27.05.2015
FOTO UND TEXT: Till Hiemer

Lisa Elmer auf dem Balkon ihrer Wohnung, mit Beckenzirkel und Babywaage in der Hand.

Fünf Fragen

Die Hebamme

Lisa Elmer, 57, arbeitet als freischaffende Hebamme in Pfäffikon (ZH). Sie begleitet werdende Eltern während der Schwangerschaft, hilft den Kindern auf die Welt und gibt in den ersten Wochen nach der Niederkunft Tipps für die Betreuung der Babys.

Haben Sie ein Morgenritual?
Ich möchte nach dem Aufstehen keinen Stress haben. Es ist schliesslich der einzige Moment am Tag, an dem ich Ruhe habe. Zu Kafi und Müesli lese ich ausführlich Zeitung. Zudem walke ich zwei bis dreimal pro Woche zwischen 7 und 8 Uhr, das macht wach. Ich gehe nicht gern verschlafen zur Arbeit.

Was beinhaltet Ihr Job?
Wenn nicht gerade eine Hausgeburt ansteht, besuche ich Mütter in der Region, die noch im Wochenbett liegen. Dabei überprüfe ich beispielsweise durch Abtasten, ob sich die Gebärmutter zurückbildet, kontrolliere, ob sich die Blutungen im Rahmen halten oder auch, ob es in den Brüsten einen Milchstau gibt. Zudem kläre ich im Gespräch ab, ob die Mutter genug Schlaf bekommt und sich gut ernährt. Manchmal mache ich eine Bauchmassage oder verabreiche homöopathische Mittel. Gegebenenfalls muss ich eine Mutter an einen Arzt überweisen. Das kann auch schon im Vorfeld einer Niederkunft nötig sein. Hausgeburten sind nicht möglich, wenn ein Kaiserschnitt nötig ist, Zwillinge unterwegs sind oder das Baby verkehrt herum im Bauch liegt, also mit dem Füdli voran. Natürlich nehme ich auch das Baby unter die Lupe: Trinkt es richtig und legt es rasch genug an Gewicht zu? Pro Tag sollten dies 20 bis 30 Gramm sein. Heikel kann es werden, wenn das Baby an Neugeborenengelbsucht erkrankt. Diese kommt häufiger im Winter vor, was mit einem Mangel an Licht oder Wärme zu tun hat. Besonders gefährdet ist ein Baby, wenn die Gelbsucht bereits am allerersten Tag auftritt. Im Extremfall kann dies zu einer Hirnschädigung führen. Ein persönliches Ritual von mir ist, nach der Geburt mit dem Vater ein Bier zu trinken. Und unmittelbar nach der Niederkunft esse ich zusammen mit den Eltern eine Suppe. Das habe ich von einer Familie aus dem Irak übernommen – es soll nämlich Unglück bringen, wenn man dies nicht macht. So entsteht oft eine freundschaftliche Beziehung zu den Eltern. Von den bisher fast 1000 Babys, die mit meiner Hilfe auf die Welt gekommen sind, wurden sogar einige nach mir benannt, von anderen bin ich die Gotte.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Sie Ihre Arbeit gerne machen?
Ich bemühe mich, gut auf mich selbst zu achten, damit ich fit und ausgeglichen bin – meine Mütter sind schliesslich sehr bedürftig, befinden sich in einer Extremsituation, der ich gerecht werden muss und will. Um nicht auszubrennen, mache ich mindestens sechs Wochen Ferien pro Jahr – und alle vier bis fünf Jahre ein längeres Timeout von drei Monaten. Zudem bilde ich mich regelmässig weiter und tausche mich mit meinen vier Arbeitskolleginnen aus, mache mit ihnen sogenannte Intervisionen, also kollegiale Beratungen. Um nicht zum Workaholic zu verkommen und eine gute Work-Life-Balance zu finden, habe ich auch schon einen professionellen Coach herangezogen.

Wie wichtig ist Ihnen der private Ausgleich?
Ich brauche meine persönlichen Inseln, um mich wohl zu fühlen. So gönne ich mir etwa regelmässig eine Massage. Zudem bin ich kulturinteressiert, besuche gern Konzerte oder gehe tanzen. Soziale Kontakte sind für mich essenziell, sei es, den Freundeskreis zu pflegen oder meine Grosskinder zu hüten. Am allerwichtigsten ist natürlich mein Lebenspartner – er ist quasi mein Anker und bezüglich meiner Arbeit sehr verständnisvoll. Und wenn ich notfallmässig um Mitternacht ausrücken muss, steht er extra auf und macht mir einen Kaffee. Er kocht auch, wenn ich abends mal wieder sehr spät nach Hause komme. Wir sind beide sehr unabhängige Menschen, deshalb funktioniert wohl unsere Beziehung so gut.

Welchen Tipp haben Sie für gute Laune bei der Arbeit?
Ein Entspannungsbad und ein Feierabendbier. Zudem lache ich gern und mag gute Witze. Mich in der Natur zu bewegen hebt meine Laune zusätzlich, etwa bei ausgedehnten Spaziergängen mit meinem Partner. Ich übe eine sehr verantwortungsvolle Tätigkeit aus, die viel Professionalität und Ernsthaftigkeit verlangt. Als eher dominante Person kann ich zudem schon auch mal richtig gätzig werden ­– wenn beispielsweise der Kindsvater in entscheidenden Stressmomenten meinen Vorgaben nicht nachkommt. Ich übernehme gern die Führungsrolle, bin mir aber auch meiner Grenzen und meiner Macht bewusst.

Lisa Elmer hat in Chur die Hebammenschule absolviert und später den entsprechenden Bachelor-Titel erworben. Im Anschluss war sie in Winterthur und Uster an zwei Spitälern angestellt, ehe sie im Geburtshaus in Wald (ZH) arbeitete. Ursprünglich ist die vierfache Mutter gelernte Kleinkinderzieherin. Die Hebammenpraxis Rondo in Pfäffikon (SZ) führt sie zusammen mit vier Kolleginnen.