Veröffentlicht am 19.12.2012TEXT: Andy SträssleFOTO: Junge Grüne Zürich

Die Wut über die Finanzbranche verschaffte sich auch in Zürich Luft: «Occupy Paradeplatz» im Winter 2011/12.

«Es gibt kein Recht auf Arbeit»

ast. Eine Tagung des Vereins «Arbeit und Bildung» suchte die Finanzkrise «global und regional» und wurde immerhin global fündig. Der Versuch eine Diskussion über die Wirtschaftskrise, die Arbeitsmarktsituation und über Bildung zu führen, scheiterte an der Grösse der Themen.

Ein grauer Wintermorgen in der Baselbieter Gemeinde Reinach. Ideales Wetter um eine Tagung zum Thema «Finanzkrise – global und regional» zu besuchen. Aber einmal wird es hell, scheint die Sonne durch die hohen Fenster der Gemeindeverwaltung. Ein symbolischer Moment: Gerade hatte  Wirtschaftsprofessor Aymo Brunetti anschaulich und griffig Licht in die Hintergründe der Wirtschaftskrise von 2008 gebracht.

Im Grunde habe alles schön begonnen: Findige Finanzstrategen hatten endlich einen Weg gefunden auch international mit Immobilienwerten zu handeln, oder wie man rückblickend sagen kann: mit ihnen zu spekulieren, was das Zeug hält.

Die CDOs (collateralized debt obligations) waren geboren. Die CDOs waren jene Produkte, von denen der damalige Boss der amerikanischen Notenbank, Alan Greenspan, gesagt hatte, nicht einmal er wisse, was dahinterstecke.

Als die Lehmann Brothers 2008 die CDOs abzuverkaufen begannen, sei der Interbankenhandel zusammengebrochen und die Finanzinstitute nicht genügend kapitalisiert gewesen, um die Abschreiber zu verkraften. «Nachher haben sich die Banken nicht mehr über den Weg getraut und sich gegenseitig kein Geld mehr ausgeliehen. Ein Zusammenbruch des Bankensystems war eine reale Gefahr», sagt Brunetti, der an der Reinacher Tagung sein Buch «Wirtschaftskrise ohne Ende» vorstellt.

Gestresste Banken

Aymo Brunetti hat als Chefökonom des Bundes im SECO miterlebt, wie die Banken in die Kreditklemme schlitterten. Er sei froh, dass das Staatssekretariat für Wirtschaft sich damals mit Prognosen zurückhaltend gegeben habe: «Es war unmöglich vorauszusagen, was in der Situation geschieht.» Unterdessen stehe die Schweiz im internationalen Vergleich wirtschaftlich hervorragend da und mit der Einführung der Personenfreizügigkeit sei der Arbeitsmarkt sogar stark gewachsen.

Während überall auf der Welt Schulden angehäuft würden, habe die Schweiz diese sogar abgebaut. «Bei uns gibt es keine Krise. Die fundamentalen Wirtschaftsdaten sind gut.» Eine Folge der Finanzkrise sei aber weltweit ein verlangsamtes Wachstum, da die Banken nach wie vor «praktisch kein Geld» ausleihen würden.

Auf die Frage aus dem Publikum, ob denn die Wirtschaftskrise nur herbeigeredet werde, sagt Brunetti vorsichtig: «Es ist als ob man der Weltwirtschaft ein starkes Medikament gegeben hätte, nach vier Jahren ist das Schlimmste überstanden, doch die Nebenwirkungen werden noch eine Weile zu spüren sein.»

Wie steht es um Europa? Wie geht es mit der Eurokrise weiter? In der Analyse der Probleme mit dem Euro gibt sich der Volkswirtschaftsprofessor besonnen. Es bleibe der EU im Moment gar nichts anderes übrig, als die Volkswirtschaften des «faktisch bankrotten» Griechenland und  der «prekären Volkswirtschaften» von Spanien und Portugal mit Finanzspritzen zu stützen. Käme es zu einem Schuldenschnitt oder zu Austritten aus der europäischen Währungsunion, so drohe erneut ein Zusammenbruch des internationalen Finanzsystems.

Auf die Frage ob die Währung «Euro» eine Fehlkonstruktion sei, meint Brunetti, als Ökonom müsse man sagen, es sei sicher eine gute Idee, den europäischen Wirtschaftsraum  näher zusammenzuführen, allerdings sei die Reihenfolge verkehrt gewesen: Man hätte die Wirtschaft zuerst integrieren müssen, bevor man eine gemeinsame Währung schafft.

Zerbrechende Gesellschaften

Nach einer kleinen Pause - unterdessen ist die Sonne verschwunden, die Passanten vor der Gemeindeverwaltung stemmen sich gegen ein Schneegestöber - verliert die Veranstaltung an thematischer Schärfe: Einem Referat von Regula Ruetz vom Wirtschafts-Think-Tank metrobasel folgt eine Podiumsdiskussion, die Arbeitsbedingungungen, Bildung und die weltweiten wirtschaftlichen Aussichten unter einen Hut bringen will.

Obwohl Brunetti auch an der Diskussion teilnimmt, vermisst man die Klarheit und die Schwerpunkte des ersten Teils. So fordert Soziologe Carlo Knöpfel die Firmen des zweiten Arbeitsmarktes sollten «unternehmerischer» werden. Kurz darauf zitiert er den Englischen Premierminister David Cameron, der am EU-Gipfel von «Broken Societies» in Griechenland, Spanien und Portugal gesprochen habe, von zerbrochenen oder zerbrechenden Gesellschaften, in der junge Leute überhaupt keine Perspektiven hätten. Community Organiser Hans-Georg Heimann schildert das Schicksal eines Schweizer Arbeiters, der nach 22 Jahren Fabrik vor dem Nichts steht.

Aymo Brunetti betont, dass das «Einzelschicksal enorm wichtig» ist. Als Ökonom sieht er die Schweiz als ausgewogen aufgestellt an. Die schlimmsten Härten würden vermieden. „Es gibt in den USA Regionen, die wirtschaftlich beinahe mit unseren identisch sind. Aber schauen sie sich an, wie es dort jenen geht, die keinen Job finden, die landen sehr schnell auf der Strasse.»  Durch besonnene Politik habe die Schweiz den Strukturwandel gut überstanden. Das war’s dann gewesen mit der Klarheit.

Podiumsteilnehmer aus verschiedenen Bereichen bringen ein wahres Potpourri an Aspekten in die Diskussion ein, die immer sperriger wird. Die hohe Spezialisierung der Arbeitnehmer in der Schweiz kommt zu Sprache, neben dem «lebenslangen Lernen», der Fehlkonstruktion des Pensionskassensystems und einem Punktesystem für Ausbildungen und dem europäischen Vergleich der Maturaquote.

Zu grosse Themen

Volkswirtschaftprofessor Aymo Brunetti erinnert die Runde fast verzweifelt daran: «Es gibt kein Recht auf Arbeit.» Er will damit erklären, dass die wirtschaftliche Organisation eines konkurrenzfähigen Arbeitsmarktes ein ganz anderes Thema ist, als die soziale Verantwortung, die damit einhergeht.

Vor dem Mittagessen schafft es die Runde den Themenkreis noch um die politische Dimension zu erweiteren, nämlich die Mindestlohninitivative. Der Eindruck vom Podium ist: Die Exponenten hätten viel zu sagen gehabt. Doch gelingt es nicht die drei grossen Themenkomplexe «Wirtschaftskrise, Arbeit und Bildung» unter einen Hut zu bringen. Vor den Fenstern verschwimmt die Sicht auf die Reinacher Hauptstrasse im Nieselregen.