22.09.2015
Katja Imme, Badge vom EDA 3.9.15 für Besuch der Bundeskanzlerin Merkel

Der Beweis – anstelle Selfie. BK steht wohl für Bundeskanzlerin.

Honoriger Auftritt

Ehre und Feuertaufe

Journalistin «der arbeitsmarkt»

Fast komme ich mir wie eine Hochstaplerin vor, zum offiziellen Besuch Angela Merkels in Bern akkreditiert zu sein. Wiewohl mir noch immer «Journalistin» schwer über die Lippen kommt, nach meinem Beruf befragt. Auf dem Münsterplatz sehe ich, warum: Kollegen sind mit Kameraobjektiven so gross wie Kanonenrohre bewaffnet. Einschüchternd.

Ich mische mich bescheiden unter die Zaungäste gegenüber. Offensichtlich Poleposition, denn mit mir kämpfen von einem Schaufenstersims aus zwei freie Fotografen um lukrative Bilder. Einer gar flegelhaft, wie er mit den Füssen die Werbeflyer des Ladens von unserem Standplatz schubst. Ein Fall von Fremdschämen.

Ihre Exzellenz Angela Merkel – so betitelt im Medienprogramm – wird mit dem Pomp der militärischen Ehren und Militärspiel in Bern empfangen. Der Kommandant der Ehrenkompanie, Hauptmann Mahdi Shahbari, stammt aus Jordanien. Ein Secondo – welch schöne Geste an einem Besuch, der unter anderem Zuwanderung thematisiert.

Zu den Zaungästen zählen auch Touristen. Der Ordnungshüter erklärt, dass es sich mitnichten um einen Staatsbesuch handle, sondern um einen Arbeitsbesuch der Bundeskanzlerin. Aussenminister Didier Burkhalter sucht das Bad in der Menge. Zur Schweizer Delegation zählen weiter: Wirtschaftsminister Johann N. Schneider-Ammann sowie Verkehrsministerin Doris Leuthard. Nur Minuten vor Ankunft der Delegationen fängt der Kollege Kameramann Impressionen vom Publikum ein. Militärische Ehren waren bis 2013 Staatschefs vorbehalten. Seit dem Besuch des chinesischen Premierministers Li Keqiang kommen auch Premierminister und Regierungschefs in den Genuss des Militärspiels und des Abschreitens der Ehrenformation.
Fotos: Katja Imme

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und Bundeskanzlerin gehen spazieren, führen ein Vier-Augen-Gespräch und speisen mit ihren Delegationen. Das offizielle Arbeitsmittagessen wird offeriert von der Bundespräsidentin. Ich bin beruhigt, dass der Gast sein Essen nicht selbst zahlen muss, erst recht angesichts des ungünstigen Euro-Franken-Kurses.
Währenddessen frage ich mich, was mich an der Pressekonferenz erwartet. Es ist meine erste. Nebenbei lerne ich, dass das Gebäude, in dem sie stattfindet und welches ich jeden Tag passiere, der Bernerhof ist. Im ehemaligen Luxushotel hat heute die Hauptverwaltung des Eidgenössischen Finanzdepartements ihren Sitz. So kommt auch diese zu Ehren.

Die Stunde der Wahrheit schlägt am Sicherheitszaun: «Ihren Presseausweis, bitte», sagt die Dame vom EDA. Ich sehe meine Felle davonschwimmen. Ich habe gar keinen. Zum Glück genügt meine ID. Erleichtert hefte ich mir das Badge ans Revers.

Ich bin auf Leibesvisitation gefasst, aber nichts dergleichen passiert. Offensichtlich gelten Journalisten als vertrauenswürdige Gäste. Noch? Mit bemüht selbstverständlichem Gesichtsausdruck betrete ich den «Leuchtersaal», will ich doch nicht als Greenhorn auffallen.

