26.05.2017
FOTOS UND TEXT: Daniel Wallimann
Für Jennifer Diener ist das Krematorium Sihlfeld gleichzeitig Arbeitsplatz und Ort des Verweilens.

Für Jennifer Diener ist das Krematorium Sihlfeld gleichzeitig Arbeitsplatz und Ort des Verweilens.

Arbeitsalltag

Bestatterin als Berufung

Anstatt Wände zu streichen, richtet Jennifer Diener heute Verstorbene her. Bereut hat die junge Bestatterin diesen Schritt bisher nicht.

Jennifer Diener öffnet die Glastür. Sie ist dezent geschminkt und trägt das Haar hinter dem Kopf zusammengebunden, damit es sie bei der Arbeit nicht stört. Dazu eine glatt gebügelte Bundfaltenhose und einen dunkelgrauen Pullover – so wie die anderen Bestatter auch.
Als Frau hat sie sich in dieser «Männerdomäne» erst einmal Respekt verschaffen müssen. Weil nach wie vor ein Bild vorherrsche, dass junge und attraktive Frauen vor allem hinter dem Computer eine gute Figur machen würden. Jennifer Diener hingegen packt lieber an. Das machte sie bereits während ihrer Lehre zur Malerin. In den Jahren danach arbeitete sie auf Baustellen – vor allem unter Männern. «Und da ging es zwischendurch ruppig zu und her», so die Bestatterin. Gestört hat es sie nicht. Sie hat ein dickes Fell. Heute ist Jennifer Diener die einzige Frau in einem 14-köpfigen Fahrdienstteam im Dienst der Stadt Zürich. Zwar würden immer mehr Frauen den Beruf ausüben, doch sie sei nach wie vor die Ausnahme und nicht die Regel.

An Grenzen stossen, Neuland suchen
Ende 20 überkam sie der Wunsch nach einer beruflichen Neuorientierung. Der Malerberuf befriedigte sie in keinem Masse mehr, die Herausforderungen schwanden mit jedem neuen Tag und Auftrag, und so entschied sie sich, den eingeschlagenen Weg zu verlassen. «Ich wollte nicht mehr länger Wände streichen», sagt sie, und so stiess sie zufällig auf dieses Stelleninserat, in dem ein Bestatter gesucht wurde. Auf ein erstes Telefonat folgte das Bewerbungsgespräch. Und der damalige Chef wollte zuerst einmal wissen, was eine junge und attraktive Frau wie sie dazu antreibe, einen solchen Beruf zu wollen. Sie konterte ihm selbstbewusst: «Muss ich alt und hässlich dafür sein?» Das beeindruckte ihn offenbar so, dass er ihr die Chance für den Quereinstieg gab. «Ich bin heute froh, einen Job zu haben, der mich jeden Tag aufs Neue fordert», erklärt sie nicht ohne Stolz. Sie will sich gar nicht ausmalen, wohin es sie beruflich verschlagen hätte, hätte sie den Zuschlag nicht bekommen. 

Nicht mehr über alles nachgrübeln
Im Dienstgebäude des Bestattungs- und Friedhofamts der Stadt Zürich laufen alle Fäden zusammen. Die schwarze Bestattungsflotte steht aufgereiht auf dem Parkfeld. «Wird ein Todesfall gemeldet, fahre ich mit einem schwarzen Mercedes los und hole die Verstorbenen entweder aus dem Spital, dem Heim oder von der Unfallstelle direkt ab.» Sie geht heute souverän mit den oft schwierigen Situationen und den Anblicken um, mit denen sie konfrontiert wird. Gefeit ist auch sie nicht. «Natürlich gibt es auch Momente, die unter die Haut gehen und die ich nicht so schnell vergessen kann.» Ein solcher war, als sie einen arrivierten Geschäftsmann vom Strick befreien musste. «Zuerst einmal verstand ich seine Beweggründe überhaupt nicht.» Er wohnte in einem schönen Haus und hatte Frau und Kinder. Das beschäftigte sie recht lange; so kam sie zum Schluss, dass wohl Geld alleine nicht glücklich macht. Eines hat sie nach diesem Vorfall für sich entschieden: «Ich grüble nicht mehr über solche Dinge nach.» 

