28.01.2022
TEXT: Fabian Alexander MeyerFOTO: ©Warner Bros
Joaquin Phoenix als Joker (2019)

Eine Stadt am Rande des Abgrunds, eine grausame Gesellschaft und mittendrin ein psychisch kranker Killer-Clown.

«Joker» mit Joaquin Phoenix

Vom Aussenseiter zum Psychopathen  

Die Figur des Batman-Erzfeinds «Joker» steht für die destruktivsten Gefühle des Menschen: Zorn und Hass, aber auch Labilität und Traurigkeit. Mit dem Film «Joker» von 2019 gelingt Regisseur Todd Phillips eine Charakterstudie eines Manns, der zum skrupellosen Killer-Clown wird.

1981 steht die Batman-Heimat Gotham City am Abgrund. Die Gesellschaft ist so gespalten wie nie zuvor: Die Reichen werden immer reicher und die Armen immer ärmer. Hier treffen Bonzen und Magnaten auf Leute, die sich nicht mal was zu essen kaufen können. Die Strassen sind verdreckt, die Häuser heruntergekommen und die Kriminalität ist hoch. Nachts alleine unterwegs zu sein, kann sehr schnell das Todesurteil sein. Die Atmosphäre ist mindestens so giftig, wie die Chemieabfälle im Abwasser der Stadt.

Ein depressiver Aussenseiter
Mitten in diesem stadtgewordenen Elend wächst der Aussenseiter Arthur Fleck auf. Er ist depressiv, nimmt diverse Medikamente, die nicht anschlagen, und hat mit krankheitsbedingt zwanghaften Lachanfällen zu kämpfen. Dies alles hat zur Folge, dass er immer wieder zur Zielscheibe von Gewalt, Hass und körperlichen Attacken durch wildfremde Personen wird. Seine Peiniger belustigen sich an seiner unbeholfenen Art und seiner Zwangsstörung. Lediglich sein Job als Clown verhindert, dass ihm in seinem Leben auch noch das letzte bisschen Sinn genommen wird. Hier kann er die Leute zum Lachen bringen und sie unterhalten. Das wollte er schon immer. 

An einem schicksalhaften Tag wird ihm von einem seiner eigenen Kollegen eine Waffe zugesteckt. Dies mit der Begründung, dass er sich «da draussen verteidigen» können soll. Arthur ist erst skeptisch, nimmt die Waffe dann jedoch an und steckt sie einDieser Moment wird sein Leben grundlegend verändern. 

Als Fleck im Clownskostüm die Kinder in einem Kinderkrankenhaus unterhalten und belustigen soll, lässt er aus Versehen seine Waffe fallen. Die Pfleger bemerken dies und sind sichtlich schockiert. Daraufhin nimmt das Unglück seinen Lauf: Er verliert seinen Job, womit ihm auch noch das letzte bisschen Normalität entrissen wird. Jetzt hat er weder Geld noch einen Sinn im Leben. Er ist komplett allein in einer Welt, die Leute wie ihn im Stich lässt. Niemand wird ihm mehr helfendessen ist er sich schmerzlich bewusst. 

Ein gebrochener Mann wird zum Killer-Clown 
Der US-Schauspieler Joaquin Phoenix geht in seiner Rolle als Joker sichtlich auf. Er stellt den Sturz in die Abwärtsspirale so realistisch dar, dass es unangenehm wird. Er lässt den Zuschauer tief in die Psyche des Jokers blicken und zeigt auf, was Mobbing, Hass, Gewalt und vor allem Vernachlässigung und Enttäuschung anrichten können. Zu dieser Zeit nimmt der Film bewusst das Tempo heraus und überlässt die Bühne komplett Phoenix. Diese langsamen Schnitte, die düstere Musik und vor allem die psychologisch intimen Szenen stehen sinnbildlich dafür, wie sich Arthurs Psyche langsam, aber sicher verändert. 

Die sich ständig abwechselnden Gefühle zwischen Hass, Wut und Traurigkeit stellen einen wesentlichen Teil der einwandfreien schauspielerischen Leistung von Phoenix dar. Die Trostlosigkeit seiner Umgebung tut ihr Übriges. Das Bild eines gebrochenen Mannes, der keinen Ausweg aus seiner Situation sieht, wird realistisch vermittelt. Man sieht dabei zu, wie aus Arthur Fleck immer mehr der ikonische Killer-Clown namens Joker wird.  

