05.05.2021
TEXT: Carsten KöllmannFOTO: Pixabay
John Perry: Einfach liegen lassen. Rezension: Carsten Köllmann

Jetzt oder später? Für notorische Aufschieber keine Frage.

John Perry rät: «Einfach liegen lassen»

Das Geheimnis des effektiven Aufschiebens

Das zwanghafte Aufschieben von Aufgaben, Prokrastination genannt, ist ein weitverbreitetes Phänomen. Der US-amerikanische Philosoph John Perry hat dazu bereits 2012 ein Büchlein veröffentlicht, das ebenso unterhaltsam wie hilfreich ist. Seine verblüffende These: Stellen wir es richtig an, macht uns Aufschieben womöglich sogar produktiver.

«It’s now or never», sang Elvis Presley im Jahre 1960 zur Melodie von «O Sole Mio» und hatte damit einen seiner grössten Hits. Die darin ausgedrückte Dringlichkeit ist verständlich, denn in der Liebe sind wohl die wenigsten Menschen mit besonders viel Geduld gesegnet. Das verhält sich deutlich anders, wenn es um die Arbeit geht: Hier heisst es nur allzu oft «It’s now or later» und bedeutet so manches Mal «much, much later» oder sogar «never». Vom US-amerikanischen Schriftsteller Mark Twain (1835–1910) stammt der Ratschlag: «Verschiebe nie auf morgen, was du noch übermorgen besorgen kannst.» Studierende wissen sehr gut, wovon hier die Rede ist: Nie waren ihre Wohnungen so aufgeräumt und blitzblank geputzt wie während der Abschlussphase ihres Studiums. Lieber ein weiteres Mal die Küche wischen, als sich endlich an den Schreibtisch zu setzen und die fällige Abschlussarbeit zu schreiben. Dabei tickt die Uhr bereits immer dringlicher. 

Aber auch anderen ist das Aufschieben nicht fremd: Wer hat nicht schon seine Steuererklärung auf den allerletzten Termin verschoben, wohl wissend, dass er am Ende doch nicht um sie herumkommen und durchs Aufschieben sogar in unnötigen Stress geraten wird? Das erscheint so offensichtlich irrational, dass es nach Erklärung schreit. Vor allem aber schreit es nach Therapie. Denn glücklich macht das Aufschieben nicht. Das schlechte Gewissen begleitet es wie ein Schatten. Erst wenn die Aufgabe schlussendlich erledigt ist, verschwindet das schlechte Gewissen – bis sich die nächste Aufgabe ins Gedächtnis ruft.

Eine naheliegende Erklärung für das chronische Aufschieben wäre Faulheit. Als Teilerklärung mag das für manche auch stimmen. Aber Aufschieben ist nicht dasselbe wie Nichtstun. Wer einfach nur nichts tut, lässt sozusagen die Beine baumeln und sich die Sonne auf den Bauch scheinen. Wer aufschiebt, ist hingegen alles andere als untätig. So seltsam das auch klingen mag: Aufschieben ist eine aktive Tätigkeit und kann mit der Zeit ziemlich anstrengend werden. Wer eine Aufgabe aufschiebt, denkt an nichts anderes mehr, während er sich alle möglichen Beschäftigungen einfallen lässt, um bloss nicht das zu erledigen, was eigentlich gerade am dringendsten anstünde. Selbst das Faulenzen auf dem Sofa vor dem Fernseher kann auf diese Weise zu einer unerfreulichen Angelegenheit werden: stets auf dem Sprung, von Entspannung keine Spur, immer die zu erledigende Aufgabe im Sinn – bis es für heute zu spät erscheint, noch zu beginnen. Dann eben morgen – aber dann wirklich!

Übermorgen ist auch noch ein Tag
Wir haben es also mit einem durchaus ernstzunehmenden Problem zu tun. Deshalb haben sich längst zahlreiche Experten damit beschäftigt. Sogar einen Fachausdruck haben sie dafür geprägt: Sie sprechen von «Prokrastination», um das notorische Aufschieben wichtiger Aufgaben vom bloss gelegentlichen Verschieben einer einzelnen Aufgabe zu unterscheiden. Das gelegentliche Verschieben gehört unvermeidlich zum Alltag, denn nicht immer lassen sich unvorhergesehene Störungen und damit verbundene Planänderungen vermeiden. 

