06.02.2020
TEXT: Alfred SteinbachFOTO: Image by Gerd Altmann from Pixabay
articial intelligence, AI, Künstliche Intelligenz, KI, Denken ist ein Sinn

«Kann Künstliche Intelligenz Bewusstsein entwickeln?», fragt Gabriel in seinem Buch.

Ein Gegendenken gegen Verschwörungstheorien, alternative Fakten und Mythen rund um die Künstliche Intelligenz.

Denken ist ein Sinn

Mit seinem Buch «Der Sinn des Denkens» lädt der Philosoph Markus Gabriel den Leser ein, über das Denken nachzudenken. Denken ist ein Sinn, so seine Kernthese. Er plädiert für ein neues philosophisches Nachdenken, ein Gegendenken gegen die weit verbreitete Angst vor der Wahrheit.

Verschwörungstheorien, alternative Tatsachen und apokalyptische Zukunftsszenarien haben Hochkonjunktur. Die modernen Demokratien schwächeln, Populisten sind ebenso auf dem Vormarsch wie absurde Mythen über die Künstliche Intelligenz (KI). Höchste Zeit, das Denken neu zu denken, meint Gabriel in seinem neuen Buch «Der Sinn des Denkens». Nach «Warum es die Welt nicht gibt» und «Ich ist nicht Gehirn» ist es der letzte Teil seiner Trilogie.

Denken als sechster Sinn

Denken ist unser sechster Sinn. Mit dieser These stellt Gabriel 2000 Jahre Philosophiegeschichte auf den Kopf und widerspricht niemandem Geringerem als Immanuel Kant. Dieser setzte das Denken unseren fünf Sinnen entgegen, womit es, von sinnlichen Reizen abgekoppelt, jeder Erkenntnismöglichkeit beraubt sei. Für Gabriel sind Gedanken dagegen so wahr wie physikalisch vorhandene Objekte. Gedanken können von unserem Denksinn ohne Zutun der anderen Sinne erfasst werden. Sie fliegen sozusagen im Raum herum; sie sind einfach da und gehören zum Wirklichkeitsinventar wie die Mathematik, die Limmat oder das Matterhorn.

Denken ist etwas Sinnliches und an eine biologische Hardware geknüpft

Denken ist etwas Sinnliches und ist zwingend an biologische Bedingungen geknüpft, was nicht nachbaubar ist, so Gabriel. Computer können nicht denken, da ihnen das Bewusstsein fehlt, über das Denken nachzudenken. Der Mensch gefällt sich immer wieder darin, in der KI eine Art menschliche Superintelligenz zu sehen, die uns unterwerfen, uns vernichten will. Das sind nichts anderes als martialische Untergangsfantasien. Immer dann, wenn der Mensch die Welt nicht mehr begreift, so warnt Gabriel, beginnt er, Mythen zu kreieren, welche die komplexe Wirklichkeit ersetzen.

Komplexes einfach erklärt

Gabriel ist in antiken Weisheitslehren und der neuzeitlichen Philosophie genauso bewandert wie in Literatur, Kunst oder den Fernsehserien unserer Popkultur. Trotz der auf den 368 Seiten behandelten Themenvielfalt ist der «Sinn des Denkens» eine äusserst kurzweilige Lektüre, die Komplexes sehr anschaulich und pointiert erklärt. Grosses philosophisches Vorwissen ist nicht nötig. Alle philosophischen Fachbegriffe werden sowohl im Text als auch in einem Glossar erklärt. Gabriel schreibt in einem lockeren, witzigen Ton und tut genau das, was ein Philosoph tun sollte: seine Gedanken klar und für jeden verständlich formulieren. Einziger Wermutstropfen: Hier und da schafft es Gabriels Argumentation nicht, zu überzeugen, am wenigsten dort, wo er zu erklären versucht, warum Computer kein Bewusstsein entwickeln können. Jedoch schmälert dies den Lesegenuss in keiner Weise. «Der Sinn des Denkens» ist eine aufklärerische Streitschrift gegen alternative Wahrheiten, Verschwörungstheorien und Transhumanismus.

Sinn des Denkens, Markus Gabriel, Denken ist ein Sinn, Künstliche Intelligenz,

Markus Gabriel

Der Sinn des Denkens

Ullstein Verlag, Berlin

2018; Ex Libris

Fr. 29.90 (fester Einband)

ISBN: 978-3-550-08193-4

 

Markus Gabriel, Jahrgang 1980, studierte Philosophie, Philologie und Germanistik in Bonn, Heidelberg, Lissabon und New York. Er ist seit 2009 Professor am Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn, wo er ebenfalls Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie ist. Er ist einer der wichtigsten Vertreter des Neuen Realismus und regelmässiger Gastprofessor an der Sorbonne in Paris.