Mitleid oder Hass? 
All diese konfrontativen Szenen spielen in einem alltäglichen Umfeld. Sei es bei der Arbeit, auf dem Weg nach Hause oder abends auf dem Sofa vor dem Fernseher. Da diese Szenen mitten aus dem Leben gegriffen sind, wirken sie nochmal beängstigender: Sie machen klar, dass durchaus die Möglichkeit besteht, im Bus neben einem potenziellen Massenmörder zu sitzen, der gerade aus dem Fenster schaut. Dabei zuzusehen, wie sich der zukünftige Joker durch die alltäglichsten Situationen kämpfen muss, regt zum Nachdenken an. Was würde mit einem selbst passieren, befände man sich in seiner Situation? Wie würde es sich anfühlen, was würde geschehen? Soll man den Joker nun bemitleiden? Denn offensichtlich versucht auch er, einfach nur seinen Platz in der Gesellschaft zu finden. Oder soll man ihn abgrundtief für seine psychopathische und schizophrene Seite fürchten und verabscheuen? Auf der einen Seite ist er so zerbrechlich und labil – und auf der anderen Seite ist er ein Mörder, der vor nichts zurückschreckt. 

Im Verlauf des Films steigert sich auch die schauspielerische Leistung von Phoenix. Ist der Joker erst einmal in der Spirale aus Hass, Gewalt und Exzess gefangen, kommt er nicht wieder herausverliert immer mehr seine Menschlichkeit. An diesem Punkt verkörpert Phoenix den psychisch kranken Fleck so gut wie zu keinem Zeitpunkt davorSei es die körperliche Veränderung, seine Lach-Krankheit oder auch einfach nur sein abfälliges und vor allem von Gewalt geprägtes Verhalten gegenüber seinen Mitmenschen. Phoenix geht in seiner Rolle komplett auf und liefert eine extrem packende Version des Jokers. 

Rückfall in Klischees 
Als das Finale naht, fällt der Film jedoch immer mehr in Klischees zurück. Die Action nimmt zu, die Gewalt wird extremer, Explosionen hier und daAlles schon gesehen, alles schon gehört. Verglichen mit dem Anfang verliert der Film gewissermassen seinen Überraschungseffekt. Die gezeigte Action und die Explosionen sollen einen Vorgeschmack darauf liefern, was später in den Batman-Filmen Standard sein wird. Jedoch passt diese Herangehensweise einfach nicht in den bis dahin eher psychologischen Ansatz des Films. Da hilft auch die schauspielerische Leistung von Phoenix nicht weiter. Zwar versucht er weiterhin, den psychisch schwer kranken Joker darzustellen, jedoch lenkt die Action um ihn herum zu sehr von seinem Schauspiel ab 

Bei allen Klischees und Übertreibungen stechen dennoch die Gestaltung der Szenerie, sowie die Choreografie aller Schauspieler und Statisten heraus. Zu jeder Sekunde glaubt man wahrhaftig, dass sich ganz Gotham City zum kollektiven Durchdrehen verabredet hat. Waffen, Benzin und Streichhölzer mit im Gepäck. Zum Ende hin kehrt der Film von der Action zu seiner düsteren Charakterstudie zurück. Anders als erwartet, endet der Film denn auch nicht mit einem lauten Knall, sondern mit einer ebenso ruhigen wie verstörenden Szene, die Spielraum für Interpretationen lässt.  

Lust auf mehr 
Regisseur Todd Phillips «Joker» zeigt beispielhaft die Veränderung eines Menschen, der systematischem Mobbing, Ausgrenzung und psychischen Problemen ohne Hilfe oder Beistand ausgesetzt istWie Einsamkeit, Traurigkeit und Trostlosigkeit schliesslich zum kompletten Bruch in Arthur Flecks Psyche führen. Der Film macht Lust, sich die Batman-Hauptfilme nochmals anzuschauen und sich aus nun neuer Perspektive mit der Figur des Jokers zu befassen. Denn der Wahnsinn einer solchen Figur kann unmöglich in einem einzigen Film erfasst werden.

Joker (2019) mit Joaquin Phoenix

 

Erscheinungsjahr: 2019 
Dauer: 122 Minuten  
Regie: Todd Phillips, Scott Silver 
Produktion: Todd Phillips, Bradley Cooper, Emma Tillinger Koskoff 

Verfügbar bei Streamingportalen wie Netflix, YouTube, Google Play oder Apple TV