25.07.2016
FOTOS UND TEXT: Nicole Bielander

Die Brüder Peter (links) und Philipp Oechslin haben von ihrem Vater Karl Oechslin (hinten) die weit über Einsiedeln hinaus bekannte Lebkuchenspezialitätenbäckerei Goldapfel übernommen.

Nischenbäckerei Goldapfel

«Wir experimentieren mit unseren traditionellen Spezialitäten»

Die Lebkuchenbäckerei Goldapfel ist eine Einsiedler Institution. In nunmehr zehnter Generation stellt Familie Oechslin weit herum beliebtes Wallfahrtsgebäck nach uralten Rezepten her. Doch auch sie muss am Ball bleiben.

Die Spezialitätenbäckerei Goldapfel in Einsiedeln (SZ) ist die älteste Lebkuchenbäckerei der Schweiz. Formvollendete gefüllte Lebkuchen, eigenwillig geformte Schafsböcke und kunstvolle Pralinékreationen locken den Betrachter in den neuen Verkaufsladen an bester Lage, direkt beim Klosterplatz. Dieses Ladenlokal eröffnete Familie Oechslin im Mai dieses Jahres. In nunmehr zehnter Generation stellt sie Wallfahrtsgebäck nach Originalrezept und andere Spezialitäten her.

Traditioneller, gefüllter Lebkuchen mit Einsiedler Kloster

Dies hätte sich Elisabeth Steinauer-Kälin wohl kaum je träumen lassen. Als ihr 1724 per Krämerverordnung ein Standort zum Verkauf von selbst hergestelltem Wallfahrtsgebäck zugewiesen wurde, ahnte sie sicher nicht, dass sie den Anfang der Generationenkette der Spezialitätenbäckerei Goldapfel bilden würde. Für sie war das Backen und Verkaufen von haltbarem Honiggebäck an Pilger ein Nebenerwerb, wie für viele andere Einsiedler Hausfrauen auch. Eine Stand- und Verkaufslizenz erhielt lange Zeit nur, wer den Honig für das Pilgergebäck vom Kloster Einsiedeln kaufte. 

Doppelte Herausforderung für das Gewerbe

Dies ist heute nicht mehr so. Doch Gegengeschäfte und Allianzen sind in Einsiedeln durchaus ein Thema. Die Beschaulichkeit dieses meistbesuchten Wallfahrtsortes der Schweiz wird durch das digitale Zeitalter und Einkaufszentren eingeholt. «Einsiedeln hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Einige Grosshandelsverteiler haben hier Filialen eröffnet. Dies hat etliche kleine Läden verdrängt. Die Grossisten verkaufen zwar zum Teil unsere lokalen und regionalen Spezialitäten. Doch der Preisdruck ist für uns Produzenten enorm», erklärt Philipp Oechslin. Er weiss, wovon er spricht. Zusammen mit seinem Bruder Peter hat er vor kurzem die Geschäftsführung der Spezialitätenbäckerei vom Vater Karl Oechslin übernommen. Beide Brüder arbeiten seit zehn Jahren im Betrieb. 

Den Erwerb des Ladenlokals im Stockwerkeigentum mit Sicht auf das Einsiedler Kloster und die Eröffnung im Mai nahm Karl Oechslin zum Anlass, sich 65-jährig aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen. Der hervorragende Standort ist für die Traditionsbäckerei von grosser Bedeutung. Denn die einstigen Pilgerströme wurden durch Tagestouristen ersetzt, die den Wallfahrtsort nach der Klosterbesichtigung meist gleich wieder verlassen. Viele Neuzuzüger pendeln und kaufen lieber in grossen Läden mit breitem Produktangebot ein. 

