Veröffentlicht am 20.11.2008TEXT: Philipp Gafner

Foto: Simone Gloor

Integrationskurse für Deutsche

phg. Schweizer und Deutsche arbeiten grundsätzlich gut zusammen. Spannungen entstehen vor allem durch unterschiedliche Kommunikations- und Führungsstile. Erste Erkenntnisse einer Online-Umfrage an der Fachhochschule Nordwestschweiz.

Spitäler, Altersheime, Universitäten – diese Institutionen beschäftigen eine steigende Zahl deutscher Arbeitskräfte. Allein im Kanton Zürich haben sich innerhalb eines Jahres 14 000 Deutsche niedergelassen. Wiederholt griffen die Deutschschweizer Medien das Verhältnis von Deutschen und Schweizern auf. «Leider oft einseitig und pauschalisierend», bemängelt Miryam Eser Davolio. Die Forscherin an der Hochschule für Soziale Arbeit der Fachhochschule Nordwestschweiz und ihre deutsche Kollegin Eva Tov leiten unter dem Titel «Ähnlich und doch so verschieden» die erste wissenschaftliche Studie zum «Verhältnis zwischen Schweizern und Deutschen in Unternehmen und Institutionen der Deutschschweiz».

Erstmals Fakten

Durch die polarisierende Berichterstattung seien viele Deutsche in der Schweiz irritiert, ja verletzt, sagt Eser Davolio. Aufgrund der Ende Oktober abgeschlossenen Vorstudie, die auf einer Online-Befragung basiert, ziehen die Projektleiterinnen aber eine tendenziell positive Bilanz über die gegenseitige Wahrnehmung von Schweizer und deutschen Berufskolleginnen und -kollegen. Diese Vorstudie soll in ein Forschungsprojekt münden, das schweizerisch-deutsche Konflikte in Betrieben ermitteln und zu deren Bewältigung beitragen will. Viele der insgesamt rund 250 Teilnehmenden beider Nationalitäten, die den umfangreichen Fragebogen ausgefüllt haben, sind der Meinung, dass sich Schweizer und Deutsche in ihrem Betrieb gegenseitig schätzen würden und ein gutes Verhältnis zwischen ihnen herrsche. «Am Arbeitsplatz kennt man sich persönlich, man hat den individuellen Deutschen und nicht ‹die Deutschen› vor sich», erklärt Eser Davolio. Trotzdem gibt eine Mehrzahl der Befragten an, dass kommunikative Missverständnisse, aber auch Spannungen zwischen Deutschen und Schweizern vorkämen und dass sie selbst schon negative Erfahrungen mit Angehörigen der anderen Nationalität gemacht hätten. Die nachfolgenden Ausführungen widerspiegeln Grundtendenzen in den Aussagen der Befragten und sind erst mit der Detailauswertung der Vorstudie Ende Dezember quantifizierbar.

Knacknüsse Kommunikation und Führung

Laut Studie sind die Schweizer Berufsleute den deutschen Kolleginnen und Kollegen gegenüber unbelastet. Sie machen jedoch Vorbehalte in Bezug auf die Kommunikation mit Deutschen wie auch auf deren Umgangs- und Führungsstil. So sei die Direktheit der Deutschen oft stossend oder verletzend, klagen die Schweizer. Zudem würden die Deutschen ihre Ausbildung und Leistung über Gebühr verkaufen und könnten die hohen Erwartungen nicht erfüllen. In der Führung zeichneten sie sich dadurch aus, dass sie klare Anweisungen gäben, aber auch Druck und Kontrolle ausübten. Einwände von Mitarbeitenden würden gerne übergangen. Der Führungsstil sei eher autoritär und hierarchisch.
Demgegenüber charakterisieren die Deutschen den Schweizer Führungsstil als sehr demokratisch: Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, Mitbeteiligung aller, um zu breit abgestützten Lösungen zu finden, Förderung flacher Hierarchien, Teamwork, Anerkennung und Bestärkung statt Kontrolle und überhaupt die Pflege eines guten Arbeitsklimas ständen bei Schweizern hoch im Kurs. Die Kehrseite der Medaille: Konflikte würden nicht direkt angegangen, sondern «hintenherum» ausgetragen, und die Konsensfindung beanspruche zu viel Zeit und Energie.

Was lange gärt, wird nicht von selbst gut

In Betrieben mit mehreren Nationalitäten sei das Verhältnis zwischen Schweizer und deutschen Mitarbeitenden weniger belastet - vor allem wenn Englisch als Firmensprache vorherrsche. Je höher der Anteil von Deutschen und Schweizern im Personal steige, desto mehr Probleme träten hingegen auf. Auch dies ein Ergebnis der Studie.
Bei der Arbeit im Team kämen keine Abspaltungen zwischen Schweizern und Deutschen vor, aber Spannungen, meint ein Grossteil der Befragten. Solche Belastungen währten lange Zeit, bis Lernprozesse einträten, die sie entschärfen. Solche Prozesse hätten aber aktiv angegangen und bewusst ausgelöst werden müssen. Das sei umso schwieriger, als die Vorgesetzten im Unternehmen sich in der Regel der Probleme zwischen Deutschen und Schweizern nicht bewusst seien, diese also lange nicht thematisiert würden.
Die Befragten vertrauen nicht darauf, dass sich die schwelenden Konflikte zwischen «den ungleichen Nachbarn» von selbst legen. «Ein Haupthindernis, um die Probleme zu bewältigen, besteht darin, dass sie tabuisiert sind», sagt Soziologin Eser Davolio. Schweizer Arbeitskräfte wollen das Reizthema im Betrieb kaum ansprechen, da sie nicht als fremdenfeindlich gelten und sich negativen Konsequenzen – etwa sich die Karriere zu verbauen – aussetzen wollen. Sie wünschen sich trotzdem eine offene, vorurteilslose Diskussion, damit das Arbeitsklima nicht zuschanden geht.

Voneinander lernen – aber wie?

Schweizer Befragte wünschen, dass sich Deutsche grundsätzlich anpassen, räumen jedoch ein, einiges von diesen lernen zu können: Klarheit, Konfliktbereitschaft, Selbstdarstellung. Im Gegenzug lernen Deutsche hiesige Werte wie Partizipation, Konsens und Rücksichtnahme vermehrt schätzen.
Eine Mehrheit aller Befragten spricht sich dafür aus, dass man offen aufeinander zugehe und die Konflikte zur Sprache bringe. Einige Befragte schlagen sogar Integrationskurse vor, in denen neu zuziehende Deutsche mit der Schweizer Mentalität vertraut gemacht werden und ihr Konfliktverhalten und ihren Führungsstil hinterfragen sollen.
Interessanterweise schämen sich Deutsche, die sich seit mehreren Jahren in der Schweiz integriert haben, nicht selten für neu zugezogene Landsleute, bezichtigen sie der Arroganz und Besserwisserei. Ausserdem fürchten sie, dass die Neulinge die Vorurteile gegenüber Deutschen in der Schweiz zementieren könnten. Manche suchen deshalb eine Vermittlungsrolle zwischen den Neuzuziehenden und den Einheimischen, was sich Schweizer meist nicht trauen.
«Am besten unternähmen deutsche wie Schweizer Mitarbeitende im Betrieb gemeinsame Schritte, indem sie sich etwa in Mitarbeitendenbefragungen, Kommunikationstrainings und Diskussionsplattformen einbrächten. So könnten sie miteinander und voneinander lernen», fasst Eser Davolio ihre Vorstellung zur Entschärfung von Konflikten zwischen Arbeitnehmenden von diesseits und von jenseits des Rheins zusammen.