26.01.2016

Ursula Hauser ist eine Kämpfernatur.

Frau mit Überzeugungen

Eine Sozialistin der Tat

Ursula Hauser, 69, aus Kilchberg (ZH) lebt seit über 30 Jahren in Lateinamerika. Dort engagiert sie sich in Psychodramagruppen, um traumatisierten Opfern von Gewalttaten zu helfen. Jeweils nur für kurze Zeit führt ihr Weg wieder in die Schweiz.

Sie ist wieder auf dem Sprung. Bereits in drei Tagen wird Ursula Hauser einmal mehr nach Israel fliegen, um nach Gaza in Palästina weiterzufahren. Eine Reise mit Hindernissen. Doch Schwierigkeiten können die Kämpferin nicht entmutigen.

Vorläufig blickt sie noch mit Skepsis auf das wilde Schneetreiben vor ihrer kleinen Wohnung in der Alterssiedlung von Kilchberg. Der Winter ist nicht ihre Jahreszeit. Schon eher sind für sie die Sonne und die Hitze zum Normalfall geworden. Einige Fotos erinnern an aufregende Jahre in Lateinamerika. Besonders ins Auge sticht das Bild ihres verstorbenen Ehemanns zusammen mit Che Guevara. Das bisherige Leben von Hauser ist ein Kreislauf. Neben Uruguay und Costa Rica wohnt die 1946 Geborene zeitweise in einer Alterssiedlung in Kilchberg, wo auch ihre hochbetagte Mutter lebt. In Kilchberg an der gleichen Strasse hatte Ursula ihre behütete Kindheit verbracht.

Die damalige Zeit war von kleinbürgerlichen Regeln geprägt. Was im Dorf und von Nachbarn gedacht wurde, war von grosser Wichtigkeit. So waren Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen sowie das Thema Sexualität ein Tabu. Ein willkommenes Ventil bedeuteten die Freiheiten bei den Pfadfindern. Hauser wurde Lehrerin und verzeichnete Erfolge mit der unorthodoxen Schulung der Kinder, die nach Lust und Laune grosse Papierflächen bemalen durften, die an den Wänden des Schulzimmers hingen. Beim Besuch von sogenannten Respektspersonen blieben die Kinder auf ihren Plätzen sitzen. «Mein antiautoritärer Unterricht passte der Schulleitung nicht, weshalb ich schliesslich hinausgeekelt wurde», resümiert Hauser.

Politisierung während der 68er-Bewegung

Als Sportlehrerin für Kinder unterprivilegierter Eltern in den USA geriet Ursula Hauser 1968 mitten in die rebellische Hippiezeit des «Summer of Love» in San Francisco und in die Protestbewegung gegen den Vietnamkrieg. Diese Ereignisse und die Aufbruchsstimmung politisierten Hauser und bestimmten ihr weiteres Leben. Es war die Geburtsstunde eines niemals erlöschenden Gerechtigkeitssinns und der Hinterfragung gesellschaftlicher Machtverhältnisse. Bei nahezu allen politischen Fragen hat Ursula Hauser eine Meinung und wartet mit den Ursachenanalysen auf. Dabei ist sie keine Theoretikerin oder Cüpli-Sozialistin, sondern eine Frau der Tat.

Zurück in der Schweiz absolvierte sie ein Psychologiestudium an der Universität Zürich und arbeitete gleichzeitig als Lehrerin und Schultherapeutin. Statt wie viele ihrer Kommilitonen die Karriere einer gut verdienenden Psychotherapeutin einzuschlagen, erlernte sie die Methode des Psychodramas, der Verbindung von Theater und Therapie. Damit werden konfliktbeladene Lebenssituationen szenisch aufgearbeitet und bewältigt.

Die grosse Liebe in Nicaragua

Als Hauser 1980 nach Nicaragua reiste, um auf Einladung des sandinistischen Gesundheitsministeriums für zwei Jahre ein Projekt im psychopädagogischen Bereich zu verwirklichen, hatte sie noch keine Ahnung, dass dieser Schritt die Emigration nach Lateinamerika bedeuten würde. 1979 hatte die Befreiungsfront der Sandinisten die korrupte Somoza-Dynastie gestürzt. Sie lernte im engen Zusammenleben mit Menschen, die gefoltert wurden, dass solche traumatisierenden Erfahrungen meistens das Vertrauen in die Menschheit zerstören und nicht wiedergutzumachen sind. «Dabei spielt eine Rolle, welche Abwehrmechanismen das Opfer zur Verfügung hat und ob in seiner frühen Kindheit eine Basis zum Urvertrauen gebildet wurde», erklärt Ursula Hauser nachdenklich. «Gleichzeitig engagierte ich mich für die Alphabetisierungskampagne der Regierung.