Immer neue Verkaufskonzepte zur Kundengewinnung

Das ortsansässige Gewerbe muss sich immer neu erfinden, um die Aufmerksamkeit potenzieller Kunden auf sich zu lenken, und tut dies auch. Einige Spezialitätenproduzenten figurieren unterdessen auf der Homepage von Einsiedeln Tourismus als Ausflugsziele, darunter eine Schaukäserei, eine Kaffeerösterei und das älteste Lebkuchenmuseum der Schweiz. Es gehört Familie Oechslin. 

Die Teigmasse wird in dekorativen Lebkuchenmodeln appetitlich in Form gepresst.

Das Schafbock- und Lebkuchenmuseum Goldapfel befindet sich in der ursprünglichen Produktions- und Verkaufsstätte der Goldapfel-Bäckerei. Karl Oechslin liess es 1997 liebevoll nach dem Originalvorbild von 1896 restaurieren und entführt seitdem auf Anmeldung während eineinviertelstündigen Apéro-Führungen die zahlenden Teilnehmer in eine andere Zeit. Der Bäcker-Konditor-Meister kennt die Geschichte von Einsiedeln, einst eine wichtige Pilgeretappe auf dem Jakobsweg, wie kaum ein anderer. Das aus eigenen Finanzmitteln eingerichtete Museum ist sein Steckenpferd und Besucherführungen sein Hobby. Dies möchte Karl Oechslin vorderhand beibehalten. Ausserhalb vorbestellter Führungen kann jeder Interessent das Lebkuchenmuseum während regulärer Geschäftszeiten gratis besichtigen.

Synergiennutzung zur Stärkung der Marktposition 

Seine Söhne gehen derweil andere Wege, um das Geschäft zu beleben. «Einige Jungunternehmer gleisen miteinander Projekte auf», erklärt Philipp Oechslin. «Wir bieten beispielsweise in unseren Läden gegenseitig unsere Spezialitäten an.» Gemeinsam mit der Milchmanufaktur Einsiedeln AG, der Dreiherzen-Rösterei und einem Rosoli-Likörproduzenten ist zudem eine Tour durch Einsiedeln mit Degustationen geplant.

Marketing, Buchhaltung und Vertrieb unterstehen dem 34-jährigen Philipp Oechslin, der ursprünglich im kaufmännischen und im Bankensektor tätig war. Der 31-jährige Peter Oechslin erfüllte sich seinen Berufswunsch als Bäcker und ist somit für die Produktion zuständig.

Geschichte und Tradition als Markenzeichen

In der Produktion beginnt der Arbeitstag morgens um sechs Uhr. Jeden Tag werden frische Schafböcke gebacken. Die Form des hellen Honigteiggebäcks stellt ein auf einem runden Rasenplatz ruhendes Schaf dar. Es steht für das Lamm Gottes als Sinnbild für Jesus Christus. Schafböcke machen rund die Hälfte der Gesamtproduktion aus. Ebenfalls sehr beliebt sind die Einsiedler Lebkuchen, die mit rund 35 Prozent auf Platz zwei folgen. Die braunen Spezialitäten bestehen aus demselben Teig wie die Schafböcke sowie Lebkuchengewürz. Bei den weissen Spezialitäten wird der Honigteig mit schaumig gerührten Eiern angereichert. Beide Varianten weisen dieselbe Mandel- und Haselnussfüllung auf. Sie werden in unterschiedlichen Formen und Grössen als Einsiedler Kräpfli, Lebkuchenscheiben, Schäfli, Herzli, Bouquets und Biberli angeboten. Ebenfalls beliebt sind die selbst hergestellten 20 Pralinésorten. Viele Produktionsschritte erfordern noch Handarbeit. 

Einsiedler Lebkuchenspezialitäten werden nach einem jahrhundertealten Rezept hergestellt.

Besondere Produktionsspitzen erfährt die Spezialitätenbäckerei in der Pilgerzeit im Mai und vor Weihnachten, aber auch während lokaler Events, etwa des diesjährigen Innerschweizer Schwing- und Älplerfests im Juni. Für diese Spitzen wird möglichst viel vorproduziert; die Lebkuchen lassen sich ohne Qualitätsverlust einfrieren.

