Veröffentlicht am 30.10.2014FOTO UND TEXT: Naomi Jones

Kostbare Kulanz

Naomi Jones
Journalistin «der arbeitsmarkt»

Neulich kaufte ich fünf City-Tickets. Aus beruflichen Gründen musste ich an fünf Tagen von Bern nach Zürich und zurück fahren. Stolze 57 Franken und 40 Rappen kostete eines. Mengenrabatt war für fünf Stück nicht vorgesehen. Noch beim Kauf fragte ich mich, was wohl wäre, wenn ich an einem der fünf Tage verhindert wäre und das Ticket nicht nutzen könnte. Aber man will ja nicht den Teufel an die Wand malen. Ich lächelte die Verkäuferin an und zahlte tapfer 287 Franken.

Doch wie es der Teufel will, ich kann das Ticket Nummer fünf nicht nutzen. Die Grippesaison beginnt, ich bin krank. Was nun? Muss ich mir die ganzen 57 Franken 40 Rappen ans Bein streichen? Ich stelle mir vor, was ich für diesen Betrag kaufen könnte: Ein dickes, richtig gutes Buch, zwei DVD oder gar eine Pizza mit Salat und Rotwein im Restaurant. In einem dieser Billigkleiderläden könnte ich mir eine halbe Garderobe leisten.

Tags darauf ist das Fieber gesunken und gehe ich noch immer stark hustend und niesend mit meiner kleinen Tochter im Schlepptau an den Bahnhofschalter. Wer weiss, vielleicht erhalte ich das Geld für das ungenutzte Ticket zurück. Wäre dies früher nicht selbstverständlich gewesen? Heute bin ich mir dessen nicht sicher. Die wartenden Menschen ziehen eine Nummer und werden der Reihe nach aufgerufen. Vor mir warten zwanzig Personen. Ich prüfe, ob ich genügend Taschentücher bei mir habe, um die Zeit ohne Peinlichkeit zu überstehen. Derweil erfreut sich meine Tochter an den bunten Prospekten, die überall herumliegen. Sie mag den Ton, wenn das Papier reisst.

Als ich endlich an den Schalter Nummer sieben gerufen werde, schildere ich mein Malheur. Ein junger Herr bedient mich. Vermutlich ist er ein Lehrling, denn eine elegante, asiatisch aussehende Dame sitzt neben ihm und erklärt ihm jeden Schritt.

Eigentlich sei mein Fall nicht vorgesehen, wendet sich die Dame nun direkt an mich. Das Ticket sei abgelaufen und ich hätte es noch am gleichen Tag zurückgeben müssen.

Wie ich denn dies hätte tun sollen? «Ich war ja krank im Bett», entgegne ich.

Die Dame gibt mir eine ausführliche Antwort, der ich nicht ganz folgen kann. Schliesslich erbarmt sie sich meiner. Meine immer noch sehr angeschlagene Stimme macht mich glaubwürdig. Sie zeige sich kulant, betont die Dame. Sie sei nicht verpflichtet, mir etwas zurückzugeben. Allerdings könne sie mir nicht den vollen Betrag erstatten. 20 Franken müsse sie behalten.

Wofür genau ich der SBB 20 Franken schulden soll, will mir wiederum nicht klar werden. Für eine simple Bearbeitungsgebühr ist der Preis hoch. Und auch bei späterer Internetrecherche finde ich keine schlüssige Antwort. Aber vielleicht schlägt die SBB heute auch aus ihrer Kulanz Kapital. Schliesslich ist geschäftliches Entgegenkommen von ehemaligen Staatsbetrieben gegenüber Kleinkunden ein rares Gut geworden.

So stecke ich die 37 Franken 40 Rappen, die mir der junge Mann nun reicht, gerne ein und schlendere mit meiner Kleinen kauflustig an den bunten Schaufenstern der City vorbei. Für ein hübsches Kinderkleidchen wird es bei der Billigkette immerhin reichen.