16.01.2020
FOTOS UND TEXT: Joachim Keller
Exklusives Modedesign aus Winterthur

Beata Sievi: «Wer Korsetts anfertigt, wird mit einem breiten Spektrum an sinnlichen Fantasien der Kundinnen und Kunden konfrontiert.»

Korsettmacherin aus Leidenschaft

«Meine Korsetts verkörpern ein starkes weibliches Selbstbewusstsein»

Beata Sievi, 53, Corsetière und exklusive Modedesignerin aus Winterthur, verlieh mit ihren Korsettkreationen Kundinnen aus allen Gesellschaftsschichten eine Aura von Schönheit und Verführung. Nun hat sie ihre Karriere beendet. Sie würde sich über eine weibliche oder aber auch eine männliche Nachfolge freuen.

Sie haben 20 Jahre lang als Korsettmacherin gearbeitet, Ihre Arbeit bestand aus Leidenschaft und Inspiration. Wie haben Sie Ihren Arbeitstag jeweils begonnen?
Beata Sievi: Die beste Inspiration ist und war für mich mein Leben geprägt von Liebe und Leidenschaft. Die schönsten Kreationen sind entstanden, wenn ich geliebt habe, auch wenn die Liebe manchmal unglücklich war. Aufgrund meiner Passion für aussergewöhnliche Korsettentwürfe wurde auf mich oft die Vorstellung projiziert, mein Leben bestehe nur aus der Beschäftigung mit Erotik. Doch muss ich diesbezüglich alle ihrer Fantasie berauben. Mein Arbeitstag hat zwar oft relativ entspannt und mit einer Tasse Kaffee angefangen, doch bedarf das Korsetthandwerk auch grosser Disziplin. Auch wenn ich sehr gerne schon morgens im Wald spazieren gehe oder etwas lese, konnte ich mir das in meinem Arbeitsalltag nicht immer erlauben. Ich hatte nie feste Morgenrituale, die sich über einen längeren Zeitraum gehalten hätten.

Gemäss einer Reportage des Schweizer Fernsehens SRF waren Sie die letzte Corsetière in der Schweiz. Nun hören Sie mit dieser Arbeit auf. Das ist doch schade um diese Handwerkskunst?
Ob ich die letzte Corsetière in der Schweiz war, weiss ich nicht. Als exklusivste Korsettdesignerin der Schweiz habe ich eine gewisse Bekanntheit erlangt. Doch in den letzten Jahren hat sich sehr viel in der Mode und im Schönheitsbewusstsein von Frauen verändert. Gerade junge, kreative Modedesigner haben das Korsett für ihre Modekreationen neu entdeckt. Daher gehe ich davon aus, dass junge Menschen das Korsetthandwerk weiterführen werden. Sie sind jetzt noch unbekannt oder werden erst von einem kleinen Kreis von Enthusiasten geschätzt. Es gibt viele neue Internetplattformen, wo handwerkliche Informationen über Korsettherstellung ausgetauscht werden.

Was war Ihr künstlerischer Anspruch an Ihre Arbeit?
Künstlerisch gesehen wollte ich immer ein Korsett kreieren, das eine perfekte Form mit einer individuellen Geschichte vereint. Dabei waren mir edle Materialien und besondere dekorative Techniken hilfreich. Meine Korsetts verkörpern Weiblichkeit, Verführungsmacht und ein starkes weibliches Selbstbewusstsein. Als ich mit der Korsetterie anfing, waren Korsetts noch nicht so aktuell wie heute. Mit meiner Mode wollte ich die Gesellschaft auch ein wenig herausfordern.

Und das lassen Sie nun alles einfach hinter sich?
Das Korsetthandwerk hat eine über 400-jährige Geschichte. Doch viele Couture-Ateliers und Bekleidungsfachschulen schliessen. Handwerkliche Massanfertigung verschwindet hinter emotionsloser Stangenware. Immer weniger Damenschneiderinnen und -schneider können von ihrer Tätigkeit leben. Damit geht eine bestimmte Form der Eleganz, Fantasie und Anziehungskraft verloren. Ich kann dem nicht entgegenwirken. Aber mir ist es ein grosses Anliegen, das handwerkliche Wissen zu erhalten. Aus diesem Grund gebe ich weiterhin Kurse im Korsetthandwerk und bin auch als Arbeitsagogin im textilen Bereich tätig. Hierin sehe ich meine Verpflichtung gegenüber der Tradition.

