Werbung, so gut es damals ging, vervielfältigte Matrizen-Flyer mit einem Spiritusdrucker und verteilte sie in Läden. 

Meine Flugschule wollte ich nicht ewig betreiben. Am 7.7.77 nahm ich mir so halb als Jux vor, bis zum 8.8.88 Millionär geworden zu sein und etwas anderes zu machen. Der Gleitschirmboom ab 1986 hielt mich jedoch davon ab. Gleitschirmfliegen finde ich noch faszinierender als Deltafliegen. Man ist unabhängiger, kann praktisch auf jedem Berg landen, etwas essen und weiterfliegen.

So nahm ich mir vor, am 9.9.99 aufzuhören. Ich liebe Schnapszahlen. Dennoch verkaufte ich bereits 1995 meine Flugschule und reiste während dreier Jahre mit einem alten Jeep von Kanada bis nach Feuerland. Meine Flugausrüstung hatte ich natürlich dabei.

Vor jedem Flug checke ich sorgfältig die Ausrüstung und das Wetter. Auch meinen Schülern mache ich bei jeder Gelegenheit klar, wie überlebensnotwendig eine systematische Kontrolle ist. 

2003 gründete ich eine neue Gleitschirmschule. Es machte enorm Spass; plötzlich war ich wie ein Vater für meine Flugschüler, war jemand, der viel erlebt hat und von dem sie sich Ratschläge einholten.

Heute suche ich mir meine Schüler aus, höchstens 20 pro Jahr. Ich empfehle jedem erst einmal einen Schnuppertag. Das kostet derzeit 120 Franken. 

Ernsthafte Interessenten lade ich gerne zu einem Kaffee ein, und nur wenn die Chemie gegenseitig stimmt, verbringen wir die nächsten Monate zusammen. 

Für eine Pauschale von 1900 Franken erhalten meine Flugschüler während 18 Monaten eine unbegrenzte Anzahl Schultage jeder Stufe. Hinzu kommen Kosten in Höhe von circa 6000 bis 7000 Franken für die Ausrüstung. Jeder Schüler hat einen Gleitschirm, den er über die Schule bezieht, mit einem Design in limitierter Auflage. Dies ist einmalig und macht Spass.

Dem Himmel über Flims ein Stück näher: Brandi kann sich ein Leben ohne das Fliegen nicht vorstellen. Foto: Gleitschirmschule «ZüriOberland»

Zurzeit gibt es etwa 15 000 aktive Gleitschirmflieger und Deltasegler in der Schweiz. Gleitschirmfliegen ist statistisch gesehen sicherer als Töfffahren und gilt versicherungstechnisch nicht als Risikosportart. Base Jumping und andere Hochrisikosportarten zählen zu einer anderen Szene.

Beispiele aus meiner eigenen Flugpraxis sind für mich ein gutes Instrument, um meinen Schülern Eigenverantwortlichkeit, Selbständigkeit und das richtige Gespür für intuitives Handeln zu vermitteln. Denn Selbstüberschätzung kann lebensgefährlich sein. Ich flog in 40 Jahren 12 000 bis 13 000 Flüge und verunfallte zweimal leicht, beide Male aus Übermut. Als Fussballer hätte ich mich häufiger verletzt.

Mein Sport unterliegt keinen ständig wechselnden Trends. Anfänglich liefen Gleitschirmflieger wie bunte Papageien herum. Das legte sich bald wieder. Die Gleitschirmausrüstungen wurden zwischenzeitlich immer leichter und ausgefeilter. Die leichteste Ausrüstung wiegt derzeit 4,5 Kilo mit Sitz und Helm, der leichteste Gleitschirm knapp 900 Gramm. 

Neben Flugausbildungen in Theorie und Praxis biete ich jedes Jahr mehrere Gruppenreisen und Flugexkursionen im In- und Ausland an. Dann stehen Teamgeist, Thermik und tolle Tage auf dem Programm. Eine der ersten Gruppenreisen führte uns 1977 nach Rio de Janeiro. Einmal flogen wir vom Corcovado, vom Gelände vor der Jesusstatue aus, auf eine Rennbahn – und wurden verhaftet. 1981 überflog ich als erster Mensch mit dem Delta Hongkong. 

Wenn ich Zeit finde, geniesse ich bei gutem Wetter auch mal eine Flugrunde für mich. Meist starte ich vom Übungshang meiner Flugschule aus. Die Sicht auf den Zürichsee ist hier einfach grandios. Mein Hund Leo verfolgt jeweils meine Flüge und freut sich tierisch, wenn ich schon nach kurzer Zeit wieder neben ihm lande.

Meinen allerschönsten Flug erlebte ich in den Dolomiten. Plötzlich flankierten mich zwei Steinadler und eskortierten mich 20 Minuten lang. Ich sah fast nichts, so ergriffen war ich. Die Steinadler hatten mich in ihren Kreis aufgenommen. Ich war einer von ihnen. Dieses Erlebnis macht für mich den Traum vom Fliegen aus und steht für mein Unternehmensmotto: ‹Du chasch dich bi eus bis fascht zum Vogel uusbilde laa›.»

Die Welt aus der Vogelperspektive erleben: Diesen Traum erfüllen sich Brandis Reiseteilnehmer, wenn sie mit ihm abheben, wie hier in der Türkei. Foto: Gleitschirmschule «ZüriOberland»