Nischenprodukte ergänzen Kernsortiment

Gegen Jahresende bestellen auch viele Firmen Lebkuchenspezialitäten mit individualisiertem Logo-Aufdruck auf Oblaten. Die gibt es bereits ab 2.60 Franken pro Stück. «Wir experimentieren auch viel an Neuentwicklungen», erklärt Philipp Oechslin. Etwa an Lebkuchen mit eingeprägtem Logo statt der traditionellen Motive wie des Einsiedler Klosters. Hierzu dürfen die Logos aber nicht zu filigran sein. Und die Lebkuchenmodel haben auch ihren Preis. Für den Postversand wurden eigens flache Lebkuchenscheiben und Verpackungen entwickelt, die sich als Grossbrief versenden lassen.

Die Spezialitäten werden weltweit verschickt, aber nur gegen Vorauszahlung vor Ort. Über das Internet lassen sich die Köstlichkeiten ebenfalls bestellen, doch es werden nur Aufträge innerhalb der Schweiz entgegengenommen. 

Neue Zielgruppen erschliessen

Heute bilden Pilger nicht mehr die Hauptkundschaft. Die meisten Kunden sind Schweizer, darunter viele Ortsansässige, die Einsiedler Spezialitäten als Gastgeschenk mitbringen. Im neuen Verkaufsgeschäft am Klosterplatz kommen vermehrt auch andere, eilige Kundengruppen wie asiatische Touristen in den Laden, denen kein Zeitfenster für Streifzüge durch die Altstadt zur Verfügung steht. Darauf hatte Familie Oechslin abgezielt. Das Konzept scheint aufzugehen.

Karl Oechslin freut sich über den Geschäftssinn seiner Söhne. Er wird ihnen in Zukunft als Berater und bei personellen Engpässen weiter zur Seite stehen. Ob es ihm nicht schwerfiel, sein Werk zu übergeben? «Ich vertraue meinen Söhnen und glaube an sie», sagt Karl Oechslin mit einem stolzen Lächeln und stellt sich für das Familienfoto in die zweite Reihe.

 

Das Hauptgeschäft der Spezialitätenbäckerei Goldapfel befindet sich seit Mai 2016 direkt beim Klosterplatz.

Mit diversifiziertem Angebot auf Wachstumskurs

Die Produktion von Einsiedler Spezialitäten lässt sich verbrieft bis 1724 zurückverfolgen, als Elisabeth Steinauer-Kälin ein Standort zum Verkauf von Wallfahrtsgebäck zugewiesen wurde. Sie ist Urahnin der jetzigen Betreiber der Spezialitätenbäckerei Goldapfel. 

Etabliert wurde die Goldapfel-Bäckerei unter diesem Namen vom Nachfahren Jakob Eberle, der 1850 seine Schusterei in einen florierenden Wallfahrtsgebäck-Produktionsbetrieb umrüstete. Heute befindet sich darin das 1997 eröffnete Schafbock- und Lebkuchenmuseum Goldapfel. 

Der Familienbetrieb umfasst zwei Verkaufsfilialen, eine 2007 in Betrieb genommene Produktionsstätte sowie das Museum, das sich während regulärer Verkaufszeiten gratis besichtigen lässt. Gegen Voranmeldung werden Apéro-Führungen für maximal 20 Personen zu einer Preispauschale von 200 Franken angeboten.

Das Familienunternehmen mit vier Mitarbeitenden in der Produktion sowie sieben Teilzeitangestellten im Ladenverkauf wird seit Mai 2016 in zehnter Generation von den Brüdern Philipp und Peter Oechslin geführt. Die Einzelfirma wurde im Juni 2016 in die Goldapfel AG umgewandelt. Der Jahresumsatz beläuft sich auf rund eine Million Franken.