Veröffentlicht am 29.10.2008TEXT: Isidora Opacic

«Wir sind die Rückversicherung der Arbeitnehmer und Rentner»

i.o. Daniel Dürr, Geschäftsführer des Sicherheitsfonds BVG, über Megapleiten von Pensionskassen und die Rolle des Sicherheitsfonds.

Den Pensionskassen geht es schlecht. Sie schlagen in diesen Tagen Alarm. Wann muss der Sicherheitsfonds ihnen unter die Arme greifen?

Daniel Dürr: Der Sicherheitsfonds schreitet erst ein, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde eine Pensionskasse in Liquidation versetzt. Das ist nur möglich, wenn die Vorsorgeeinrichtung zahlungsunfähig ist und zum Beispiel Renten- oder Freizügigkeitsleistungen nicht mehr erbringen kann und gleichzeitig nicht mehr durch Minderverzinsungen, Zusatzbeiträge von Arbeitnehmern oder Zuschüsse der Arbeitgeber oder durch weitere Massnahmen saniert werden kann. Seit 1985 ist die berufliche Vorsorge in der Schweiz obligatorisch. Der Arbeitnehmer, der seine Beiträge bezahlt hat, kann deshalb davon ausgehen, dass seine Beiträge und diejenigen, die der Arbeitgeber einbezahlt hat, letztlich zu einer Leistung (Freizügigkeitsleistung oder Rentenleistung) führen. Wir sind die Rückversicherung der Arbeitnehmer und Rentner, nicht diejenige einer Versicherung. Wir zahlen Leistungen zugunsten der versicherten Person aus, falls eine Stiftung liquidiert werden muss.

Wie sichert sich der Sicherheitsfonds ab?
Der Sicherheitsfonds wird finanziert durch Beiträge von Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Wir rechnen über die Beiträge ein Mal pro Jahr mit den Stiftungen ab. Die Höhe der Einnahmen entspricht der Höhe der Ausgaben, die wir erwarten. Eine kleine Reserve ist lediglich dazu da, grössere Insolvenzleistungen überbrücken zu können. Sollte eine Insolvenzleistung für eine zahlungs- und sanierungsunfähige Vorsorgeeinrichtung unsere Fondsreserven übersteigen, können wir die Beiträge erhöhen und temporär ein Darlehen beim Bund aufnehmen. Eine Maximalhöhe eines staatlichen Darlehens gibt es nicht.

Beschert die aktuelle Krise auch Ihnen finanzielle Probleme? Sie hatten vor zwei Jahren «Verluste» von 33 Millionen Franken.
33 Millionen Franken an Zahlungen sind zwar kein Grund zur Freude, stellen aber nicht ein wirkliches Problem für uns dar. Die für den Sicherheitsfonds bisher höchste Sicherstellung betrug 72 Millionen Franken. 1996 hatten die beiden Solothurner Pensionskassen Vera und Pevos Insolvenz angemeldet. Der Sicherheitsfonds geht im Durchschnitt von Insolvenzzahlungen in der Höhe von 80 bis 100 Millionen Franken pro Jahr aus. In den letzten zwanzig Jahren seit der Einführung gab es verhältnismässig wenig Insolvenzfälle von Vorsorgeeinrichtungen.

Hat in diesem Jahr schon eine Pensionskasse bei Ihnen Insolvenz angemeldet?
Nein. Bisher hat sich noch keine Vorsorgestiftung aufgrund der aktuellen Finanzkrise bei uns gemeldet.

