Mündigkeit oder Abhängigkeit?

Spätestens seit Edward Snowden ist klar: Digitale Überwachung wird im grossen Stil betrieben. Kein Wunder, formiert sich Widerstand. Joël-Luc Cachelin fasst diesen Widerstand unter dem Begriff «Offliner» zusammen. Im Gegensatz zu «Nonlinern» sind Offliner aber sehr wohl digital aktiv, denn sie wollen die Zukunft mitgestalten. Doch sie geben ihre Daten nicht laufend aus Bequemlichkeit oder Unwissen preis, wie das die Mehrheit der «Onliner» tut.

Der gemeinsame Nenner der Offliner ist der Kampf gegen die Treiber und Profiteure der Massendigitalisierung, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven. Der Autor macht nicht weniger als 16 Untergruppen aus, von Globalisierungskritikern und Kulturpessimisten bis hin zu Entschleunigern.

Wer das Buch von Joël-Luc Cachelin aber als Schrift gegen die Digitalisierung versteht, verkennt seine Absicht. Der 1982 geborene Betriebswissenschafter und Gründer des Thinktanks Wissensfabrik wünscht sich eine mutige Auseinandersetzung mit den neuen Möglichkeiten und Gefahren – kurz digital mündige Bürger. Sollen alle Schichten zu den Gewinnern der Digitalisierung gehören, müssen Private und Staat in eine starke digitale Gemeinschaft investieren.

In konsequent weitergedachten Szenarien zeigt der Autor, wohin uns die Digitalisierung führen könnte: im besten Fall zu einem kreativen Miteinander von On- und Offlinern, im schlechtesten zur Gleichschaltung der überwachten Massen und zu gleichzeitigen Terroranschlägen durch Aussteiger-Guerillas.

Der temporäre Offline-Status könnte paradoxerweise zum Privileg werden: Nur wer über genügend Geld und Kompetenzen verfügt, wird sich Privatsphäre überhaupt noch leisten können. «Menschen mit wenig Bildung und Geld werden keine Wahl haben, sie werden zu den Onlinern gehören. Ihnen steht eine Klasse von Superreichen gegenüber, welche die Programmierer der Algorithmen dirigiert», prophezeit Joël-Luc Cachelin. Willkommen in der Zukunft!