Veröffentlicht am 16.02.2009TEXT: Doris Braun

Fulvio Caccia, Präsident der Caritas Schweiz. Foto: Caritas/Matthias Frühmorgen

Wissensgesellschaft braucht sozialen Ausgleich

db. Am Caritas-Forum standen nicht nur die Outsider des Arbeitsmarktes im Fokus, sondern auch die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Schweiz, der Berufsbildung und der sozialen Sicherheit.

Die zentrale Frage des Caritas-Forums vom 30. Januar in Bern lautete: Arbeitsgesellschaft Schweiz. Wie weiter? Rund 250 Personen aus Sozialbereich und Politik diskutierten vor diesem Hintergrund: Die Schweizerische Arbeitsgesellschaft der Zukunft kann nur mit einem hohen Bildungsniveau bestehen. Diese Entwicklung erhöht jedoch die sozialen Spannungen, denn nicht alle werden diesen Anforderungen genügen können. Besonders für schlecht qualifizierte Arbeitskräfte braucht es Integrationsstrategien.

«Die Wissensgesellschaft funktioniert nicht ohne sozialen Ausgleich», sagte Fulvio Caccia, Präsident der Caritas Schweiz, in seiner Einführung. Doch die Schweiz habe es in den letzten Jahren trotz guter Wirtschaftslage nicht geschafft, die Arbeitslosigkeit zu senken. Caritas-Ökonom Carlo Knöpfel zeigte die Grenzen der aktuellen Aktivierungsstrategie in der Arbeitsmarktpolitik auf und kritisierte: «Trotz Krise steigt der Druck auf die Betroffenen, sich in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren.» Ungeachtet der Tatsache, dass die ansteigende Arbeitslosenquote es Langzeitarbeitslosen zusätzlich erschwere, im Arbeitsmarkt wieder Fuss zu fassen.

Sozialstaat bleibt gefordert

Die Nachfrage nach gering qualifizierten Arbeitskräften werde weiter abnehmen, jene nach höher qualifizierten zunehmen. Dieser wichtige Zukunftstrend führe zu tief greifenden Veränderungen, sagte Boris A. Zürcher, Chefökonom von Avenir Suisse. Die Frage sei, wie sich der hohe Wohlstand in der Schweiz trotzdem halten oder sogar ausbauen lasse, ohne dass es zu unüberwindbaren sozialen Spannungen komme. Sein Lösungsvorschlag: Teilweise müssten die Generationengerechtigkeit neu tariert und die Sozialmodelle bezüglich ihrer Nachhaltigkeit überdacht werden. Der Sozialstaat bleibe gefordert.

Das System der arbeitsmarktorientierten Bildung in der Schweiz sei zwar sehr erfolgreich, sagte Ursula Renold, Direktorin des Bundesamtes für Berufsbildung und Technologie, dennoch müsse das Wissens- und Fähigkeitspotenzial der Schweiz systematisch gehoben werden: «Dazu zählen stärkere Bildungsanstrengungen älterer Menschen und bildungsferner Schichten, die adäquate Ausschöpfung des Potenzials von Menschen mit Migrationshintergrund oder eine stärkere Einbindung der Frauen ins Erwerbsleben.»

Prävention von Armut

Caritas Schweiz hat am Forum den Sozialalmanach 2009 mit dem Schwerpunkt «Zukunft der Arbeitsgesellschaft» lanciert. Die Caritas fordert in ihrem Bericht, die Revisionen der Arbeitslosen- (ALV) und Invalidenversicherungen (IV) einzufrieren. Diese sähen höhere Beiträge und Leistungskürzungen vor, welche nicht geeignet seien in einer Rezession. Solche Massnahmen müssten in einer Hochkonjunktur getroffen werden, urteilt der Mitautor des Sozialalmanachs, Carlo Knöpfel. Das habe die Schweiz aber verpasst.

Stattdessen sei es in den letzten Jahren zu einem schleichenden Sozialabbau gekommen — mit Ausnahme der Mutterschaftsversicherung und der Harmonisierung der Kinderzulagen. Die Wirtschaftskrise dürfe nicht einen weiteren Abbau bewirken, heisst es weiter im Bericht. In der Schweiz dürfte sich die Krise in einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit um die Hälfte auswirken, schätzt Caritas. Vor allem junge und schlecht qualifizierte Menschen seien gefährdet.

Überforderte Sozialhilfe

Im Weiteren kritisierte Caritas den Trend, dass die Barriere zum Bezug von Leistungen der Sozialversicherung immer höher werde und die Bezugsdauer immer kürzer. Dadurch würden viele Menschen in die Sozialhilfe abgeschoben. Die Kantone, die für die Sozialhilfe verantwortlich seien, reagierten darauf mit Leistungskürzungen.