Veröffentlicht am 06.02.2013TEXT: Angela AlliegroFOTO: zVg Caritas Schweiz

Die praktische und emotionale Intelligenz der Jugendlichen müsse gestärkt werden, fordert Rudolf Strahm.

Mit Bildung gegen die Armut

Das duale Bildungssystem gilt nach wie vor als Erfolgsrezept im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Die Berufslehre und die berufliche Weiterbildung seien das beste Rezept für die Eingliederung ins Arbeitsleben, sagt Rudolf Strahm.

«Mangelnde oder falsch orientierte Ausbildung ist das Armutsrisiko Nummer eins.» Rudolf Strahm, Präsident des Schweizerischen Verbandes für Weiterbildung, erörtert am Caritas-Forum in Bern seine Ideen zur Armutsbekämpfung.

Zuerst lässt er Bilder sprechen: Ein kurzes Video zeigt Jugendliche, die als Schreiner oder Mechaniker ihrer Arbeit nachgehen. Sie erzählen, wie sie in der Schule im einen oder anderen Fach zwar Defizite hatten. Jetzt stehen sie aber als Fachpersonen im beruflichen Alltag und meistern ihn gut. «Diese Jungen haben eine emotionale oder praktische Intelligenz, die in der schulischen Bildung fast nicht gefördert wird», sagt Strahm und fordert: «Die Schulen sollten diesen Aspekt in der Ausbildung berücksichtigen.»

In der Schweiz beträgt die Armutsquote 7,9 Prozent. Früher war es das Alter, das die Leute in die Armut trieb, heute ist es fehlende oder falsch orientierte Bildung. Tatsächlich verdienen Leute mit einer Berufsausbildung 1000 bis 1500 Franken mehr als Ungelernte. Zudem ist bei den Gelernten das Risiko, arbeitslos oder gar langzeitarbeitslos zu werden, dreimal kleiner als bei den Ungelernten, und sie laufen zwei- bis dreimal weniger Gefahr, von Sozialhilfe abhängig zu werden.

Das duale Bildungssystem als Erfolgsmodell

«Die Erwerbsbefähigung ist der Schlüssel im Kampf gegen die Armut», ist Strahm überzeugt. Die Schweiz habe eine Arbeitslosenquote von 3,5 Prozent, in der EU sei sie um ein Vielfaches höher. In den Ländern mit einem dualen Bildungssystem liege die Jugendarbeitslosenquote unter 10 Prozent; dies sei etwa im deutschen Raum der Fall. Die lateinischen Länder hingegen wiesen alle eine Quote von über 10 Prozent auf. Dass Finnland mit seiner hohen Prozentzahl heraussticht, hat laut Strahm wieder mit dem Fehlen des dualen Bildungssystems zu tun.

In seinem Buch «Warum wir so reich sind» hat der ehemalige Preisüberwacher und Ökonom festgehalten, dass Länder mit einem dualen Berufsbildungssystem eine tiefere Arbeitslosigkeit haben als jene, die dieses System nicht kennen. Strahm hält nichts von der Aussage, dass mehr Bildung allgemein eine Garantie sein soll für eine erfolgreiche berufliche Zukunft. Denn Länder mit einem hohen Prozentsatz an Uniabsolventen, also auch die lateinischen Länder, haben eine sehr hohe Rate an Jugendarbeitslosigkeit. In Italien liegt sie bei 70 Prozent, in Frankreich bei 50 Prozent. Schulische Bildung ist also kein Garant für bessere berufliche Integration.

Die Berufsbildung unterstützt die praktische und emotionale Intelligenz

Die zentrale Frage für den Experten ist daher nicht, wieviel Bildung wir brauchen, sondern welche Bildung. Einige Jugendliche erlebten ständige Niederlagen, weil sie punktuelle schulische Defizite haben, und dies während der gesamten Schullaufbahn. «Diese permanenten Enttäuschungen demotivieren die Schüler sehr. Sie glauben mit der Zeit, dumm zu sein», sagt Strahm.

Diese negative Selektion sei eine Eigenheit des Schulsystems. Das Potenzial der praktischen und emotionalen Intelligenz dieser Jungen werde zu wenig ausgeschöpft. Dabei könnte sie mit verschiedenen Instrumenten, wie Coaching oder Einzelbetreuung, gestärkt werden.

Bessere Zusammenarbeit zwischen den Anlaufstellen

Die Instrumente der individuellen Begleitung bei Übergängen und während der Ausbildung seien entscheidend, doch müsse man diese neu aktivieren. Vor allem müsse man, so Strahm, die Zusammenarbeit der einzelnen Institutionen – RAV, IV, Berufsinformationszentren und weiteren – verbessern. Laut dem Experten herrscht ein regelrechtes Wirrwarr zwischen den Anlaufstellen. Um die Kooperation zu gewährleisten, müsse sie auf Bundesebene koordiniert werden.

Diese Angelegen­heit sei Chefsache. Strahm fordert zudem, dass eine Integration der Zugewanderten durch Nachholbildung und Weiterbildung im Ausländergesetz verankert werde. Dazu gehöre nicht nur Fördern, sondern auch Fordern. Es brauche einen gewissen Druck, damit sich die Leute selbständig einbringen. Anstatt Renten auszurichten, müsse das System die Leute für eine Arbeit bezahlen.

Sozialarbeiter besser ausbilden

Laut Strahm sind sehr viele Sozialarbeiter für die spezifische Betreuung von Jugendlichen bei Übergängen und Passerellen nicht genügend informiert. Einige Kantone hätten deshalb damit begonnen, private Vermittler einzustellen, die diese beruflichen und schulischen Alternativen sehr gut kennen und dementsprechend gut beraten können.

Eine Berufslehre oder ein Berufsattest sei das Beste, um Jugendliche in die Gesellschaft einzugliedern. «Dies ist echte Integrationsarbeit, denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn sich Jugendliche nutzlos vorkommen.»