03.04.2019
TEXT: Daniel StaufferFOTO: Tatyana Jenni
Els Biesemans mit ihrem historischen Hammerklavier.

Els Biesemans mit ihrem historischen Hammerklavier.

Fünf Fragen an die Pianistin

Die Profi-Musikerin mit dem Hammerklavier

Das Hammerklavier auf den Lieferwagen laden, die Fahrt zum Konzert, das Instrument ausladen und stimmen, ein Konzert geben, den Applaus abholen, das Hammerklavier wieder einladen und nach Hause fahren: das faszinierende Leben der Konzertpianistin Els Biesemans.

Haben Sie ein Morgenritual, bevor Sie zur Arbeit gehen?
Arbeit und Leben sind bei mir sehr verwoben. Zuerst mache ich einen Kaffee. Vorher läuft nichts. Dann übe ich meistens ein bis zwei Stunden. Danach bin ich hungrig und frühstücke. Ich übe drei bis vier Stunden pro Tag, je nach aktuellen Konzerten, oder wenn Proben mit Kammerorchestern dazukommen, auch bis zu sechs Stunden, wobei das dann eher spielen ist. So richtig konzentriert mit dem Kopf dabei sein und lernen geht nicht mehr als vier Stunden. Zum Teil spiele ich auch durch, das nenne ich dann aber nicht üben.

Für das Programm vom nächsten Sonntag habe ich zum Beispiel erst gestern Dienstag begonnen. Es sind teilweise Stücke dabei, die ich vor fünfzehn Jahren gelernt habe. Ein sehr schönes Gefühl, über ein solches Repertoire zu verfügen, das mit den Jahren gewachsen ist. Ich erinnere mich rasch an die Melodien. Nach ein paar Stunden ist der Staub weg, vor allem bei Stücken, die ich als Kind gelernt habe. Das meiste kann ich aber auswendig.

Da ich so viele verschiedene Repertoires habe, ist es mir aber nicht immer möglich, alles auswendig zu spielen. Wenn ich an Konzerten mit Noten spiele, brauche ich dann jemanden, der die Seiten umlegt. So kann ich mich voll auf die Musik konzentrieren und meine Gefühle reinbringen.

Was beinhaltet Ihr Job?
Das eine Standbein ist mein Job als konzertierende Musikerin, aber ich bin auch als Organistin fest in der Predigerkirche in der Altstadt in Zürich und in der Bühlkirche in Zürich-Wiedikon angestellt. So habe ich zwei Standbeine. Das eine ist die Festanstellung, wo ich vor allem am Sonntag und am Freitag Orgel spiele. Dazu gehört auch die ganze musikalische Gestaltung innerhalb der Kirchgemeinde. Ich kann sogar Konzerte organisieren und Musiker engagieren, muss mich aber auch mit Werbung und Öffentlichkeitsarbeit befassen oder mit dem Grafiker zusammenarbeiten.

Das Ganze macht mir grossen Spass. Ich habe so eine Art Bühne für Künstler, mit denen ich zusammenarbeiten will. Dafür steht mir sogar ein kleines Budget in unserem Verein, der selber Geld generiert, zur Verfügung. Eine Kulturmanagerin unterstützt mich dabei, wobei diese sowohl für mich als auch für den Verein arbeitet. Sie schaut auch, dass Gelder von Stiftungen oder beim Kanton beantragt werden, zum Beispiel für Festivals.

Die Pianistin Els Biesemans geniesst das Bad in der Menge.
Die Pianistin geniesst das Bad in der Menge. Foto: zVg Els Biesemans