Aber das notorische Aufschieben ist ein ganz anderes Kaliber. Es ist zwar selbst nicht als Krankheitsbild im engeren Sinne anerkannt, kann aber die Erreichung wesentlicher Ziele vereiteln und damit mittel- bis langfristig die Lebensqualität der Betroffenen ernsthaft beeinträchtigen. Oftmals geht es mit Aufmerksamkeitsstörungen oder sogar Depressionen einher – oder sind diese umgekehrt die Ursachen des Aufschiebens? Die Wissenschaft gibt darauf noch keine allgemeingültige Antwort, vermutlich gibt es beide Kausalrichtungen.

Nachweislich sind bestimmte Bevölkerungsgruppen stärker betroffen als andere. Besonders gefährdet sind diejenigen, deren Tätigkeit eine weitgehend selbständige Einteilung des Arbeitspensums ermöglicht. Deshalb sind beispielsweise Studierende besonders häufig betroffen. Zwar müssen sie ihre schriftlichen Arbeiten meist zu einem festgelegten Termin abgeben und sich auch für mündliche Prüfungen auf einen festgelegten Termin vorbereiten, aber bis dahin haben sie sehr viel Spielraum, um die Arbeit vor sich herzuschieben. 

Letzte Station: Prokrastinationsambulanz
Auf diese Weise geht es dann womöglich so manchem von ihnen wie dem Studenten Martin Sommer im Bestseller «Der Campus» (1995), mit dem der Professor für Anglistik und Literaturwissenschaft Dietrich Schwanitz (1940–2004) als Romanautor reüssierte: Während dieser fiktive Student mit seiner Magisterarbeit sechs Wochen lang keinen Schritt vorangekommen war, hatte er seinem betreuenden Professor auf dessen Nachfrage «stets geantwortet, es gebe keine Probleme. Er mache prächtige Fortschritte. Sie sei kurz vor dem Ende. Sie sei praktisch schon fertiggestellt.» Und bei ihrem letzten Treffen: «Er werde übermorgen abgeben.» Auf die Frage, ob er nicht im Oberseminar seine Ergebnisse vortragen könne, antwortete er: «Kein Problem, tue ich gerne.» Leider hatte er ausser leeren Seiten nichts vorzuweisen, was seinen Vortrag zu einer bizarren Performance werden liess, an deren Ende er sein Studium abbrach, um ausgerechnet Journalist zu werden.

Was im Roman als komischer Höhepunkt funktioniert, ist im wirklichen Leben der Stoff, aus dem die Alpträume sind. Zahlreiche Studierende durchleben diesen Alptraum, und nicht wenige von ihnen brechen tatsächlich das Studium ab, nicht weil sie das Studium fachlich überforderte, sondern weil sie es nicht organisiert bekommen. Die Universität Münster hat deshalb für ihre Studierenden sogar eine eigene Prokrastinationsambulanz eingerichtet, die Diagnostik, Beratung und Therapie anbietet, mit einem anonymen, auch für Externe verfügbaren Online-Selbsttest als Einstieg. Hinweise zur eigenen Forschung innerhalb des Instituts, nützliche Literaturtipps und weiterführende Links runden das Online-Angebot ab.

Was liegt da für den gewohnheitsmässigen Aufschieber näher, als sofort alles stehen und liegen zu lassen, um diese Website aufzusuchen und sich darin zu verlieren und sich dann im Anschluss daran erst einmal alle verfügbaren Bücher darüber zu beschaffen, wie er die Dinge geregelt kriegt, deren Erledigung er soeben zugunsten dieser Aktivitäten aufgeschoben hat? 

Wer das Stichwort «Prokrastination» in die Suchmaschine seines Lieblingsbuchgeschäfts eingibt, wird genügend Treffer landen, um sich auf Monate hinaus mit dieser Lektüre von seinen wichtigen Aufgaben ablenken zu können. Eine nur auf den ersten Blick paradoxe Situation: Wer anfängt, sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen, erledigt seine eigentlichen Aufgaben nicht; aber wer seine Aufgaben ohnehin nicht erledigt, ist vielleicht gut beraten, diesen hoffentlich letzten Umweg zu machen, um sich seinem Problem zu stellen. Es reicht ja vielleicht ein Buch – und hier nicht unbedingt das umfangreichste?