In Nicaragua verliebte ich mich in Antonio Grieco, der in Uruguay bei den Guerillas der Tupamaros gekämpft hatte. Er war zeitweise ein Weggefährte von Che Guevara.» Die beiden heirateten und lebten 16 Jahre glücklich zusammen. «Es war das Glück, die Liebe und die Politik verbinden zu können.» Doch dann starb Antonio an den Spätfolgen der Folter, die er im Gefängnis der Militärdiktatur in Uruguay erlitten hatte.

Dr. Ursula Hauser

Auch nach diesem schweren Schicksalsschlag und manchen Desillusionen ist Ursula Hauser ihren Idealen treu geblieben. Nach dem Tod ihres Mannes wurde sie in Costa Rica fünf Mal überfallen und ausgeraubt. Es macht sie wütend, dass so viele der damaligen 68er ihr politisches Engagement heute als Jugendsünde belächeln. Oder sich bequem zurücklehnen und sich mit schöngeistigen Diskussionen weiterhin als Linke wähnen.

Sie schrieb die Dissertation «Mujeres en camino – Frauenleben im politischen Wandel – Eine ethnopsychoanalytische Untersuchung mit Städterinnen und Landarbeiterinnen in Nicaragua». Die Arbeit wurde von der Universität Zürich mit der Begründung abgelehnt, dass der Begriff «Revolution» nicht wissenschaftlich und das Thema zu politisch sei. Zudem eigne sich die Psychoanalyse nicht für sozialpsychologische Untersuchungen. Eine Retourkutsche für die frühere aufmüpfige Studentin und Maoistin? Darauf reichte Hauser ihre Doktorarbeit an der Universität Klagenfurt ein und promovierte im Jahre 1994.

Engagement für Kuba

Ein besonderes Anliegen ist ihr das Engagement für Kuba, das während vieler Jahre die schwärmerische Hoffnung zahlreicher Anhänger des Sozialismus war. Zwar erkennt auch sie die Mängel der Planwirtschaft. Zudem habe Kuba zu wenig gegen die frühere wirtschaftliche Abhängigkeit von der UdSSR unternommen. «Unbestritten sind hingegen die Errungenschaften des kubanischen Sozialismus wie die gute Schuldbildung und das Gesundheitswesen», sagt Ursula Hauser.

In der Psychodramagruppe arbeitet Hauser auch mit der Schwester von Raúl Castro, dem kubanischen Präsidenten, zusammen. Sorgen bereiten ihr die zunehmenden Tendenzen zur Verwestlichung der kubanischen Jugend. Auch ihr übriger Blick auf Lateinamerika ist von gemischten Eindrücken geprägt. «Ein Glück ist das Ende der Folterdiktaturen wie etwa in Chile und Argentinien. Grosse Probleme sind weiterhin die Misswirtschaft und die Korruption sowie die Kriminalität und der häufige Drogenkonsum.» Als Feministin missfällt ihr auch der «Machismo» verbunden mit Gewalt gegen Frauen. 

Tabuisierte Kritik an Israel

Damit ihr Werk bestehen kann, gründete sie die Stiftung «Fundación Ursula Hauser». Unterstützt von Schweizer NGO wie Medico International Schweiz, reist die Autorin auch nach Gaza in Palästina, um Psychodramakurse für traumatisierte Opfer durchzuführen. Das schweizerische Departement für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) sorgt für die Einreisebewilligungen. «Bei diesem Einsatz mache ich eine besondere Erfahrung, nämlich die Tabuisierung der israelischen Schikanen und Gewalttaten. Dazu gehören Mauerbau, Checkpoints, Ausgrenzungen und Demütigungen der palästinensischen Bevölkerung. Um Diskussionen auszuweichen, werden Kritiker in die braune Ecke gestellt.» 

Wer Ursula Hauser begegnet, fühlt sich von ihrem fröhlichen Temperament und den festen Überzeugungen elektrisiert. Der Geist der wilden 1960er-Jahre und der optimistische Zukunftsglaube jener Zeit liegen in der Luft. Viele Träume von damals sind nicht in Erfüllung gegangen. Doch solange es solche Menschen gibt, bleibt die Hoffnung auf eine bessere Welt bestehen.

Lesen Sie hier die Buchbesprechung

Ursula Hauser hinterfragt die gesellschaftlichen Machtverhältnisse.