Das andere Standbein ist, wie erwähnt, die Konzerttätigkeit. Das bedeutet reisen, Programme zusammenstellen, mich in das Publikum eines Anlasses hineinversetzen und mir überlegen, was für Musik es braucht. Ein Hauskonzert hat zum Beispiel ein ganz anderes Zielpublikum als ein öffentliches Konzert. Manchmal ist auch ein bisschen Moderation notwendig. Dann muss ich die Musikstücke üben und, wenn ich mit anderen Musikern zusammenspiele, auch proben. Am meisten profitiere ich, wenn ich zwei bis drei Tage vor dem Konzert technisch alles durchspielen kann und auch musikalisch schon eine Vorstellung habe. Ich nehme mich dann selbst mit Video oder Ton auf. Damit kann ich checken, ob es so rüberkommt, wie ich mir das vorstelle. Ich sehe dann, was ich noch besser machen kann. Es ist eine harte, aber notwendige Schule. Wenn ich das mache, bin ich nach dem Konzert zufriedener. Ich werde mit mir selber konfrontiert und kann mich dadurch noch verbessern. Es ist, wie wenn ich mein eigener Coach wäre. Ich fühle, wie ich mich weiterentwickle, und das tut mir sehr gut.

Nach dem Konzert mit dem Applaus und der Zugabe fängt die wirkliche Arbeit erst an: lächeln, mit aufs Foto müssen. Die Backenmuskeln tun nach so einem Abend weh. Alles ist zwar schön und wohl so, wie sich Frauen nach der Hochzeit fühlen. Es ist schon gut und gehört dazu. (Lacht.)

Els Biesemans geniesst den Applaus
Els Biesemans geniesst den Applaus. Foto: zVg Els Biesemans

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Sie Ihre Arbeit gerne machen?
Musik muss eine Leidenschaft sein, sonst springt der Funke nicht über. Du musst sehr gerne kommunizieren. Es reicht nicht, nur für dich zu spielen. Du musst dir immer bewusst sein: Da sitzen Leute, und die hören zu. Die Aufmerksamkeit, die geboten wird, ist Gold wert, die muss ich festhalten und damit adäquat umgehen können.

Els Biesemans feilt im Rhetorik Club Mutschellen an ihren rhetorischen Fähigkeiten. Foto: Daniel StaufferWie beim Zuhören bei einem Redner: Ich bin mir bewusst, dass ich Inputs geben und es spannend genug machen muss, damit die Aufmerksamkeit des Publikums nicht nachlässt. Gewisse Faktoren kann ich nicht beeinflussen. Je nach Konzert kann die Atmosphäre im Saal ganz anders sein. Gerade bei einem eher steifen Publikum bin ich mir manchmal nicht sicher, ob mein Spiel vom ersten Ton an rüberkommt. Da muss man durch und kann nicht sagen: «Leute, ich spüre von euch nicht viel, ich gehe nach Hause!» Man muss mit diesem Stress umgehen können, gerne reisen und diese Art der Einsamkeit ertragen. Das ist schon viel Verantwortung, die auf den eigenen Schultern ruht.

Meistens werde ich für Konzerte angefragt. Für Orte, wo ich gerne spielen möchte, bewerbe ich mich auch. Manchmal klappt das, jedoch nicht immer. Ansonsten kommen Angebote aus verschiedensten Ecken. Auch folgen mir Leute auf Facebook und nehmen so oder über meine Homepage mit mir Kontakt auf, beispielsweise Musiker, die mit mir spielen wollen. Zudem decke ich mit dem Hammerklavier eine bestimmte Nische im klassischen Musikleben ab. Ein solches Instrument kann man nicht in riesige Säle stellen. Das ist eher etwas für intimere Kreise. Das Instrument nehme ich selber ans Konzert mit. Weil ich als Expertin für historische Tasteninstrumente gelte, werde ich auch manchmal in Museen eingeladen, um auf den wertvollen und sensiblen Instrumenten zu spielen. Pianistinnen gibt es etwa dreizehn im Dutzend. Für mich besteht jedoch ein besonderer Reiz im Spielen mit den historischen Instrumenten.

Mit der Orgel ist das natürlich ganz anders. Das ist nicht wie mit einer Geige, die du mitnehmen kannst und wo du dich nur an den Raum gewöhnen musst. Da jede Orgel anders ist, muss ich vor Ort mit einer zusätzlichen Vorbereitung von fünf bis sechs Stunden rechnen. So lange dauert es, die Register auszuwählen und den Klang zusammenzustellen, wie bei einem Orchester.

