10.06.2015
TEXT: Ines Schöne

Mundart trifft Hochdeutsch. Illustration: Ines Schöne

Schweizerdeutsch

Lasst das Schweizerdeutsch ertönen

Deutsche fühlen sich in der Schweiz nicht wohl. Wir gäben ihnen keine Wohnung und diskriminierten sie am Arbeitsplatz, behaupten sie. Doch wozu die Plumpheit? Mundart ist doch so eine raffinierte Waffe gegen Zugehörigkeitsträume.

Beobachtungen einer Schweizer Bürgerin mit deutschem Hintergrund

Nehmen Sie Ihren Kollegen am Arbeitsplatz, der vor ein paar Monaten aus Deutschland kam. Er denkt, dass er uns jetzt versteht. Weit gefehlt. Lassen wir ihn seine oberflächlichen Lautverschiebungen im Geiste rückgängig machen und sorgen wir gezielt für Missverständnisse beim Inhalt.

Als Erstes laden Sie ihn in den Ausgang ein und sagen, dass Sie ihn noch anrufen werden. «Ich gib dir spöter no es Telefon.» Er schaut Sie erstaunt an? Dann wundert er sich, warum Sie ihm einen Fernsprecher schenken wollen, er hat ja bereits einen. Und schon ist er verunsichert.

Alternativ benutzen Sie die Frage: «Gisch mir es Fünkli?» Der Deutsche wird überlegen: «Ein Fünkchen wovon bloss?» Über den im Deutschen sprichwörtlichen Fünkchen Anstand, den man in guter Konversation wohl erwarten könne, setzen wir uns gelassen hinweg.

Wenn Sie am Überlegen sind, in welches Lokal Sie gemeinsam gehen wollen, verwenden Sie «studieren». Der Deutsche wird glauben, dass das ganze Land eine Universität ist. Erst wenn er irgendwann einem Professor begegnen wird, der davon redet, wie oft er studiert, wird dem Deutschen dämmern, dass es beim Studieren nicht um eine Hochschullaufbahn geht.

Sobald Sie die ausgewählte Bar betreten, fragen Sie ihn, ob er «absitzen» möchte. Sehen Sie leichte Panik in seinem Blick, dann haben Sie den nächsten Treffer gelandet. Er hat nämlich verstanden, dass der Clubbesitzer hinter Gitter muss und Sie ihm dahin folgen möchten, mit ihm als anständigem Deutschen im ungewollten Schlepptau.

Sitzen Sie entspannt beim ersten Drink? Erzählen Sie ihm jetzt mit betont freundlicher Miene, wie Deutsch für Sie tönt. Das «tönen» verfehlt seine Wirkung selten. Er wird unhörbar nach Luft schnappen vor so viel unverschämter Unterstellung, er habe den Mund zu voll genommen. Denn auf Deutsch ist «tönen» meistens laut oder übertrieben selbstsicher.

Spielen Sie den Bescheidenen und sehen Sie ihn als Autorität für gute deutsche Sprache an mit der Frage: «Wie seit mer dem uf Tütsch?» Er wird sich am liebsten die Ohren zuhalten wollen und sich fragen, wie Sie es angesichts so falscher Grammatik so weit im Leben gebracht haben.

Davon kann Ihr Kollege später lebhaft träumen, nachdem Sie ihn höflich verabschiedet haben und sich innerlich die Hände reiben. Freunden ein Telefon geben, in Ruhe studieren, wo Sie hingehen wollen, in der Bar absitzen, begeistert tönen und zum Besten geben, wie man diesem oder jenem auf Hochdeutsch sagen könnte, all dies wird ihm eine unruhige Nacht bereiten.

Dabei dachte er, Schweizer seien zurückhaltend, massvoll und niedlich. Darüber können wir nur hämisch lächeln …

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