Veröffentlicht am 11.09.2013FOTO UND TEXT: Nicola Mohler

Über 200 Personen besuchten die erste Schweizer Fachtagung «Bedrohungsmanagement» in Olten.

Erkennen – Einschätzen – Entschärfen

An der ersten Schweizer Fachtagung «Bedrohungsmanagement» referierten Experten über die Möglichkeiten und Schwierigkeiten Gewalttaten zu verhindern. Ein Panel widmete sich der Rolle der Psychiatrie bei gewalttätigen Jugendlichen.

Für Polizisten, Sozialarbeiter oder Mitarbeiter in der Untersuchungshaft gehören Bedrohungen zum Arbeitsalltag. Doch auch Psychologen und Psychiater beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Dies zeigte die erste, von der Polizei des Kantons Solothurn organisierte Schweizer Fachtagung zum Thema Bedrohungsmanagement. Fachleute referierten unter anderem über das solothurnische Bedrohungsmanagement-Modell, die europäische Praxis und die Rolle der Psychiatrie. Das Bedrohungsmanagement basiert auf der Erkenntnis, dass schweren Gewalttaten nahezu immer erkennbare Warnsignale vorausgehen. Die Identifizierung dieser Vorzeichen erlaubt mit einem systematischen und fachübergreifenden Kantonalen Bedrohungsmanagement (KBM), viele solcher Verbrechen zu verhindern. Die Herausforderung des KBM ist die effektive Zusammenarbeit von Behörden, Ämtern, Gemeinden, Schulen und zum Teil auch privaten Institutionen. 

Interdisziplinäre Vernetzung

Ein erfolgreiches Beispiel ist diese Kooperation im Bereich der forensischen Jugendpsychologie. Eng ist hier die interdisziplinäre Vernetzung, die Zusammenarbeit mit Krisenteams, psychologischem Dienst und Polizei. Das psychologische Bedrohungsmanagement arbeitet nach dem Prinzip: Erkennen – Einschätzen – Entschärfen. Es will Eskalationsgefahren bei einzelnen Personen oder Gruppen möglichst schnell erkennen, das Risiko einschätzen und schliesslich das Risikopotenzial entschärfen. An Schulen sei deshalb eine gute Atmosphäre wichtig. «Lehrer sind wichtige Ansprechpartner für Schüler, die Gewaltpotenzial erkennen. So kann Jugendkriminalität eingedämmt werden», sagte der Referent Volker Schmidt. Für den leitenden Arzt für Kinder- und Jugendforensik in Solothurn gehen diese wichtigen Vertrauenspersonen jedoch zunehmend verloren, da immer mehr Fachlehrer nur für ihre Lektionen an der Schule präsent sind.

«Hardwareproblem vorne am Kopf»

«Verfolgt man die Medien, könnte man meinen, Jugendgewalt ist ein neues Phänomen», verwies Volker Schmidt auf die aktuelle Berichterstattung rund um den gewalttätigen Jugendlichen Carlos. «Eine gewaltfreie Gesellschaft gab es jedoch nie.» Die Jugendkriminalität zeige sogar seit wenigen Jahren einen rückläufigen Trend. Die Gründe sind nicht eindeutig. Für den Psychiater, der auch Mitglied des kantonalen Bedrohungsmanagements Solothurn ist, spielen die seit zehn Jahren investierten staatlichen Präventionsmassnahmen eine Rolle. Dass Hormone an den Gewaltausbrüchen von Heranwachsenden Schuld seien, verwirft Volker Schmidt: «Jugendliche haben ein Hardwareproblem vorne im Kopf.» Gemeint ist damit die Veränderung des Frontalhirns, mit welchem sich der Mensch kontrolliert und steuert. Da das Frontalhirn erst mit 22 Jahren ausgereift ist, ringen Jugendliche mit der Kontrolle von Emotionen und Impulsen und neigen zu impulsivem und gewalttätigem Verhalten. Weiter ist nachgewiesen, dass gewaltfördernde Persönlichkeitsmerkmale vererbbar sind. Diese werden  durch einen gewalttätigen Erziehungsstil oder Konflikte in der Familie weiter negativ beeinflusst. Auf die Jugendkriminalität wirkt sich auch die Wahl des Freundeskreises oder der Konsum von gewalttätigen Computerspielen aus.

Nicht jeder Gamer ist kriminell

Metaanalysen zeigen, dass gewalttätige Computerspiele aggressives Verhalten fördern können. Ob es aber zu Gewaltausübungen kommt, hänge stark von den Heranwachsenden ab. «Ein psychisch gesunder Jugendlicher aus einer intakten Familie wird allein durch Ballergames nicht zu einem Gewalttäter», ist der Psychiater überzeugt. Nachweislich konsumieren Jugendliche mit einer bereits existierenden Aggressionsbereitschaft diese Spiele gerne.

Das Ziel der forensischen Psychologie ist es, das Rückfallrisiko von Jugendlichen zu senken und diese wieder erfolgreich in die Gesellschaft zu integrieren. Dafür werden den Heranwachsenden Strafen und Massnahmen auferlegt. «Das Wegsperren von jugendlichen Straftätern ins stille Kämmerlein alleine bringt nichts», ist Volker Schmidt überzeugt. Die Zusammenarbeit mit der Jugendanwaltschaft, Sozialarbeitern und der Familie seien essentiell. «Therapeuten müssen vernetzt arbeiten.»