24.04.2019
TEXT: Daniel StaufferFOTO: Bildschirmfoto aus Google Maps
País Vasco

Das Baskenland liegt am nördlichsten Zipfel Spaniens.

Spaniens bleierne Jahre des ETA-Terrorismus

«Patria»: Angst und Schweigen im Baskenland

Der Roman des baskischen Autors Fernando Aramburu beschreibt, wie Terrorgewalt bei Opfern und Tätern seelische Lähmung verursacht, die sich auf die ganze Gesellschaft überträgt.

Joxe Mari ist ein verurteilter ETA-Terrorist. Er sitzt seit vielen Jahren im Gefängnis. Weit entfernt von der Heimat. Hinter Gittern hat er Zeit nachzudenken. Sein Leben hatte erfolgreich begonnen: Ein junger, kräftiger Mann war er, ein erfolgreicher Handballer. Ein Handwerker, kein Kopfmensch. Joxe Mari wuchs auf dem Land auf, wo man Baskisch spricht und nicht viel hält von den übrigen Spaniern. Dann wird er von der Terrororganisation ETA angeworben und ausgebildet, um zu töten. Die Befehle führt er aus, ohne überhaupt die Befehlenden zu kennen. Er ist überzeugt, für eine gute Sache zu handeln: für ein freies Baskenland. Die Grenze zwischen Gut und Böse scheint ihm klar, bis er den Befehl erhält, den Vater der Nachbarsfamilie umzubringen.

Cover von «Patria», Rowohlt-VerlagLange bleibt der verurteilte Terrorist Joxe Mari seinen Prinzipien treu. Er ist von der Gerechtigkeit seines Kampfes überzeugt. Doch mit den Jahren im Gefängnis kommen Zweifel auf, vor allem, als immer mehr Weggenossen dem Terrorismus abschwören, um Straferleichterung zu erhalten. Als die Ehefrau des getöteten Nachbarn wissen will, ob er ihren Mann getötet hat, gerät schliesslich auch sein Weltbild ins Wanken.

Joxe Mari fragt sich, was die Gewalt und der Terror gebracht haben. Fernando Aramburu zeigt in seinem Buch, das sich an konkrete Ereignisse anlehnt, deutlich auf: rein gar nichts. Der ETA-Terrorismus löschte Leben aus und hinterliess zerrüttete Familien. Der schwelende Konflikt lähmte die ganze Gesellschaft, obwohl nur eine kleine Gruppe zu den Waffen gegriffen hatte. Die Beziehungen zwischen Freunden, in der Familie und sogar bei Paaren wurden zerrissen und es blieben auf allen Seiten unheilbare seelische Schäden zurück.

Fernando Aramburu schafft damit einen Gegenpol zu den heute neu entstehenden Konflikten. Wer das Buch gelesen hat, versteht, was mit Waffengewalt ausgetragene Konflikte die Betroffenen kosten. Fernando Aramburu hat mit der Geschichte des Terroristen, seiner Opfer und seiner eigenen Familie ein Denkmal für den Frieden gesetzt.

Fernando Aramburu
Foto: Iván Giménez/Tusquets Editores

Fernando Aramburu stammt aus San Sebastián (auf Baskisch Donostia) und studierte in Saragossa spanische Philologie. Er lebt seit 1985 in Deutschland, wo er zunächst als Sprachlehrer für spanische Secondos arbeitete, später auch als Übersetzer von deutscher Literatur. Seit 2009 widmet sich Fernando Aramburu ausschliesslich der Literaturproduktion und verfasst Beiträge für spanische Zeitungen. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter.
Mit dem Roman «Patria» erreichte er 2016 erstmals grosse Aufmerksamkeit und gewann mehrere Literaturpreise. Der Roman verkaufte sich in Spanien bis Anfang 2019 mehr als 800 000 Mal und wurde in etwa zwanzig Sprachen übersetzt. Er wird von HBO España als Serie verfilmt.