15.10.2019
TEXT: Stefan ZügerFOTO: unique52@pixabay
Japanische Lebenskunst, Ikigai, Meditation, Selbstfindung

Der Weg zum persönlichen Ikigai kann mitunter lang sein.

Japanische Lebenskunst, Teil 2

Der lange Weg zum eigenen Ich

«Das 12-Wochen-Programm für Glück und Gesundheit» verspricht die Autorin. Caroline de Surany, ehemalige Betreiberin eines Modeblogs, spricht aus Erfahrung, hat sie doch nach einem radikalen Umdenken ihr Ikigai, also ihr Lebensglück, selber gefunden und macht ihr Wissen nun in ihrem 200-seitigen Buch einem breiten Publikum zugänglich.

Nach der Lektüre von Ken Mogis «Ikigai – die japanische Lebenskunst» zur Findung des eigenen Ikigai – frei übersetzt: Zustand der Lebensfreude – bleibt der/die Interessierte leicht ratlos zurück und sucht nach der Fortsetzung, nach einer Anleitung zum ganz eigenen, persönlichen Ikigai. Caroline de Suranys Werk bietet sich dafür an, richtet es sich doch vor allem an gestresste Leute, die verlernt haben, auf ihre innere Stimme und auf ihr eigenes Ich zu hören. Vorab ein Hinweis für alle, die den einfachen, schnellen und zeitsparenden Weg suchen: Sie brauchen das Buch gar nicht erst zu lesen.

Der rund 200 Seiten starke Leitfaden mit vielen Ratschlägen und weiterführenden Literaturhinweisen liefert Instruktionen zur Findung des eigenen Ich. Er bedient sich realer, konkreter Übungen, die ganz tief gehen. Das braucht es wohl, um sein Verhalten, seine Einstellungen – je nachdem – von Grund auf zu verändern. Schritt für Schritt, eins nach dem anderen. Tag für Tag, Woche für Woche, zwölf Wochen lang. Jeden Tag eine Übung, gross oder klein. Die Kapitel sind jeweils aufgeteilt in Theorie («Zeit zum Nachdenken») und Praxis (Spiel, Aufgabe und Magie: «Wir spielen ein bisschen»). 

Ganz einfach ist die Sache jedoch nicht: Der Leser auf der Suche nach seinem Ich braucht in mancher Hinsicht viel Überwindung für einige doch eher abstrakte, schwierige und oft zeitintensive Übungen. So propagiert die Autorin unter anderem die Philosophie der japanischen Aufräumpäpstin und Bestsellerautorin Marie Kondo. Deren Grundeinstellung gilt als Ausgangspunkt einer «inneren Ordnung», wonach sich der Mensch vom Konsumverhalten der westlichen Welt verabschieden und von überflüssigen Dingen trennen solle. De Surany macht in ihrem Buch ebenfalls diese Vorgehensweise beliebt, was aber einige konsumgewohnte Leute vor gewisse Probleme stellen könnte, denn loslassen von viel Liebgewonnenem und Gewohntem ist nicht einfach. 

Einzelne Übungen bedürfen einer oder mehrerer Personen, die beraten, führen und so den Weg aufzeigen sollen. Nur so kann man sich wirklich auf das Übungsziel konzentrieren. Schlussendlich geht es darum, zu hinterfragen, Masken abzulegen, zu verzichten, eigene Fehler zu erkennen, weniger aufzuschieben, sich weniger von äusseren Zwängen leiten zu lassen, mehr auf sich selbst zu hören, aus der Opferrolle zu treten und das Leben selber zu bestimmen. Kurz: um die Konfrontation mit dem Ich. Dabei stellt der Leser fest: Ein Scheitern im früheren oder aktuellen Leben kann durchaus als Chance für einen Neuanfang betrachtet werden.

Nach 170 Seiten Einleitung und Übungen zur Vorbereitung sowie 30 Seiten «auf das Ikigai hinführen» kommt erst auf den letzten vier Seiten quasi die «Erlösung»: So tönt dein eigenes Ikigai! Caroline de Surany brauchte geschlagene vier Jahre, um ihres zu finden. Somit fragt sich, ob in nur 12 Wochen dieses Ziel wirklich erreicht werden kann. Weiter fragt sich, wer in unserem schnelllebigen, konsumintensiven und hektischen Alltag so viel Zeit investieren kann und will, diesen doch langen und intensiven Prozess zu durchleben. 

Ikigai_japanische Lebenskunst_Meditation_Selbstfindung

«Ikigai – Das 12-Wochen-Programm für Glück und Gesundheit»
Caroline de Surany

Originaltitel: «Mon programme Ikigai – 12 semaines pour trouver le secret de votre bonheur»
Verlag Irisiana, 2019
Übersetzung: Gabriele Hoffmann
208 Seiten, Fr. 25.90 bei Orell Füssli resp. Fr. 19.10 bei Ex Libris
ISBN: 978-3-424-15358-3

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