20.01.2021
TEXT: Malini GloorFOTO: Gerd Altmann
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Sexarbeitende erzählen im spannenden Buch über ihren Berufsalltag.

Buchkritik «Ich bin Sexarbeiterin»

Sexarbeiterinnen reden Klartext

Das Sexmilieu fasziniert oder stösst ab. Kalt lässt es kaum jemanden. Im soeben erschienenen Buch «Ich bin Sexarbeiterin» kommen Prostituierte selbst zu Wort. Dass das Geldverdienen unter Einsatz des eigenen Körpers nicht immer ein Muss oder ein fremder Zwang ist, könnte einige Lesende überraschen.

Alle und alles über einen Kamm zu scheren, ist meist falsch. Dies wird auch beim Lesen des Buchs «Ich bin Sexarbeiterin» klar kommuniziert. Der silberne Schutzumschlag, in dem man sich selbst verschwommen gespiegelt sieht, suggeriert einem, selbst Sexarbeiterin zu sein: Der Buchtitel «Ich bin Sexarbeiterin» steht wohl absichtlich am oberen Rand des Covers, damit das eigene Gesicht nicht verdeckt wird. «Aufgeklärt» über den Sinn des silbernen Schutzumschlags wird man im Buch aber nicht.

Glänzend und schimmernd – aber nicht immer
Glänzend und schimmernd wie der Bucheinband ist das Leben als Prostituierte nicht immer – aber manchmal schon. In den Porträts kommen insgesamt elf Sexarbeitende – darunter ein Mann – zu Wort. Daneben werden in teils etwas umständlichen Worten von verschiedenen Autorinnen Gesetzeslagen zur Prostitution sowie Zahlen und Fakten zur Sexarbeit erläutert.

Vom Strichplatz aus oder virtuell
So unterschiedlich die Porträtierten sind, so unterschiedlich sind auch ihre Arbeitsumgebungen. Während Victoria beim Strichplatz in Zürich-Altstetten täglich vier, fünf Stunden ihrer Arbeit nachgeht und so ihren Lebensunterhalt verdient, sieht es bei Domina Lady Latina komplett anders aus: Sie sitzt gemütlich daheim in ihrem Arbeitszimmer und agiert vor allem in der virtuellen Welt. Mittels Videos, welche die virtuellen Freier kaufen können, und über Amazon-Wunschlisten. So lässt sie sich ihre materiellen Wünsche per Mausklick erfüllen. Ein Dankeschön an die Bezahler? Weit gefehlt. «Ich behandle die eh wie Scheisse und sage auch nie Danke», lässt sie sich im Buch zitieren.

«Ich mag Sex. Dafür bezahlt zu werden, war ein Bonus.»
Die Frauen, die in diesem spannenden Buch zu Wort kommen, machen klar, dass sie nicht zur Sexarbeit gezwungen wurden. Oft ist das gute Geld, das sie verdienen, der Hauptgrund, bei einigen aber auch die Lust am Sex. «Sex habe ich schon immer geliebt, und dafür noch bezahlt zu werden, war wie ein Bonus für mich», erklärt Charizma ihre Faszination zu Beginn ihrer Karriere.

Diese Informationen dürften für viele Lesende neu sein und vielleicht auch verstörend wirken. Vielleicht ist dafür ja der spiegelnde Schutzumschlag da: Damit man sich Gedanken über sich selbst und seine Ansichten macht. Das Buch, erschienen im Limmat Verlag und herausgegeben vom Appell «Sexarbeit ist Arbeit», wurde von der Berner Fotografin Yoshiko Kusano begleitet. Die teils tristen Fotos zeigen die manchmal heruntergekommenen Arbeitszimmer der Frauen, aber auch den Strichplatz in Zürich oder edlere Räumlichkeiten von Sexarbeitenden.


«Ich bin Sexarbeiterin» – Porträts und Texte

160 Seiten, 32 Farbfotos

Herausgeber: Appell Sexarbeit-ist-Arbeit.ch

Limmat Verlag

ISBN: 978-3-03926-006-5

Preis: CHF 32.–

www.limmatverlag.ch