Ein letztes Adieu
Es sei ihr ein Anliegen, dass Angehörige sich von ihren Liebsten würdevoll verabschieden können, «weil ich mir gut vorstellen kann, dass es den Verwandten den Boden unter den Füssen wegzieht». Als Bestatterin bewahrt sie sich dieses Mitgefühl und Verständnis. Darum gibt sie sich auch besonders Mühe, wenn sie die Verstorbenen im Krematorium Nordheim oder in der Aufbahrung Sihlfeld herrichtet. 
Die Versorgung der Verstorbenen – reinigen und frisch anziehen, falls notwendig – dauert unterschiedlich lang. Ihr handwerkliches Geschick und ihr Fingerspitzengefühl kommen ihr dabei auch zugute. «Bei einer Schusswunde kommt es häufig vor, dass ich sie selber nähen muss.» Abgrenzen kann sie sich mittlerweile gut. Sobald sie Feierabend hat und das Dienstgebäude verlässt, ist sie nur noch Jennifer. Im Ausgang reagieren Menschen meist überrascht, wenn sie über ihren Beruf erzählt. Oft sind sie jedoch neugierig und an Geschichten aus ihrem Berufsalltag interessiert. Einmal sei ein junger Mann bei der Vorstellung, dass sie ihn nach der Arbeit berühren würde, dermassen angewidert gewesen, dass er im Nu das Weite suchte. Sie sieht es gelassen: «Für so einen Typ Mann gebe ich meine Berufung nicht auf.» 

2016 verstarben alleine 3157 Stadtzürcher. Sie haben alle einen Züri-Sarg, die in einer integrativen Werkstatt gezimmert werden, zugute. Diese stehen im Sarglager – neben Modellen aus Edelholz und goldigen Verzierungen – bereit. Jennifer Diener rückt aus: Die 33-Jährige holt im Triemli eine Verstorbene ab. Zu dieser kostenlosen Dienstleistung vom Bestattungsdienst gehört auch die Beisetzung oder Kremation gleich mit dazu. Im Sarg wird die Frau nun überführt. Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Jennifer Diener im Dienste der Stadt. «Ich habe meine Berufung gefunden.» Im Oktober macht sie ihr Fachdiplom als Bestatterin. Wer auf einem Friedhof der Stadt Zürich beerdigt werden will, findet die ewige Ruhe. Die Gebeine und Asche werden nämlich auch nach der Räumung der Gräber in der Erde gelassen. Bis es soweit ist, werden die Verstorbenen aber in der Aufbahrung hergerichtet, damit sich die Angehörigen noch ein letztes Mal verabschieden können. Dann werden die Särge in einem unterirdischen Raum bei 7 Grad zwischengekühlt. Die Mitarbeitenden vom Bestattungsamt sind bei jedem Todesfall in der Stadt Zürich involviert. Bei der Anlieferung beim Krematorium Nordheim herrscht Hochbetrieb. Ein anderes Bestattungsfahrzeug steht bereits in der Auffahrt. Alles hat seine Ordnung: Ein Kontrollblick vor der Kremation. Und noch ein letzter Gruss für die lange Reise. Blumen haben auch viel Tröstliches. Die Asche gehört im Prinzip auf den Friedhof. In einzelnen Fällen wird sie in der Urne auch nach Hause mitgenommen oder an einem speziellen Ort verstreut. Dabei muss die Pietät aber bewahrt bleiben. Auch in den Wäldern auf dem Hönggerberg und in Leimbach sind Aschebeisetzungen möglich. Gemeinschaftsbäume werden dort analog zu Gemeinschaftsgräbern genutzt. Sogar am Lebensende könnten die Geschmäcker gar nicht unterschiedlicher sein. Und was das Feuer manchmal übrig lässt gleicht einem Kuriositätenkabinett: dazu gehören Glasaugen, künstliche Zähne und Operationsscheren.