Hilfestellung aus der Philosophie
Da kommt ein Büchlein des inzwischen emeritierten US-amerikanischen Philosophen John Perry wie gerufen. In der akademischen Fachwelt ist Perry vor allem für seine tiefgründigen Beiträge zur Philosophie des Geistes und Sprachphilosophie bekannt und respektiert. Er war aber seinem eigenen Eingeständnis zufolge immer auch ein hartnäckiger Aufschieber. Das erstaunt, weil sein CV eine beeindruckend lange Publikationsliste ausweist. Hat Perry womöglich die Lösung für das Problem des chronischen Aufschiebens gefunden? Dann könnte sich in der Tat ein Blick in dieses Büchlein lohnen, insbesondere in das erste Kapitel, das seine zentrale These enthält.

Diese These hatte Perry bereits 1996 in einem kurzen Artikel für die Zeitung «The Chronicle of Higher Education» zusammengefasst. Dieser Artikel wurde so populär, dass Perry dafür im Jahr 2011 mit dem satirischen Ig-Nobelpreis (ignoble: unwürdig) für Literatur geehrt wurde. Dieser Preis ist eine Parodie auf den Nobelpreis und wird von den Herausgebern der «Annals of Improbable Research» für Arbeiten verliehen, die Menschen zum Lachen, aber auch zum Nachdenken bringen sollen. 

Ein Jahr nachdem Perry diesen Preis erhalten hatte, veröffentlichte er eine erweiterte Fassung seines Aufsatzes als Buch unter dem Titel «The Art of Procrastination» (2012). Eine deutsche Übersetzung unter dem Titel «Einfach liegen lassen» folgte noch im selben Jahr. Der deutsche Untertitel «Das kleine Buch vom effektiven Arbeiten durch gezieltes Nichtstun» ist allerdings eher irreführend, denn ums Nichtstun geht es in diesem Buch nicht. Im Original heisst das «A Guide to Effective Dawdling, Lollygagging and Postponing», was auf Deutsch ungefähr «Ein Ratgeber für effektives Trödeln, Faulenzen und Verschieben» bedeutet und dem eher humoristischen Ton des Buches besser gerecht wird.

Auf nur 128 Seiten, obendrein im Taschenformat, entwickelt Perry verschiedene Strategien, wie man das Prokrastinieren in den Griff bekommen könnte. Wer also glaubt, seinen eigentlichen Aufgaben ausgerechnet durch die Lektüre dieses Buches für längere Zeit aus dem Weg gehen zu können, sieht sich getäuscht: Da es kurz ist und obendrein verständlich und humorvoll geschrieben, ist es schneller gelesen, als man «Prokrastinationsambulanz» sagen kann, und der Leser kann sich wieder ganz seinen Aufgaben widmen – oder ihrem weiteren Aufschieben. Es handelt sich hier nicht um einen umfassenden Ratgeber, eher um eine philosophische Reflexion mit dem einen oder anderen Denkanstoss für den Alltag.

Aufschieben mit Plan
Der Ausgangspunkt des Buches ist die These, die bereits im Zentrum seines ursprünglichen Aufsatzes gestanden hatte. Sie besteht in der Einsicht, dass man durch das Verschieben einer ungeliebten Aufgabe viele andere Aufgaben erledigen kann. In der Praxis geht das so: Man erstellt eine mittel- bis langfristige To-do-Liste der wichtigsten Aufgaben mit der Aufgabe, die einem zu diesem Zeitpunkt am wichtigsten und dringlichsten erscheint, an erster Stelle. Um nun diese Aufgabe nicht erledigen zu müssen, wird der typische Prokrastinierer alle möglichen anderen Aufgaben von seiner Liste in Angriff nehmen und auf diese Weise erstaunlich viel geregelt kriegen. Es ist deshalb keineswegs von Vorteil, sich möglichst wenig vorzunehmen, um Zeit für die wirklich wichtige Aufgabe auf Platz 1 der Liste zu schaffen, wie manche Prokrastinierer das tun. Es ist im Gegenteil von Vorteil, sich besonders viel vorzunehmen, um aus der Fülle der Aufgaben jederzeit diejenigen auswählen zu können, die man gerade lieber macht, statt sich an die Erledigung der eigentlich so drängenden Aufgabe auf Platz 1 seiner Liste zu machen. Eine kurze Liste ohne Ausweichmöglichkeiten würde dagegen zum Nichtstun führen. Perry bezeichnet dieses Vorgehen als «strukturierte Prokrastination» oder auch als «Aufschieben mit Plan».

