06.10.2015

Ich schmeisse mich unter das Partyvolk. Auch die Schweizerinnen tragen Dirndl, hier Sarah und Barbara aus dem Aargau.

Oktoberfest

«O’zapft is!»

Mit den Worten «O’zapft is!» beginnt in München das traditionelle Oktoberfest. Aber auch die Zürcher lassen sich mit ihrer Version, der «Züri Wiesn», «net lumpen».

Es ist Nachmittag in Zürich. Am Hauptbahnhof, wo sich normalerweise Pendler und Bahnfahrer anrempeln oder sich gar auf den Füssen rumstehen, geht für zwölf Tage die «9. Züri Wiesn» über die Bühne. Die Schweizer fragen sich bei fast allem, was sie tun: «Wer hat’s erfunden?», und sind froh, wenn man ihnen antwortet: «Die Schweizer.» Aber heute heisst es für einmal: «Mia san mia», denn das Oktoberfest ist aus dem nördlichen Nachbarland importiert. Um mir als Bayer ein Bild zu machen, statte ich der «Züri Wiesn» einen Besuch ab. Natürlich im «Leiberl und in Lederhosn».

Oberbürgermeister schlägt Schweizer Bachelorette

Zur selben Zeit ist auf der Theresienwiese die 182. «Wiesn» gerade zu Ende gegangen. In «Minga», wie wir Bayern München liebevoll nennen, feiert die Partygesellschaft jeweils 16 Tage. Die Theresienwiese hat eine Fläche von knapp 42 Hektaren – eine Kleinstadt. Die Bahnhofshalle in Zürich misst gerade einmal 1800 Quadratmeter, also 0,18 Hektaren. Ein Kinderkarussell, ein Süsswarenstand und ein Festzelt in der knappen Grösse eines halben Fussballfelds, das ist die «Züri Wiesn». Auch hier wird mit den Worten «O’zapft is!» eröffnet. Während dies in der bayrischen «Stadt mit Herz» der amtierende Oberbürgermeister als seine Pflicht sieht, übernimmt in Zürich die erste Schweizer «Bachelorette» Frieda Hodel. 

Im Gegensatz zu Oberbürgermeister Dieter Reiter in München, der mit zwei Schlägen das Bier zum Fliessen brachte, benötigte Frieda Hodel in Zürich deren drei. In München wird traditionell um 12 Uhr mittags angezapft, in Zürich abends um 19 Uhr. Hiermit ist also auch bewiesen: In der Schweiz laufen die Uhren anders.

«Oans, zwo, gsuffa!»

In München ist der Eintritt ins Bierzelt gratis, hier muss ich stolze 50 Franken bezahlen, um in die Höhle des Löwen zu gelangen. Dafür bekomme ich einen Hauptgang nach Wahl und eine Mass Bier. 

Da stehe ich nun in der «Lederhosn» im fast menschenleeren Zelt und stutze: «Des kon ja wos wärn.» Während bereits am ersten Tag des Münchner Oktoberfestes Tausende auf die Theresienwiese strömen, sitzen im Zelt in Zürich gerade einmal 20 «Feierbiester». 

Jedes weitere Bier kostet natürlich extra. Wer sich auf dem Oktoberfest in «Minga» eine Mass bestellt, zahlt dieses Jahr zwischen 10.10 und 10.40 Euro für den Liter Bier im Krug. Die Preise variieren je nach Zelt. In Zürich ist die Rechnung einfacher, es gibt nur einen Anbieter. Dafür zahlen Mann und Frau stolze 16 Franken. Für eine Portion Schweinshaxe zahlt der Festbesucher «dahoam in Minga» 15.50 Euro, in Zürich 23.80 Franken. Auch die Beilagen sind verschieden: Auf der «Züri Wiesn» reicht der Wirt Kartoffelstock und Sauerkraut. In München «griagst zwo Knödl». 

Beiderorts Pflichtprogramm: Nach der deftigen Mahlzeit «schbuid Musi auf». Und wer hätte das gedacht, inzwischen ist das Zürcher Festzelt bis auf den letzten Platz besetzt. 