Wenn ich auf einem Flügel oder mit meinem eigenen Flügel spiele, stimme ich auch das Instrument selbst. Ich bin es gewohnt, ein paar Stunden vorher voll konzentriert zu arbeiten, und bin dann meistens so müde, dass ich vor Konzertbeginn gähne. Das ist gut so, denn es entspannt mich, und dann spiele ich nicht zu schnell.

Els Bieseman wählt die Register und stellt den Klang auf einer Kirchenorgel zusammen.
Die Register werden gewählt und der Klang zusammengestellt. Foto: zVg Els Biesemans

Wie wichtig ist Ihnen der private Ausgleich?
Sehr, sehr wichtig. Vor allem wenn ich mit dem eigenen Hammerklavier unterwegs bin. Ich komme dann jeweils um ein Uhr morgens zurück und lade das Instrument aus. Ich gebe mich in meinen Konzerten ganz aus. Die Leute merken das. Danach bin ich «erledigt» und brauche etwas, um mich festzuhalten: einfach sein können im Privaten. Jemand an meiner Seite haben, der das versteht. Ich habe dann nichts mehr übrig und muss mich zurückziehen, alleine sein, höchstens mit der Katze spielen, um wirklich wieder zu mir zu kommen. Manchmal gehe ich spazieren. Ich brauche dafür jedoch nur eine Nacht. Am letzten Wochenende bin ich zum Beispiel am Samstagmorgen früh aufgestanden und fünfhundert Kilometer nach «the middle of nowhere» gefahren. Dort habe ich das Klavier nachgestimmt, am Samstag und am Sonntag zwei Konzerte gegeben und war nachts um halb zwei wieder zu Hause. Ich mache das gern. Und die Rückmeldungen geben mir schon sehr viel Kraft.

Der Begriff Hammerklavier stammt aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Damit wird ausgedrückt, dass der Ton durch Anschlagen der Saiten mittels kleiner Hämmer produziert wird. Dies im Gegensatz zu den früheren Saiteninstrumenten, wie zum Beispiel dem Cembalo, bei dem der Ton durch das Anreissen der Saiten mittels Federkielen generiert wird. Durch diese neue Technik wurde es möglich, stufenlos leise bis laut zu spielen. Daraus ging die in vielen Sprachen gebräuchliche Bezeichnung «Pianoforte» oder «Fortepiano» hervor. Els Biesemans verwendet ein neues, nachgebautes Instrument, welches eine getreue Kopie der um 1800 in Wien hergestellten Pianos ist. Diese Instrumente verfügten noch nicht über einen Metallrahmen und hatten daher noch nicht das grosse Klangvolumen eines modernen Konzertflügels. Els Biesemans bietet mit ihren Konzerten deshalb ein intimes Tonerlebnis an, welches dem nahekommt, was das damalige Publikum zu hören bekam.

Haben Sie einen Tipp für gute Laune bei der Arbeit?
Ich beklage mich manchmal über anstehende administrative Arbeiten. Gleichzeitig sage ich mir, wenn ich zum Beispiel ein Konzept für ein Programm schicken muss, das erst in einem Jahr stattfindet: «Das ist der Weg, den ich gewählt habe, und es gehört dazu. Es gibt nichts zu klagen, ich habe es so gewollt, und es ist eine Ehre, dass ich von der Musik leben kann.» Dann fühle ich mich schon wieder etwas leichter und beschwingt. Ich muss mich immer wieder besinnen: Das sind die Schritte, die ich gewählt habe. Und ich habe das Glück, überhaupt selber wählen zu können und viel bekommen zu haben im Leben. Wenn man sich das vor Augen hält, dann macht es weniger Mühe, die vielen Mails zu beantworten, weil es einfach dazugehört. Das sind alles bloss Luxusprobleme. Es gelingt mir zunehmend, meine gute Laune zu bewahren.

W.A._Mozart_-_Sonata_B-Flat_Major_KV_333_I._Allegro_-_Els_Biesemans_on_Fortepiano

Els Biesemans spielt auf ihrem Hammerklavier W. A. Mozart – Sonata B-Flat Major KV 333 (I. Allegro). Video: zVg Els Biesemans