Perry erklärt gleich zu Beginn, dass er diese Strategie nicht selbst entdeckt, sondern lediglich wiederentdeckt habe: «Denn schon im Jahr 1930 hat Robert Benchley für die ‹Chicago Tribune› eine Kolumne mit dem Titel ‹How to Get Things Done› verfasst: ‹Wie man was wegschafft›. Darin erklärt er: ‹Jeder schafft jede beliebige Menge Arbeit, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um die Arbeit, die von ihm erwartet wird.›» Läuft das nicht darauf hinaus, dass man am Ende doch seine Wohnung aufräumt und putzt, statt die längst fällige Abschlussarbeit zu schreiben? Das kann sein, aber es spricht ja auch nichts gegen eine aufgeräumte und frisch geputzte Wohnung, und irgendwann wird es nichts mehr aufzuräumen und zu putzen geben, dann sind andere Aufgaben dran. Wichtig ist Perry zufolge einfach, dass einem klar ist, welcher Aufgabe man bei alldem letztendlich aus dem Weg geht: nämlich der alles überschattenden Aufgabe, die ganz oben auf der Liste steht. Beim Vermeiden dieser einen Aufgabe lässt sich, wie nicht zuletzt Perrys eigene Karriere mit zahlreichen Publikationen zeigt, durchaus eine ziemliche Produktivität entwickeln.

Aber muss nicht diese eine Aufgabe, die ganz oben auf der Liste steht, auch irgendwann erledigt werden? Steht sie nicht deshalb ganz oben auf der Liste, weil sie besonders wichtig und besonders dringend ist? Das ist nach Perrys Ansicht oft nur eine Illusion. In jedem Beruf, so vermutet er, gibt es Aufgaben, die ungeheuer wichtig und dringend erscheinen, die aber in Wirklichkeit alles andere als wichtig oder dringend sind. Das trifft seiner Ansicht nach ganz sicher auf viele akademische Veröffentlichungsprojekte zu, die zwar mit einer Deadline versehen sind, in Wirklichkeit aber beliebig lange hinausgezögert werden können und vermutlich auch niemandem wirklich fehlen würden, wenn sie niemals in Angriff genommen würden. Die im Originaltitel seines Buches angesprochene Kunst des Aufschiebens besteht eben nicht zuletzt darin, die Aufgabe, die man auf Platz 1 der Liste setzt, sorgfältig auszuwählen. Sie muss wichtig und dringend erscheinen, ohne es wirklich zu sein.

Manches erledigt sich von selbst
Das belegt er mit einer Anekdote aus seiner eigenen Laufbahn, die zeigt, dass es nicht immer schlecht sein muss, eine wichtige Aufgabe so lange vor sich herzuschieben, bis es sogar zu spät für ihre Erledigung ist. Er berichtet schamvoll davon, wie er als Assistenzprofessor an der University of California für die Zulassung von Studienbewerbern zum Masterstudiengang zuständig gewesen war. Er hatte damals die ungeliebte Aufgabe der Durchsicht dieser Bewerbungen stets so lange aufgeschoben, bis ihn schliesslich der Institutsleiter daran erinnerte, zur nächsten Sitzung eine Liste der besten Kandidaten mitzubringen.

Als er sich nun Jahre später, inzwischen als Professor an der Stanford University, mit einem erfolgreichen IT-Unternehmer aus dem Silicon Valley traf, um über eine Spende für ein zu gründendes Forschungsinstitut zu sprechen, kamen die beiden ins Plaudern. Wie sich herausstellte, hatte sich der Unternehmer vor einem Jahrzehnt an der University of California für ein Philosophiestudium beworben, seine Bewerbung war jedoch niemals beantwortet worden. Perry wurde sofort klar, dass sie irgendwo bei ihm verloren gegangen sein musste, hütete sich aber wohlweislich, seinem Gesprächspartner das zu sagen. 

Dieser erzählte weiter, wie er schliesslich wegen des Ausbleibens einer Antwort den Gedanken an ein Philosophiestudium, das ohnehin nur eine Verlegenheitslösung für ihn gewesen wäre, aufgegeben und sich einen Job in der IT-Branche gesucht hatte. Inzwischen besass er sein eigenes Unternehmen, war erfolgreich, wohlhabend und sehr zufrieden mit der Richtung, die sein Leben genommen hatte. Die Aufgabe, über seine Bewerbung zu entscheiden, hatte sich von selbst erledigt, und er war tatsächlich froh darüber.

