08.03.2018
Frauentag 2018
Stimmen zum Frauentag

«Die meisten Frauen ticken anders»

Er ist international, seit 1911 offiziell und äusserst weiblich: der Tag der Frau, der am 8. März auf dem Kalender steht.

Die Spanierinnen riefen zum Tag der Frau zu einem landesweiten Streik auf. Fast zeitgleich gingen in der Türkei und im Iran Frauen ebenfalls auf die Strasse, um Gleichberechtigung zu fordern. Die Deutschen beharren am 8. März mit dem Leitspruch #PressforProgress auf Fortschritte punkto Gleichstellung. Und in der Schweiz? Eine spontane Umfrage von «der arbeitsmarkt» zeigt, dass der 8. März kaum als spezieller Tag wahrgenommen wird.

Haben die Töchter und Söhne von Helvetia punkto Gleichberechtigung nichts mehr zu klagen?«Schön wäre es», sagt Simone Curau-Aepli. Sie ist Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission für Frauenfragen (EKF) und Präsidentin des Katholischen Frauenbunds. Für sie ist der 8. März durchaus ein besonderer Tag, und sie ist damit nicht alleine.

Warum ist der 8. März für Sie ein spezieller Tag?
Grundsätzlich ist es eine Gelegenheit, um innezuhalten, daran zu denken, was Frauen bereits erreicht haben, damit sie die gleichen Rechte wie die Männer haben. Diese Leistungen gilt es zu ehren und zu feiern. Wir müssen aber weiterkämpfen. Denn wir sind offiziell gleichberechtigt, doch noch lange nicht gleichgestellt. 

Welche Missstände prangern Sie an?
Wir sind weit entfernt davon, dass die gleiche Arbeit auch den gleichen Lohn beschert. Wir brauchen eine vernünftige Elternzeit, damit sich Arbeit und Familie besser vereinbaren lassen, sich Väter mehr um die Kindererziehung und Frauen um ihre beruflichen Karrieren kümmern können. Ein Vaterschaftsurlaub, wie er derzeit im Parlament verhandelt wird, reicht nicht. Es braucht strukturelle und kulturelle Veränderungen, damit alle gleichgestellt sind, Frauen in Führungsgremien keine Seltenheit mehr sind. Das fordert nicht nur die Wirtschaft.
Ich freue mich sehr über die Aktion «halbe-halbe – mehr Frauen in die Politik», die am 8. März von der EKF lanciert wurde. Mit einem Videospot, in dem verschiedene Politikerinnen zu Wort kommen, wollen wir andere Frauen ermutigen, auf dem politischen Weg für eine Gleichstellung zu kämpfen, indem sie sich in ein Amt wählen lassen.

Simone Curau-Aepli

Bedeutet Gleichstellung, dass Männer Rechte abgeben müssen?
Nein. Geteilte Macht und Verantwortung lassen sich auf mehrere Schultern verteilt besser tragen. Die meisten Frauen ticken anders als Männer. Sie sind gerade bei den Themen Geburt und Tod von den körperlichen Voraussetzungen her näher dran, das bringt eine andere Sicht- und Handlungsweise. Sie arbeiten auch anders zusammen als Männer, setzen dabei weniger ihre Ellenbogen ein. Die Mitarbeit von Frauen ist somit eine Horizonterweiterung, eine Bereicherung. Frauen, die bisher Karriere machen wollten, mussten männlich handeln und auftreten. Wissen Sie, wie sich das sehr deutlich bei der Kleidung zeigt?

Mit dem Hosenanzug, der mit einer Schleife um den Hals ergänzt wird?
Jawohl. Es ist nun an der Zeit, dass Männer ihre weiblichen Seiten mehr entdecken und einsetzen dürfen und wir Frauen uns mit unseren Werten durchsetzen können. Denn letztendlich geht es in unserer Welt nicht nur um den finanziellen Profit, damit es uns allen so gut wie möglich geht. 

