27.05.2015
FOTOS UND TEXT: Katja Imme

Anita Ruesi Streun bei ihrer Morgentour im Berner Marziliquartier.

Fünf Fragen

Die Zeitungsverträgerin

Anita Ruesi Streun, 36, trägt Zeitungen aus. Sie geniesst die Arbeit an der frischen Luft. Früh aufzustehen, macht ihr nichts aus.

Haben Sie ein Morgenritual?
Ich muss sehr früh aufstehen, so gegen vier Uhr, denn mein Dienst beginnt um fünf. Da bleibt nur Zeit zum Duschen und für einen Kaffee. Ich muss allerdings die Kleider sorgfältig auswählen, arbeite ich doch bei Wind und Wetter draussen.

Was beinhaltet Ihr Job?
Ich trage Zeitungen aus. Sonntags habe ich meine feste Tour im Marzili in Bern. Unter der Woche arbeite ich als Springer. Das heisst, ich übernehme die Touren von Arbeitskollegen, die entweder in den Ferien oder krank sind. Dann kann es vorkommen, dass ich an einem Tag zwei Touren machen muss, selten sogar drei. Das ist recht sportlich, wenn alle Kunden ihre Zeitung bis halb acht im Briefkasten haben sollen. Zum Glück kann ich selbst entscheiden, in welcher Reihenfolge ich welches Quartier bediene, damit ich möglichst wenig Zeit für den Weg von einem ins andere verliere. Im jeweiligen Revier lade ich die Zeitungen in den Wagen. Dabei zähle ich sie und vergleiche die Menge mit dem Tourenbuch. Darin stehen die Namen und Adressen der Kunden mit der jeweiligen Zeitung, die sie abonniert haben, und vor allem die Reihenfolge, wie die Route am schnellsten zu bewältigen ist. Das ist für mich besonders wichtig, wenn ich mich in nicht vertrautem Wohngebiet bewege. Meine Sonntagstour kenne ich fast auswendig. Aber ich prüfe immer, ob noch alles stimmt. Die Leute zügeln ja auch oder bestellen Zeitungen neu oder ab. Wenn ich eine Zeitung nicht zustellen kann, weil zum Beispiel der Briefkasten nicht beschriftet ist, melde ich das den Kollegen im Depot. Übrig gebliebene Zeitungen gebe ich in der Familie weiter oder entsorge sie wie auch die Verpackungen aus Folie und Banderolen. Das gehört zu meiner Arbeit.

Die Zeitungen holt Anita Ruesi Streun mit dem Wagen aus dem überdachten Quartierdepot um die Ecke. Morgens um Fünf trifft sie ihre Kunden selten. Aber sie kennt alle Katzen im Quartier. Überraschender Regen kann der versierten Zeitungsverträgerin nichts anhaben.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Sie Ihre Arbeit gern machen?
Ich mache diese Arbeit leidenschaftlich gern. Sie macht mir natürlich noch mehr Spass bei schönem Wetter. Aber auch Regen macht mir nichts aus. Ich ziehe mich eben entsprechend an. Schnee geniesse ich sogar. Ich halte stets Kontakt zu meinen Kollegen, frage nach, ob jemand meine Hilfe braucht. Ich gehe wohl öfter als nötig in unser Depot, damit ich die Kollegen, für die ich einspringe, persönlich kennenlerne. Mir ist Teamgeist wichtig. Der schönste Job wäre mir verleidet bei schlechter Stimmung im Team. Aber am meisten Freude macht mir der Kontakt mit den Kunden. Den pflege ich auch. Zu Weihnachten und Ostern lege ich ihnen immer kleine Aufmerksamkeiten wie zum Beispiel Teelichter oder bemalte Ostereier in den Kasten. Die bastele ich immer mit meinem Sohn und meinem Neffen.

Wie wichtig ist Ihnen der private Ausgleich?
Der kommt nicht zu kurz. Dank vier verschiedener Jobs fühle ich mich ausgeglichen. Die Freizeit geniesse ich mit meiner Familie. Sonntags begleitet mich mein Mann regelmässig beim Zeitungaustragen. Das ist für uns wie ein Spaziergang zu zweit. Anschliessend sind wir früh genug daheim, um ausführlich zu frühstücken. Und haben trotzdem noch den ganzen Sonntag vor uns.

Haben Sie einen Tipp für gute Laune bei der Arbeit?
Ich habe eigentlich immer gute Laune. Das kommt daher, dass ich tue, was mir Freude macht.

Anita Ruesi Streun, 36, arbeitet seit gut drei Jahren als Zustellerin für den Presto Pressevertrieb. Sie trägt auch Werbung aus, ist Fotografin und verkauft Snacks und Getränke am Kiosk des Berner Marzilibades. Anita Ruesi Streun lebt mit ihrem Mann und einem Pflegesohn in Bern.