Veröffentlicht am 04.02.2014TEXT: Marc SiegelFOTO: Jean-Luc Cornec
«TribuT» von Jean-Luc Cornec, 1989 © VG Bild-Kunst, Museum für Kommunikation, Frankfurt a. M.

«TribuT» von Jean-Luc Cornec, 1989 © VG Bild-Kunst, Museum für Kommunikation, Frankfurt a. M.

Das Call-Center richtets

Marc Siegel
Journalist «der arbeitsmarkt»

«Das ist der nette Bestätigungsbrief.»

Im Briefkasten liegt das Formular namens «Serviceübertragung» mit Begleitbrief. Ausführung des Auftrags unmöglich. Grund: Adressen von Studio und Wohnung stimmen nicht überein. Zudem enthält das Formular handschriftliche Notizen. Das ist unzulässig.

«Da ist was schief gelaufen.»

Das Formular erschien mir von Anfang an suspekt. Ich dachte, mein Anliegen mache Randnotizen nötig. Ich hatte nur die besten Absichten. Kundenbetreuer und ausführende Fachleute sollten mit Hilfe meiner Bemerkungen genau wissen, was sie zu tun hätten: Kündigung des Internetanschlusses im Studio meiner Frau und Neuaufschaltung mit Telefonanschluss in unserer Wohnung.

Begonnen hatte die Kommunikationsübung bereits zwei Monate zuvor. Unzufrieden mit zu hohen Rechnungen meines damaligen Telekomanbieters gab mir ein technischer Zwischenfall den Rest: unterbrochene Leitung ins Internet. Diesem Anbieter musste ich nun definitiv meine Meinung sagen. Kraft meines Gewichts als langjähriger Kunde stellte ich mir vor, die Firma durch eine Rachekündigung am besten bestrafen zu können.

«Rächt euch nicht selber, liebe Brüder, sondern lasst Raum für den Zorn (Gottes)...» Bibel, Neues Testament, Römerbrief 12,19

Als Mitglied der schreibenden Zunft greife ich gerne in die Tastatur und verfasse einen aufrührerischen Reklamationsbrief. Die Wirkung ist im ersten Moment wunschgemäss: eine nette Kundenbetreuerin ruft mich an. Sie bedauert meinen Entscheid und kommt mir mit einer Entschädigung entgegen: Anstatt die vertraglich festgehaltene Frist einhalten zu müssen, darf ich jederzeit den Internet- und Telefonanschluss kündigen.

«Ein wahnsinnig netter Vorschlag.»

Flugs rückte eine Konkurrenzfirma in mein Visier, die sich durch Dauerberieselung in den TV-Werbeblöcken vordrängelt. Der Romand Carlos Leal – bekannt als Frontmann der Hip-Hop-Band «Sens Unik» und als Schauspieler in aktuellen Spielfilmen und Fernsehserien – präsentiert stromlinienförmige Angebote als smarter Werbeträger. Ich erliege der Charme-Infiltrierung und kontaktiere das Call-Center des Telekomlieferanten ein erstes Mal. Die überaus nette Kundenbetreuerin ist erfreut und behandelt mein Anliegen mit viel Engagement und Sympathie: ein Kunde gewonnen – einfach, schnell und problemlos. Das Formular für die Serviceübertragung soll ich per Post erhalten.

«Halleluja, es klappt!»

Nach dem missglückten Antrag per Formular folgen drei weitere Runden mit dem Call-Center. Stets telefoniere ich mit netten Kundenbetreuerinnen. Auch die Männer sind jeweils sehr zuvorkommend. Alle bemühen sich, die im System hinterlegten Notizen zu meinem Fall korrekt und effizient zu interpretieren und mich erneut auf den erfolgversprechenden Weg zu bringen.

«Wirklich?»

Mir dämmert etwas: sich keine Gedanken über Verknüpfungen zwischen Personen, Standorten und Dienstleistungen zu machen, wäre wohl besser. Was stattfindet, soll separat geschehen: Kündigung, Neuanmeldung. Was zusammengehört, soll getrennt angesprochen werden: meine Frau und ich, das Studio und die Heimadresse.

«Also, nächstes Mal die Dienstabläufe antizipieren.»

Für die Zukunft bin ich nun gewappnet: zuerst für mich selbst ein Mindmap skizzieren, gewünschte Verknüpfungen von Dienstleistungen eintragen und eine stringente Aussage herauskristallisieren. Anschliessend meine kristallklare Aussage einer netten Call-Center-Mitarbeiterin möglichst schnörkellos übermitteln.

«Kein Wunder, wechseln die Abonnenten so selten ihre Telekomanbieter.»