Welche Voraussetzungen müsste eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger mitbringen, um Ihre Arbeit in Ihrem Sinne weiterführen zu können?
Das ist eine komplexe Angelegenheit. Ich bin, was das Handwerkliche betrifft, eine Perfektionistin. Eine tadellose Verarbeitung steht bei mir an erster Stelle, und das würde ich auch von meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger erwarten. Zudem ist es wichtig, sich mit dem Korsett als Objekt und mit der Eleganz, Erotik und Weiblichkeit, die es symbolisiert, zu identifizieren. Ein weiterer Punkt ist eine besondere Fähigkeit, mit Menschen und ihren intimen Welten umzugehen. Wer Korsetts anfertigt, wird mit einem breiten Spektrum an sinnlichen Fantasien der Kundinnen und Kunden konfrontiert. Mit diesen Fantasien muss man verständnisvoll umgehen können. Anderseits bedarf es einer Gabe, diesen Fantasien einen künstlerischen Ausdruck zu verleihen. Damit sind wir bei der dritten wichtigen Voraussetzung, die eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger mitbringen muss: Kreativität. Es reicht nicht, einfach nur nähen zu können. Vermutlich habe ich deshalb noch niemanden gefunden, dem ich meine Arbeit und mein Wissen vollumfänglich weitergeben könnte. Bis anhin haben nur selten Männer an meinen Fachkursen teilgenommen. Dabei kann ich mir sehr gut vorstellen, dass das Korsetthandwerk von einem Mann ausgeübt wird. Fantasien von Männern sind oft anders als jene von Frauen. Aufgabe eines Designers ist zwar in erster Linie, die Fantasien seiner Kundschaft kreativ umzusetzen, doch kann ich mir vorstellen, dass Männer einzigartige Korsettdesigns jenseits des praktischen Denkens hervorbringen würden, wie zum Beispiel der französische Modedesigner Thierry Muggler.

Sinnlichkeit und Eleganz sind in Ihrer langjährigen Arbeit miteinander verschmolzen. Würden Sie sagen, das Korsett ist ein Mittel, um Erotik in Kombination mit Eleganz gesellschaftsfähig zu machen?
Das würde ich – auch wenn ich bei der Frage etwas schmunzeln muss – bejahen. Die amerikanische Modehistorikerin Valerie Steele recherchierte über Mode und Erotik im viktorianischen Zeitalter und stellte fest, dass im 19. Jahrhundert Frauen die Korsetts sehr bewusst einsetzten, um in der Gesellschaft mit der Macht der Schönheit, Eleganz und Erotik zu spielen, um auf ihre Weise rebellisch in der dominierenden Männerwelt mitzumischen. Das Korsett verschwand erst im Zuge der Emanzipation in den 1970er-Jahren, da es als Symbol der Unterdrückung gedeutet wurde. Doch bereits in den 1990er-Jahren haben die Punk- und die Fetischszene das Korsett wiederentdeckt und neu interpretiert. So kam es wieder auf die Laufstege. Unabhängige und selbstbewusste Frauen wie etwa die US-Sängerin Madonna haben – gerade in den Neunzigern – das Korsett provokativ als Ausdruck von Macht und erotischer Dominanz getragen und bühnen- und salonfähig gemacht. Ein Revival-Jahrzehnt für das Korsettdesign – wenn auch das Objekt nie mehr zu einem Alltagsaccessoire wurde. Das war auch für mich die Kernbotschaft, die ich mit meinen massgeschneiderten Korsetts immer transportieren wollte. Meine Kundinnen waren offen, selbstbewusst und sehr emanzipiert. Sie haben – jede auf ihre Art – die Gesellschaftsfähigkeit der Korsetts gefördert, indem sie es auch ausserhalb des Schlafzimmers trugen. Selbst am Wiener Opernball wurde einmal ein von mir gefertigtes Lederkorsett getragen. Auch meine Korsettausstellung in Basel 2019 hat ihren Beitrag dazu geleistet, Vorurteile gegen diese Mode abzubauen und ihre Vielfalt zu zeigen.

Wie wichtig war Ihnen der private Ausgleich in Ihrer aktiven Zeit als Corsetière?
Die Frage ist, ob es in künstlerischen Berufen überhaupt ein «privat» gibt. Da ich aus eigenem Antrieb das ganze Unternehmen schuf, waren Privates und Geschäftliches bei mir immer stark miteinander verschmolzen. Ich konnte die Arbeit und die intensiven Begegnungen mit den Kundinnen und Kunden nie ganz hinter mir lassen, wenn ich von der kreativen in die private Sphäre wechselte. Ich hatte auch nie wirklich feste Arbeitszeiten, arbeitete stattdessen oft im «flow» weit über die übliche Anzahl Arbeitsstunden hinaus. Umgekehrt hat mir das Korsetthandwerk häufig die Möglichkeit gegeben, von emotionellem Aufruhr Abstand zu nehmen. Beim Entwerfen von Designs mag ein bestimmtes Mass an Gefühlen zuträglich sein, aber um ein anspruchsvolles Objekt zu realisieren, sind Geduld, Konzentration und analytisches Denken gefragt, und zwar über viele Stunden hinweg. Diesen Ausgleich für meine bewegte Natur habe ich mit den Jahren entdeckt und schätzen gelernt.

Fotos: Joachim Keller