Sie sagten im Juli der Berner Zeitung, eine Megapleite könnten Sie verkraften. Was ist mit mehreren Megapleiten gleichzeitig?
Diese Frage ist hypothetisch. Lassen Sie mich ein solches Szenario an einem Beispiel veranschaulichen. Die Vorsorgeeinrichtung x hat Anfang Jahr einen Deckungsgrad von etwas über 100 Prozent. Durch die Börsenschwankungen macht sie so genannte Buchverluste und der Deckungsgrad beträgt aktuell noch 90 Prozent. Besass die Kasse eine Milliarde Franken, hätte sie jetzt noch 900 Millionen. Wäre diese Kasse nicht mehr sanierungsfähig, würden ihr 100 Millionen fehlen. Die anderen 900 Millionen wären ja noch vorhanden. Nicht mehr sanierungsfähig ist sie, wenn etwa der  Arbeitgeber, der diese Stiftung gegründet hat, Konkurs ginge. Die Stiftung könnte sich dann nicht mehr durch die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder andere Massnahmen sanieren. Die Arbeitnehmer müssten dann austreten und es käme zu einer Liquidation der Vorsorgeeinrichtung. In diesem Fall müsste der Sicherheitsfonds die fehlenden 100 Millionen übernehmen. Fondsreserven in dieser Höhe haben wir. Würden nun fünf Stiftungen dieser Grösse zwangsliquidiert, erhöhte sich die Summe auf 500 Millionen Franken, was immer noch unkritisch wäre. Bei einem grösseren Ausfall müsste der Sicherheitsfonds beim Bund ein Darlehen in Anspruch nehmen und letztendlich über Mehrbeiträge der Arbeitnehmer und Arbeitgeber wieder amortisieren. Je grösser eine Vorsorgeeinrichtung ist, desto kleiner ist die Ausfallwahrscheinlichkeit, weil ein starker Arbeitgeber ein langfristiges Bestehen auch der Vorsorgeeinrichtung garantiert. Eine bestehende Unterdeckung kann so über eine längere Zeit (Sanierungsmassnahmen sollten aber nicht länger als fünf Jahre dauern) ausgeglichen werden. Ein Schaden für den Sicherheitsfonds tritt somit nicht in jedem Fall ein.

Welche Massnahmen sollten Pensionskassen ergreifen, um Insolvenz zu verhindern?

Diese Frage kann eigentlich nur durch die Vorsorgeeinrichtung beantwortet werden. Die aktuelle Situation wird bestimmt von den Stiftungsräten der Kassen zur Zeit laufend überwacht. Massnahmen und Szenarien werden besprochen und dort wo nötig werden Sanierungsmassnahmen eingeleitet. Allenfalls diskutieren sie intern, ob sie ihre Anlagestrategie beibehalten oder leicht modifizieren werden. Die Vorsorgeeinrichtungen haben einen langfristigen Horizont. Geht man davon aus, dass Arbeitnehmer durchschnittlich 40 Jahre Beiträge einzahlen und danach im Schnitt weitere 20 Jahre leben, dann ist eine kurzfristige Sicht nicht angebracht. Eine Pensionskasse ist grundsätzlich so ausgerichtet, dass auch neun oder zehn schlechte Börsenmonate überstanden werden können. Freilich gibt es auch schmerzhafte Massnahmen, die getroffen werden müssen. Das sind etwa Zusatzbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern oder beispielsweise eine tiefere Verzinsung der Sparkapitalien. Eine der zweckmässigsten und effizientesten Sanierungsmassnahmen ist sicher, wenn eine Pensionskasse mit einer Nullverzinsungsrunde arbeiten kann (dies ist aber nur in umhüllenden Vorsorgeeinrichtungen möglich). Am komfortabelsten ist es für den Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber über finanzielle Mittel verfügt, um eine Arbeitgeberbeitragsreserve mit Verwendungsverzicht einzuschiessen oder wenn ein bestehender Wohlfahrtsfonds Mittel übertragen kann.

Was müssen Pensionierte und zukünftige Rentner und Rentnerinnen befürchten?
Die heutigen Rentenbezüger sind durch den Gesetzgeber weitestgehend geschützt. Eine einmal festgelegte und ausbezahlte Anfangsrente kann kaum mehr gekürzt werden. Einzig freiwillig gewährte Leistungsverbesserungen der letzen zehn Jahre können allenfalls gekürzt werden. Sanierungsmassnahmen betreffen somit nur die versicherten Erwerbstätigen und allenfalls die Arbeitgeber. Sollten Rentenbezüger an der Sanierung einer Vorsorgeeinrichtung beteiligt werden, dann wären gesetzliche Anpassungen nötig.