22.10.2020
TEXT: Roman BrotherFOTO: © Ascot Elite
Platzspitzbaby

Szene aus dem Film «Platzspitzbaby»: 1986 bis 1992 war der Platzspitz, ein kleiner Park beim Hauptbahnhof Zürich, Treffpunkt der grössten offenen Drogenszene Europas.

Berührende Autobiografie

«Platzspitzbaby» – Kinderhölle im Drogensumpf

Die grösste offene Drogenszene Europas, eine schwer abhängige Mutter, ein kleines Mädchen, das nur ein normales Leben führen möchte: Das sind die Zutaten für eine Geschichte, die wie die Nadeln darin unter die Haut geht.

«Du muesch ufhörä!», schreit Mia ihre Mutter an, nachdem gerade ein Bekannter in nächster Nähe vor ihren Augen an einer Überdosis gestorben ist. Genau wissend, dass ihrer Mutter dies ebenso passieren könnte.

Zwischen 1986 und 1992 war der Platzspitz, ein kleiner Park hinter dem Schweizer Landesmuseum beim Zürcher Hauptbahnhof, Treffpunkt von Drogenabhängigen und Dealern. Bis zu 3000 Menschen hielten sich täglich auf dem Platz auf und kauften und konsumierten Drogen. Der Film «Platzspitzbaby» basiert auf der gleichnamigen Autobiografie von Michelle Halbheer, die ihre Kindheitserinnerungen zusammen mit der Journalistin Franziska K. Müller 2013 publizierte. Das Drama erzählt die Geschichte der 11-jährigen Mia (Luna Mwezi), die gefangen zwischen der Liebe zu ihrer Mutter Sandrine (Sarah Spale), deren Drogensucht und dem Bedürfnis nach Normalität regelrecht zerrissen wird.

Ein durch Drogen bestimmtes Leben, das eine normale Kindheit verunmöglicht, sodass sich Mia nichts sehnlicher wünscht, als dem allem zu entfliehen und mit ihrer Mutter auf den Malediven einen Neuanfang zu wagen. Der Film «Platzspitzbaby» macht dieses Leid unmittelbar spürbar. Sowohl die Melancholie in der Szene, als Mia nur darum Aufmerksamkeit von ihrer Mutter erhält, weil sie sich von dieser den Gebrauch von Cannabis zeigen lässt, als auch die kurzen glücklichen Momente, die sie mit Freunden abseits aller Probleme erlebt, werden herausragend dargestellt.

Spätestens als Mia von dem Geld, das ihr Vater ihr für Lebensmittel gegeben hat, Rubbellose kauft, in der Hoffnung, mit dem Gewinn den Neuanfang auf den Malediven finanzieren zu können, und vor Verzweiflung nur noch schreien kann, als sie feststellt, dass alle Lose Nieten sind, wird dem Zuschauer endgültig klar, in welcher Hölle Mia lebt.

Die schauspielerische Leistung von Mwezi und Spale überzeugt auf jeder Ebene. Eingebettet in der Inszenierung von Regisseur Pierre Monnard, ist ein Meisterstück der Schweizer Filmgeschichte entstanden.

Für alle, die sich fragen, ob dieser Film eventuell verstörend für sie sein könnte: Als Mia ein namenloses Kind in einer Drogenhöhle fragt, wieso ihre Puppe denn keine Augen habe, lautet die einfache Antwort: «Sie soll nicht alles sehen müssen …»

Platzspitzbaby Film
Foto: © Ascot Elite

Drehbuch: André Küttel

Regie: Pierre Monnard

Besetzung: Sarah Spale, Michael Schertenleib, Jerry Hoffmann, Luna Mwezi, Thomas Städeli

Genre: Drama

Dauer: 98 Minuten

Verleih: Ascot Elite