Veröffentlicht am 01.03.2013TEXT: Mario Walser

Misstöne bei der Harmonisierung des Stipendienwesens

mw. Am 1. März tritt das Stipendienkonkordat in Kraft. Ausbildungsbeiträge werden in den Beitrittskantonen neu nach gleichen Mindeststandards vergeben. Doch nicht nur dem Verband der Schweizer Studierendenschaften geht die Harmonisierung zu wenig weit.

2010 erhielten in der Schweiz 48 085 Personen ein Stipendium. Rund 302 Millionen Franken flossen an die Empfänger. Doch wer jetzt den ausbezahlten Betrag durch die Anzahl Personen teilt, erhält kein realistisches Bild, denn die Ausbildungsbeiträge für Lehrlinge, Mittelschüler und Studierende sind in der Schweiz je nach Kanton unterschiedlich geregelt.

Das schweizerische Bildungssystem ist föderalistisch aufgebaut. Bund, Kantone und Gemeinden teilen sich die Kompetenzen. Die Kantone tragen die Hauptverantwortung. Diesem föderalistischen Wildwuchs wird nun Einhalt geboten. Mit der «Interkantonalen Vereinbarung zur Harmonisierung der Ausbildungsbeiträge» (Stipendienkonkordat) haben sich die kantonalen Erziehungsdirektoren im Rahmen der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) erstmals auf Mindeststandards für die Vergabe von Ausbildungsbeiträgen für die Sekundarstufe II und die Tertiärstufe einigen können. Das Abkommen tritt am 1. März in Kraft.

Nur die Hälfte der Kantone macht mit

Elf Kantone (BE, BS, FR, GE, GL, GR, JU, NE, TI, TG und VD) vereinheitlichen ab diesem Datum ihr Stipendienwesen; sie decken 46,4 Prozent der schweizerischen Wohn-Bevölkerung ab. Die restlichen 15 Kantone entscheiden in den kommenden Monaten über ihren Beitritt zum Stipendienkonkordat, einige, so die Innerschweizer Kantone und der Kanton St. Gallen, stehen der Harmonisierung ablehnend gegenüber und sehen sie als Angriff auf ihre kantonale Autonomie.

Mit ihrem Beitritt übernehmen die Kantone die im Konkordat definierten Grundsätze und Mindeststandards. Ab Inkrafttreten haben sie fünf Jahre Zeit, das kantonale Recht anzupassen. Welche Veränderungen das Stipendienkonkordat auslöst, kann deshalb nur jeder Kanton einzeln beantworten – vor dem Hintergrund seines aktuellen kantonalen Stipendiengesetzes.

Differenzen trotz Einigkeit

Einigkeit herrscht künftig über die Dauer der Unterstützung. Diese darf die Regelstudienzeit plus zwei Semester nicht überschreiten. Der Ansatz für ein jährliches Vollstipendium wird in allen beigetretenen Kantonen 12 000 Franken für eine Person in Ausbildung auf Sekundarstufe II und 16 000 Franken für eine Person auf Tertiärstufe nicht mehr unterschreiten.

Auffallende Differenzen bestehen aber auch nach der Harmonisierung fort, etwa wenn es darum geht, wer Stipendien erhält und wie lange diese ausbezahlt werden, aber auch bei der Bemessung der Höhe eines jährlichen Vollstipendiums. Bei der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bewerberinnen und Bewerber sowie der Anerkennung von Ausbildungsstätten und beitragsberechtigten Ausbildungen fahren die Kantone ebenfalls ihre eigene Linie.

Kritik von verschiedenen Seiten

Der Verband der Schweizer Studierendenschaften (VSS), politische Akteure wie die SP, EVP, Grüne und die Piratenpartei sowie verschiedene Gewerkschaften kritisieren die Freiwilligkeit des Beitritts zum Konkordat und bezeichnen die gegebenen Umsetzungsfristen als realitätsfremd.

Der Erhalt von Unterstützungsbeiträgen hänge weiterhin in erster Linie vom Wohnkanton ab. Auch nach der Harmonisierung sei die tatsächliche finanzielle Situation der Studierenden für die Kantone kein Thema. Weiter monieren die Kritiker, dass nicht alle Kosten der Ausbildung einbezogen würden. Die freie Wahl der Ausbildung und die studentische Mobilität seien weiterhin eingeschränkt.

Volksinitiative verlangt nationale Regelung

Für den VSS ist eine Verschiebung der Kompetenzen von den Kantonen zum Bund längst überfällig. Der Verband will die formellen Bestimmungen des Stipendienkonkordats auf Bundesebene verankert sehen, damit sie für alle Kantone gelten, und hat deshalb 2010 die «Stipendieninitiative» lanciert. Am 20. Januar ist das Volksbegehren bei der Bundeskanzlei mit 117 069 beglaubigten Unterschriften eingereicht worden.

Vor kurzem ist die Vernehmlassungsfrist für die Vorlage abgelaufen. Der Bundesrat unterstützt die Initiative nicht, weil sie massive Mehrkosten mit sich bringen und die Harmonisierungsbestrebungen der Kantone unterlaufen würde. Die Anliegen der Initianten sollen in eine Totalrevision des Ausbildungsbeitragsgesetzes eingebettet werden.

Das letzte Wort in Sachen Harmonisierung ist also noch nicht gesprochen.