Welche Profite denn sonst?
Für meine Tätigkeiten bei der EFK und dem Frauenbund erhalte ich Aufwandentschädigungen und keinen Lohn. Ich erhalte unter anderem aber wichtige Beziehungen, die Möglichkeit, zu lernen, kann Einfluss nehmen, das gibt mir Zufriedenheit. Ehrenamtlich zu arbeiten, kann ich mir von meinen privaten Umständen her zum Glück wirtschaftlich leisten. Wohlergehen bedeutet nicht nur finanziellen Reichtum und kann nur in der Gemeinschaft erreicht werden. Natürlich spielt Geld auch eine wichtige Rolle.
Von der Gleichstellung profitieren nicht nur Frauen, sondern auch Angehörige von Minderheiten wie Menschen mit Handicap, Zugewanderte oder Männer, die sich bisher nicht genügend für sich selber einsetzen konnten. So etwa bedingt Lohngleichheit Transparenz, und davon können nicht nur Frauen profitieren, sondern alle, wenn feststeht, dass es für dieselbe Arbeit nicht denselben Lohn gibt. 

Wie kann das Ziel Gleichstellung endlich erreicht werden?
Es braucht Verbündete in Machtpositionen. Frauen und Männer in Schlüsselpositionen, die eine breite Unterstützung erhalten. Es braucht mehr Frauen, die sich in ein Amt wählen lassen, sich trauen, Kaderpositionen einzunehmen. Das fordert gerade die bürgerlichen Parteien. Ihre Kultur und ihre Strukturen müssen sich ändern, damit bei ihnen mehr Frauen mitarbeiten. Um das zu erreichen, wählen wir gerade mit dem Projekt Aktion «halbe-halbe» den weiblichen Weg: Wir bieten den Männern unsere Hilfe an, eine schwere Last zu tragen, und ermutigen Frauen, sich an der Politik zu beteiligen. 

Zeichen wie rosa Mützen oder das Schlagwort #MeToo sind schnell zur Hand und gegenwärtig im Trend. Wie schätzen Sie solche medienwirksame Aktionen ein?
Symbole sind wichtig und haben viel Kraft. Gerade #MeToo zeigt, wie wichtig es ist, aus Tabuzonen auszubrechen, dass die Scham und die Schuldgefühle der Opfer extrem gross sind. Das darf nicht sein. Dass so viele Frauen an der Verleihung der Oscars aufgestanden sind, war extrem wichtig und hilfreich.

Solche penetranten Aktionen können aber auch dafür sorgen, dass die Menschen das Thema sattbekommen. 
Das ist ein absolutes Luxusproblem! Diese Stacheln müssen bleiben und so lange schmerzen, wie es Ungerechtigkeit, Hunger, Not und Leid gibt. 

Sie gehören der katholischen Kirche an, die gerade punkto Gleichberechtigung sehr zurückhaltend ist. Bei welchen Anliegen stellen Sie sich gegen Ihre Glaubensgemeinde?
Die Rolle der Frau ist in der katholischen Kirche ein Trauerspiel! Dabei geht es nicht nur um den Priesterstand. Es kann doch nicht sein, dass an einer Synode über Ehe und Partnerschaft keine einzige Frau mitentscheiden kann, wie das jüngst passierte. Die ganze Hierarchie des Konzerns katholische Kirche ist ganz klar männlich strukturiert. Es besteht ein riesiger Handlungsbedarf.

Warum sind Sie dann immer noch Katholikin?
Weil ich ein Umfeld habe, das sehr viel ermöglicht. Ich bin als Katholikin gross geworden und schätze die Werte dieses Glaubens sehr, sie gehören zu meinen Wurzeln. Mir ist die tätige Nächstenliebe sehr wichtig, und so orientiere ich mich am Leitspruch von Frère Roger aus Taizé: Kampf und Kontemplation. Das heisst, ich sammle in meinem Glauben innerlich Kräfte, um gegen aussen Missstände bekämpfen zu können. Gerade im Frauenbund sind viele Frauen versammelt, die ihren Glauben traditionell und in neuen Formen leben. Das hindert uns aber nicht daran, uns dafür einzusetzen, dass Dogmen wie die Ökumene der Neuzeit angepasst werden müssen.
Zudem brauchen die einzelnen Regionen mehr Kompetenzen. Denn die Gläubigen in Europa haben von ihren Lebensumständen her andere Bedürfnisse als die Gläubigen in Asien oder Afrika. Das Projekt «Kirche mit den Frauen», in dem Frauen von St. Gallen nach Rom pilgerten, ist im wahrsten Sinne des Wortes mehr als ein Schritt in die richtige Richtung. Bei dieser Aktion wie beim 8. März waren Frauen wichtige Vorbilder, die uns Mut machen, vorwärtszumachen, um die Gleichstellung zu erreichen. Nicht nur am Tag der Frau.

 

Was_tun_am_Frauentag

Umfrage in Zürich am 8. März 2018 zum Frauentag; Video: Detlef Kohl