Veröffentlicht am 13.08.2013TEXT: Mario WalserFOTO: zVg Suva

Lernender und Ausbildner arbeiten Hand in Hand.

Sicherer durch die Lehre

Am 12. August war in den meisten Kantonen Lehrbeginn. Ein neuartiger Ausweis der Berufsunfallversicherung Suva soll die Lernenden darin bestärken, stopp zu sagen, wenn sie vor einer gefährlichen Situation stehen. Der Ausweis ist Teil der Präventionskampagne «Sichere Lehrzeit».

«Ich lag machtlos im Spitalbett und schaute auf meinen Fuss, der total bandagiert, verkabelt und mit Infusionen versehen war, als der Arzt in mein Zimmer kam und mir mitteilte, dass er mindestens den grossen Zeh amputieren müsse. Mir ging nur noch durch den Kopf, dass mein Berufsleben jetzt gelaufen ist», sagt Tom Lauber (Name geändert), der kurz davor eine Lehre als Lebensmitteltechnologe begonnen hatte. Zuvor war sein Ziel, die Lehre erfolgreich abzuschliessen und sich danach bis zum Lebensmittelingenieur weiterzubilden. Ein Unfall mit dem Stapler machte seine Pläne zunichte. In der Reha-Klinik teilten ihm die behandelnden Ärzte mit, dass er seine Lehre nicht mehr fortsetzen könne.

Tom Lauber erzählt seine Geschichte in einem Präventionsfilm der Suva. Er ist einer von rund 24 500 Lernenden, die in der Schweiz pro Jahr während der Arbeit verunfallen. Durchschnittlich drei Unfälle enden tödlich, wie der Unfallversicherer anlässlich der Präsentation der neuen Präventionskampagne «Sichere Lehrzeit» in Zürich mitteilte.

Starterkits für eine sichere Lehrzeit

Mit der Kampagne will die Suva die hohe Unfallzahl bei Lernenden in gewerblich-industriellen Berufen innert zehn Jahren halbieren. Die Jugendlichen sollen die wichtigsten Regeln für eine unfallfreie Lehrzeit bereits von Lehrbeginn an kennen.

Um das Ziel zu erreichen, stellt die Suva den Lehrbetrieben verschiedene Informations- und Schulungsmaterialien zur Verfügung. Mit sogenannnten Starterkits, berufsspezifischen Dokumentenmappen, sollen einerseits die Lernenden, anderseits aber auch die Vorgesetzten und Lehrmeister erreicht werden, denn diese nehmen in Sachen Ausbildungssicherheit eine Schlüsselrolle ein. Seit Anfang Juli wurden bereits 40 000 Starterkits an Lehrbetriebe verschickt.

Ein wichtiges Instrument der Kampagne ist die im Kit enthaltene Broschüre «10 Schritte für eine sichere Lehrzeit» (siehe Kasten), samt «Stopp-Ausweis». Berufsbildner und Lernende besprechen die Broschüre und unterschreiben den Ausweis gemeinsam. Der «Stopp-Ausweis» soll den Lernenden den nötigen Rückhalt geben, in gefährlichen Situationen stopp sagen zu dürfen und erst weiter zu arbeiten, wenn die Gefahr behoben ist. Lernende sind noch unerfahren und trauen sich meist nicht, die Arbeit bei Gefahr einfach zu unterbrechen oder bei Unsicherheit eine Frage zu stellen. «Die Lernenden sollen erkennen, dass Arbeitssicherheit für sie ganz persönlich einen Nutzen hat», erläuterte Victor Martinez, Kampagnenleiter bei der Suva, an der Präsentation.

Mehr aber weniger schwere Unfälle

Insgesamt hält die Suva fest, dass die Zahl der Unfälle von Lernenden zwar höher ist, als die erfahrener Berufsleute, dass die Verletzungen allgemein aber weniger schwerwiegend sind. Einen Hauptgrund dafür ortet die Suva im rechtlich verankerten Verbot gefährlicher Arbeit für Jugendliche.

Gemäss Statistik verunfallen die Auszubildenden am häufigsten im ersten Lehrjahr, bei der Ausübung von betriebsstypischen, handwerklichen Arbeiten. Also genau bei den Tätigkeiten, die für ihre Berufe typisch sind und die sie erlernen müssen. Der Umgang mit Werkzeugen und Maschinen ist noch ungewohnt und so werden die Lernenden etwa von Splittern getroffen, die beim Hobeln in die Augen schiessen oder sie verletzten sich durch Flüssigkeiten, die in die Augen geraten. Beim Sägen, Schleifen oder Bohren besteht die Gefahr, dass sich die Berufsanfänger schneiden oder schürfen.

Schwere Verletzungen wie Frakturen oder Schnittwunden treffen am häufigsten die Hand, mit Folgen bis hin zur Amputation von Fingern. Am zweithäufigsten betroffen von schweren Verletzungen ist der Rücken.  

Jeder Unfall ist ein Schicksalsschlag

Dass solche Unfälle aber noch schlimmer enden können, beschreibt Andreas Bircher (Name geändert) in einem zweiten Präventionsfilm der Suva. Er ist Leiter eines mittelständischen Betriebes, einer Werkstatt mit 20 Mitarbeitenden. «Ich sass zuhause mit meiner Familie am Mittagstisch, als mir ein Mitarbeiter via Handy mitteilte, dass ich sofort in den Betrieb kommen müsse, zwei unserer Leute, darunter ein Lernender, seien in einer Maschine eingeklemmt und schwer verletzt worden». Er kann sich auch heute noch nicht an die Fahrt vom Mittagstisch in den Betrieb erinnern, dafür um so mehr an das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, als er sah, wie die leblosen Körper seiner Mitarbeiter mit Leintüchern zugedeckt wurden.

Der Betrieb von Andreas Bircher läuft heute wieder weitgehend normal, und doch ist nichts mehr so wie vorher: «Heute würde ich mir wünschen, dass an diesem Tag jemand im Betrieb anwesend gewesen wäre, der die Situation entschärft und einfach stopp gesagt hätte.»

Die Folgen von Arbeitsunfällen können für Vorgesetzte, Mitarbeitende und Betroffene schwerwiegend sein. Tom Lauber, der nun ohne seinen grossen Zeh leben muss, hat trotz allem Glück im Unglück gehabt: Nach dem unfreiwilligen Abbruch seiner Lehre und der Rehabilitationszeit machte er eine Umschulung und arbeitet nun in einem anderen beruflichen Umfeld.

Die 10 Schritte der Suva für eine sicherere Lehrzeit
Ich halte mich an die lebenswichtigen Regeln meines Berufes und sage stopp bei Gefahr.
Ich halte mich an die Sicherheitsregeln meines Betriebes.
Ich arbeite erst mit einem Arbeitsmittel, wenn ich im Umgang damit instruiert wurde.
Ich erledige Arbeiten systematisch und plane dafür genügend Zeit ein.
Ich frage nach, wenn etwas unklar ist.
Ich verwende die erforderliche persönliche Schutzausrüstung immer.
Ich lasse mich bei der Arbeit nicht ablenken.
Ich komme ausgeruht zur Arbeit.
Ich komme nüchtern zur Arbeit.
Ich verhalte mich im Sportunterricht so, dass ich mich nicht verletze.