Natürlich lassen sich solche Anekdoten nicht ohne weiteres verallgemeinern. Aber diese Fälle kommen vor. Und letztlich ist Perrys Ziel in seinen eigenen Worten vor allem, «das angeknackste Selbstbewusstsein planvoller Aufschieber wiederaufzurichten – sie in dynamische Alles-sofort-Erlediger zu verwandeln, war nie meine Absicht». Er schliesst deshalb sein Buch: «Hoffentlich haben Sie nach dieser Lektüre erkannt, dass Sie bei aller Verzögerung Beachtliches leisten, und fühlen sich wohler in Ihrer Haut. Ist das geglückt, dann haben Sie mit Ihrer Zeit und Energie wahrscheinlich Wichtigeres zu tun, als Ihre kleine Schwäche zu bekämpfen. Vielleicht sollten Sie dieses Buch jetzt einfach zuklappen.»

Keine Lösung, aber eine Entspannung der Lage
Es darf sicher bezweifelt werden, dass das Buch geeignet ist, das Problem der Prokrastination ein für alle Mal aus der Welt zu schaffen. Das wäre wohl auch zu viel verlangt, und es war offensichtlich nicht Perrys eigener Anspruch. Er gibt lediglich auf knappem Raum ein paar plausible Erklärungen und ein paar nützliche Tipps für den Kampf gegen das Aufschieben. Das wäre zum einen der Tipp, jeden Abend eine detaillierte To-do-Liste zu erstellen, die von «Wecker ausmachen», «Nicht auf die Schlummertaste drücken» bis hin zu «Kaffee machen» so viele Einzelschritte enthält, dass man bereits zahlreiche Aufgaben abhaken konnte, bevor man den ersten Schluck Kaffee getrunken hat. Eine interessante Methode, um sich das gute Gefühl zu geben, dass man durchaus einiges erledigt hat. Andere Tipps betreffen den Umgang mit dem Computer und dem Internet sowie die Auswahl der Musik, die einen gerade dann unterstützen kann, wenn einen die Aufschieberei in die Depression zu treiben droht. Ein weiterer Tipp: Man arbeite mit Nichtaufschiebern!

Leider nimmt sich die Übersetzung einige Freiheiten, die dem Stil des Originals nicht immer gerecht werden. So heisst es an einer Stelle, nachdem Perry seine Fantasie, ein perfektes Gutachten über einen Fachartikel zu schreiben, mit dem letztlich unter selbstverschuldetem Zeitdruck erreichten Ergebnis eines hinreichend seriösen Gutachtens kontrastiert: «Na schön, das Gutachten war nicht phänomenal, aber gut genug.» Im Original lautet dieser Satz: «True, the report wasn’t perfect, but it was perfectly good enough.» In einem Kapitel, das von Perfektionismus handelt, sollte das Adjektiv «perfect» auch tatsächlich mit «perfekt» und nicht mit «phänomenal» oder anderen Adjektiven übersetzt werden. Obendrein verpasst die Übersetzung die feine Pointe, dass die Perfektion letztlich gerade durch die Beschränkung auf eine hinreichende Qualität erreicht wurde. Wie vor allem Ökonomen wissen, besteht die perfekt rationale Verwendung von Ressourcen eben nicht darin, eine einzelne Aufgabe mit maximalen Ressourcen so gut wie möglich zu erledigen, sondern sie besteht darin, die Ressourcen so auf alle Aufgaben zu verteilen, dass am Ende alle Aufgaben genau mit dem Mass an Aufwand erledigt worden sind, das ihrer Bedeutung angemessen ist.

So könnte sich am Ende herausstellen, dass die chronischen Aufschieber die wahrhaft rationalen Zeitgenossen sind. Was auf den ersten Blick wie Willensschwäche aussieht, könnte sich bei näherem Hinsehen als eine unbewusste Strategie erweisen, ungeliebten Arbeiten nicht mehr Bedeutung beizumessen, als ihnen tatsächlich zukommt. Das einzige Hindernis, das ihnen noch im Wege stünde, um ihr Handeln wahrhaft rational zu machen, wäre das schlechte Gewissen, das ihr Aufschieben unaufhörlich begleitet. Für dieses schlechte Gewissen, so will uns Perry klarmachen, besteht letztlich kein Grund.

John Perry: Einfach liegen lassen

John Perry

Einfach liegen lassen: Das kleine Buch vom effektiven Arbeiten durch gezieltes Nichtstun

Riemann Verlag, München, 2012, Taschenbuch, 128 Seiten, Fr. 12.90

EAN: 9783641094003

Originalausgabe
The Art of Procrastination: A Guide to Effective Dawdling, Lollygagging and Postponing, NY, 2012

Foto: Carsten Köllmann