10.03.2020
TEXT: Susanne GrädelFOTOS: Zentrum Paul Klee

Lee Krasner um 1972.

Retrospektive Lee Krasner

Die Künstlerin, die sich ständig neu erfand

Das Zentrum Paul Klee in Bern zeigt eine Retrospektive der US-amerikanischen Expressionistin Lee Krasner, die ihr vielseitiges Schaffen von den 1920er- bis zu den 1970er-Jahren beleuchtet. Die Werke Krasners leben von Farbexplosionen und spielerischen Experimenten.

Es ist regnerisch und windig an diesem Februarnachmittag. Das Zentrum Paul Klee erscheint als wellenförmiges Monument. Ich trete aus dem Regen in die bunt schillernde Welt von Lee Krasner (1908–1984). Sie war eine wichtige Vertreterin des abstrakten Expressionismus und schaffte es erst spät, an der Seite ihres berühmten Mannes, des Malers Jackson Pollock, als eigenständige Künstlerin wahrgenommen zu werden. Das Zentrum Paul Klee widmet ihr nun eine Retrospektive.

Lee Krasner hatte nie einen «Signature Style» – also einen einzigen typischen Malstil –, wie die Collage «Bird Talk» zeigt.Living Colour
Als ich den Ausstellungssaal betrete, springen mir explosionsartige Kompositionen und wilde Farbkombinationen entgegen, und eine junge Lee Krasner blickt mich von einem an die Wand tapezierten Schwarz-Weiss-Porträt an. Diese wandfüllenden Porträtfotografien ziehen sich chronologisch durch den Raum. Die Ausstellung ist in Serien aufgeteilt, die ebenfalls chronologisch gegliedert sind. Erklärende Texte an der Wand zu den jeweiligen Schaffensphasen offenbaren spannende Hintergrundinformationen. Ich entscheide mich, links anzufangen, bei den ersten Selbstporträts Lee Krasners aus den 1920er-Jahren, auf denen sie mich mit ernstem Blick mustert. Die Szene ist mit Jazzmusik untermalt, schafft so eine Atmosphäre und platziert die junge Lee Krasner direkt in die New Yorker Jazzclubs der 1920er- und 1930er-Jahre.

Das Bild «Abstract No2» von 1946 ist eines ihrer frühen Werke.Abstract No2
Das Bild «Abstract No2» bildet mit anderen Kleinformaten die Serie «Little Images», die zwischen 1946 und 1950 entstanden ist. In diesen Kontext stellt das Zentrum Paul Klee einen von Lee Krasner gestalteten Mosaiktisch, der neben den Gemälden platziert ist. Tatsächlich lässt sich in den «Little Images» eine Assoziation zu Mosaiken erkennen – die knalligen Farbtupfer auf dunklem Hintergrund bilden einen starken Kontrast. Das Bild «Abstract No2» wirkt auf mich jedoch wilder und rauer, als ein Mosaik sein könnte. Die Farbe wurde so dick aufgetragen, dass das Bild eine eigene Struktur entwickelt und schon fast dreidimensional wirkt.

Schlaflos
Die Serie «Night Journeys» entstand während einer Phase der Schlaflosigkeit und besteht nur aus den Farben Umbra, Schwarz und Weiss. Lee Krasner entschied sich konsequent für diese Farbtöne, da das nächtliche Kunstlicht die kräftigen Farben verfälscht hätte. Selbst in diesen für sie ungewöhnlich farblosen Bildern erkennt man doch die Wildheit, die ihrer Arbeit zugrunde liegt.

Das Werk «Through Blue» von 1963.Through Blue
Bei der «Primary Series» dominieren die leuchtenden Farben erneut. Diese Serie beinhaltet die meisten Werke und besticht ebenfalls durch ihre Vielseitigkeit. Eines der Exponate der «Primary Series» ist das Werk «Through Blue» von 1963: ein grosses Ölbild, das auf den ersten Blick ein wilder Ritt an Mustern zu sein scheint. Als ich das Gemälde jedoch im Detail betrachte, erkenne ich graublaue Bäume, dunkelblaue Beeren und crèmefarbene Blüten. Die Farbe wurde an manchen Stellen so dünn auf die Leinwand aufgetragen, dass ich die Struktur des Stoffs erkennen kann. Ebenfalls weist das Bild weniger Kontrast auf als andere Werke, es wirkt sanft.

Lee Krasner um 1938.Die Rebellin
Lee Krasners Werk zeichnet sich nicht nur durch verschiedene Formate aus – die Künstlerin spielte auch mit Materialien und Techniken. So malte sie nicht nur mit Öl, sondern experimentierte auch mit Gouache auf Büttenpapier und mit Collagen, für die sie ihre alten Werke zerstörte und neu zusammenfügte. Sie plante ihre Werke nie im Voraus. Wer auf Chronologie keinen Wert legt, ist in der Ausstellung ebenfalls gut aufgehoben: Man kann sich einfach von den Farben leiten lassen und so das künstlerische Spiel der Kunstrebellin Lee Krasner auf sich wirken lassen.

Als ich das Zentrum Paul Klee verlasse, scheint der Himmel noch viel grauer zu sein als zuvor.

Lee Krasner. Living Colour
bis 10. Mai 2020

Das Zentrum Paul Klee ist gemäss Anordnung des Bundesrats bis voraussichtlich 19. April 2020 geschlossen. 

Zentrum Paul Klee
Monument im Fruchtland 3
3006 Bern

Öffnungszeiten:
Di–So 10–17 Uhr

Weitere Informationen zur Ausstellung:
https://www.zpk.org/de/ausstellungen/aktuell/lee-krasner-living-colour-1955.html