«Charlies Partyband» stellt zunächst ein Bett ins Kornfeld, ruft danach Rosi an, was einen Skandal im Sperrbezirk auslöst. Als dann auch noch das rote Pferd sich einfach umdreht, nachdem der Cowboy sein Lasso rausholt, geraten die Schweizer langsam, aber sicher in Feierstimmung. Ich traue meinen Augen nicht: Einige stehen sogar auf den Bierbänken und singen «Oans, zwo, gsuffa!». Das hätte ich den Zürchern nicht zugetraut: Sie schunkeln, bis sich die Balken biegen. 

Die «Züri Wiesn» kostet 50 Franken Eintritt, dafür kriege ich ein Mass Bier und einen Hauptgang nach Wahl. Der Biergarten – «fast wia dahoam». Auch in «Züri» gibt’s das traditionelle «Wiesn»-Lebkuchenherz. Die Zürcher nennen ihn «Fleischkäse», bei uns heisst er «Leberkas». Der Bierkrug ist in Zürich und München der gleiche. «Charlies Partyband» sorgt für zünftige Stimmung. «Haxn» mit Kraut anstatt «Knödl». In der Schweiz laufen die Uhren eben anders. Ausgelassene Stimmung im «Hallen-Stadl».
Die «Züri Wiesn» kostet 50 Franken Eintritt, dafür kriege ich ein Mass Bier und einen Hauptgang nach Wahl. Fotos: Carmen Püntener, Hakan Aki

Die Sache mit der Schleife

Über jedes Dirndl kommt bei den Damen eine Schürze. Der Sitz der Schleife ist entscheidend für die Männerwelt. Denn: Trägt die Auserspähte die Dirndlschleife links, gilt «Schleife links, Glück bringt’s». Für den «Jäger» heisst das Attacke, denn die Herzensdame ist noch zu haben. Wenn die Schleife hingegen rechts sitzt, war ein männlicher Konkurrent schneller, und die Frau ist vergeben. 

Einige aber tragen ihre Schleife in der Mitte. Unwissende Männer urteilen dann, die Dame sei sich ihres Beziehungsstatus nicht sicher. Richtig ist: Die Dame ist noch Single. Auf der «Züri Wiesn» sehe ich die Schleifen allesamt rechts, dafür haben die Damen mächtig «Hoiz voa da Hiddn». Und noch etwas: «Zürcher Meitli» sind ebenso trinkfest wie die Bayrinnen, vor allem aber «sans schena».

Unterschiedliche Bilanzen

Die Veranstalter des Original-Oktoberfests in München sind dieses Jahr zufrieden, trotz der eher mageren Bilanz von durchschnittlich gut 350 000 Besuchern pro Tag. Zürich wird es wohl knapp auf 500 pro Tag schaffen. Die genauen Zahlen jedoch geben die Veranstalter erst nach Ablauf der «Züri Wiesn» bekannt. 

Dass die «bayrische Wiesn» dieses Jahr unter den Erwartungen liegt, zeigt auch der Bierkonsum. Er lag dieses Jahr bei 7,3 Millionen Litern. Den Rückgang erklären die Münchner mit dem schlechten Wetter. Zum Glück gibt es ja die «Zürcher Auflage», die sich zu einer guten Alternative entpuppt. Während die Bayern bereits «fertig hom», geht die Schweizer Version um eine Woche, bis zum 10. Oktober, in die Verlängerung. 

Am Ende des Abends bin ich um viele Erkenntnisse reicher, vor allem aber um diese: Die «Züri Wiesn» ist zwar winzig, aber was die Stimmung angeht, «kenan sich de unsan a Scheim obschnein».

Ursprung des Oktoberfests

Am 12. Oktober 1810 fand die Hochzeit von Kronprinz Ludwig, dem späteren König von Bayern, und Prinzessin Therese statt. Zur Huldigung des Brautpaares fand auf dem Sendlinger Berg, heute Theresienhöhe, ein Pferderennen statt. Das Anwesen bot Platz für knapp 40 000 Zuschauer. Diese Feierlichkeiten gelten als Ursprung des Oktoberfests. Heute wird vom zweiten Samstag im September bis zum ersten Sonntag im Oktober gefeiert. Traditionell beginnt die «Wiesn» mit dem Einzug der Festwirte und dem «O’zapft is!» durch den amtierenden Bürgermeister der Stadt München. Sie endet mit dem «Böllerschiessen» am Fusse der «Bavaria»-Statue, der Schutzpatronin Bayerns.  

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