Veröffentlicht am 01.06.2012TEXT: Reto RauberFOTO: Marga Schuttenhelm

Europäischer Einheitsbrei

Reto Rauber
Journalist «der arbeitsmarkt»

Mit der Fussball-Europameisterschaft wird in diesem Jahr zum ersten Mal in Osteuropa ein grosses Fussballturnier durchgeführt. In Polen und in der Ukraine, wo die Spiele stattfinden, wurden neue Stadien aus dem Boden gestampft und massiv in die Infrastruktur investiert. Beide Staaten wollen der Welt beweisen, dass sie das Grossereignis Fussball-EM zu einem grossen Fest machen können.

Vorfreude oder gar Euphorie mag jedoch nicht so recht aufkommen. Das liegt einerseits an den politischen Unruhen in der Ukraine, wo Präsident Wiktor Janukowytsch mit eiserner Faust regiert, zum anderen am italienischen Wettskandal, der seinen Ursprung möglicherweise in der Schweizer Challenge League hat. Angesichts der politischen Machtspiele in der Ukraine und des verbotenen Wetteifers italienischer Fussballmillionäre bleibt der Fussballfan, der sich auf spannende Spiele freut, aussen vor.

Euphorie ist indessen auch darum nicht viel spürbar, weil die europäischen Fussballanhänger ohnehin nicht von spannenden und attraktiven Matches verwöhnt werden. Denn die Spielweise der Nationalmannschaften ist quasi identisch geworden mit derjenigen der Klubs der europäischen Topligen. Alle spielen sie ungefähr gleich: mit vier Verteidigern, zwei defensiven Mittelfeldspielern und bloss einer Sturmspitze. Dass sich zum Beispiel Holland mit grösster Wahrscheinlichkeit erlaubt, einen Torjäger wie Jan-Klaas Huntelaar auf der Ersatzbank schmoren zu lassen, muss das Herz eines jeden echten Fussballanhängers schmerzen lassen.

Gefragt sind «Renner», die sich dem Kollektiv unterordnen, und nicht etwa Individualisten, die für unterschiedliche Spielkulturen sorgen würden. So müssen sich die Zuschauer wohl oder übel auf viele Spiele gefasst machen, die von der gleichen Taktik geprägt sind. Spiele, die sich darum kaum voneinander unterscheiden, weil die Polen wie die Ukrainer und die Tschechen wie die Kroaten spielen. Etwas kreativer dürfte Spanien daherkommen, dennoch ist Langeweile programmiert.

Der kollektive Einheitsbrei der Nationalmannschaften ist auf den finanziellen Druck zurückzuführen, an dem die Klubmannschaften in Europa leiden. Weil immer pompösere Stadien gebaut werden und die Spielersaläre schwindelerregende Höhen erreicht haben, sind die Klubs der Topligen zum raschen Erfolg verdammt. Vor diesem Hintergrund entscheidet sich ein Trainer zum risikoarmen Systemfussball, der ergebnisorientiert ist, wenig Spektakel erlaubt, doch dafür die Chancen für die Teilnahme an der Champions League erhöht. Die Champions League wiederum ist der Ort, wo die «gemeinnützige Vereinigung» UEFA den Geldsegen für die Klubs parat hält und wo jeder Klubboss seine Mannschaft sehen will. Die Bestrebungen der Klubs, unbedingt in der Champions League dabei zu sein, prägen Trainer und Spieler der 16 Nationalteams, die in Polen und in der Ukraine den Erfolg suchen.

Ein Arbeitnehmer muss sich gut überlegen, ob er für die EM 2012 Ferien nehmen oder wegen eines Matchs nach Hause eilen soll. Denn um Spiele zu sehen, die er in derselben Art und Weise zuvor schon dutzendfach in der Champions League gesehen hat, lohnt sich der Aufwand wohl kaum.