Journalisten hat man auch schon weniger elegant angezogen gesehen. Passt man sein Outfit dem Anlass an? Ich schon. Kein Fettnäpfchen. Das Verhältnis zwischen der Schweiz und Deutschland ist nicht einfach zu beschreiben. «An diesem heutigen Tag sind die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschland Schwestern», sagt Bundespräsidentin Sommaruga. So sieht es auch aus.
Fotos: Katja Imme

Vizekanzler und Bundesratssprecher André Simonazzi moderiert die Pressekonferenz. Er kündigt an, dass im Anschluss an die Reden der Bundespräsidentin und der Bundeskanzlerin Zeit wäre für jeweils genau zwei Fragen von deutscher und Schweizer Seite. Und hat sogar seine Vorstellungen, wer sie stellen würde. Aha, man kennt sich.

Die zwei Mediendamen neben mir debattieren, wen sie sich als Nächstes in ihrer Karriere wünschen – Obama oder Renzi. So selbstverständlich ist der Besuch der Bundeskanzlerin für sie demnach nicht. Meine Ehrfurcht vor den namhaften Journalistenkollegen wird kleiner. Ich schwanke zwischen Bewunderung und Irritation ob der ausdruckslosen Mimik Angela Merkels, während Simonetta Sommaruga spricht. Und umgekehrt.

Hier endet der offizielle Besuch Ihrer Exzellenz. Wie gehalten, springe ich flugs in einen der Busse, die uns Medienschaffende zur Uni Bern bringen. Eskortiert von Polizei kommen wir uns wichtig vor. Dabei ist sie nur der Eile geschuldet. Und der Sicherheit. Nur wer akkreditiert und im Bus ist, wird zur Verleihungszeremonie der Ehrendoktorwürde an Angela Merkel eingelassen.

Ich erkämpfe mir einen aussichtsreichen Stehplatz nahe der Bühne in der Aula. Der Rektor ist nervös, verhaspelt sich mehrfach bei seiner Laudatio. Gewohnt souverän und mittlerweile emotional aufgetaut erscheint mir die Bundeskanzlerin. Ich verfolge jedes Detail mit Argusaugen und Kamera, möchte ich doch nicht mit leeren Händen in die Redaktion zurückkommen.

Das war ich mir und dem «arbeitsmarkt» schuldig. Ich war mit dem Auftrag losgezogen, eine Geschichte hinter der Geschichte mitzubringen. Das ist mir durch ein Interview gelungen. Ich hatte die Ehre des Events und habe die Feuertaufe erfolgreich bestanden. Demnächst stelle ich mich weniger zögerlich als Journalistin vor.

Beim Verlesen der Laudatio durch Rektor Martin Täuber steht selbst die Bundeskanzlerin auf. Und stellt sich nicht irgendwohin, sondern auf die markierte Stelle am Boden. Wer hätte gedacht, dass die Bundespräsidentin mit ihrer Delegation die Ehrendoktor-Zeremonie auf solch harten Stühlen verfolgen muss? Ich nicht. Meine ehemalige Kollegin vom «arbeitsmarkt», Dorothea Bergler. Sie arbeitet seit kurzem in der Abteilung Kommunikation der Uni Bern. Ihr verdanke ich den Kontakt zur Projektleiterin der Uni, mit der ich ein Interview führen konnte. Norbert Thom, ebenfalls mehrfacher Ehrendoktor, hat das Zeug zur Merkel-Raute. Die Bundeskanzlerin hat sie sich für einmal verkniffen. Oder war das Rednerpult im Weg? Aus dem Interview mit Nicola von Greyerz (siehe Link) weiss ich, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Auch nicht die Farbe der Sessel. Flieder auf Rot hätte wirklich nicht gepasst. Selbst ranghohe Gäste der Universität schreckten nicht vor Selfies zurück. Mir wäre das peinlich gewesen. Blumen für die Damen und eine sichtlich erleichterte Weibelin. Daniela Christen hat ihre Aufgabe ohne Fauxpas gemeistert.
Fotos: Katja Imme

Kommentare

Gespeichert von Roman Griesfelder am

Präzise, humorvoll, entlarvend.
Sehr gut.

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