Veröffentlicht am 14.05.2008TEXT: Urs Wollenmann

Die Friedhofssanierer

Es wird eng auf unseren Friedhöfen. Erich Aeschlimannn und seine Mitarbeiter schaffen Platz für neue Gräber. Sie stossen dabei auf konservierte Leichen und Abfall und sorgen dafür, dass künftige Tote besser verwesen.

Bassersdorf ZH, Friedhof, Ende März. «Hier hat es Platz für fast 300 Erdbestattungsgräber», sagt der grossgewachsene, sportive Enddreissiger, dessen Urner Dialekt nicht zu über-hören ist. «Das reicht dann wieder für 20 bis 25 Jahre.» Über unsere Köpfe donnert ein Airbus vom Flughafen in Kloten, der Nachbargemeinde von Bassersdorf. Wir stolpern über den feuchten Boden, Erich Aeschlimann mit seinen Gummistiefeln schnellen Schrittes voran, der Reporter und der Fotograf in ihren Halbschuhen hinterher. Heilandsack. Die schönen Schuhe.
Drei Grad. Wir schlottern. Die Kunden von Erich Aeschlimann tun das nicht. Nicht mehr. Aeschlimann und seine Mannen sind die Schweizer Experten für Friedhofsplanungen und Grabfeldsanierungen. Aeschlimanns Firma, er ist deren Geschäftsführer und Mitinhaber, ist die Tony Linder + Partner AG mit Sitz in Altdorf. Sie wird immer dann gerufen, wenn es Probleme gibt. Probleme, das heisst: Die Toten auf den Erdbestattungsfeldern sind nach Ablauf der auf 20 Jahre festgeschriebenen Grabesruhe nicht skelettiert, sondern mumifiziert. Der Körper konnte sich nicht entwässern, der Boden war zu dicht, der Sauerstoff fehlte, es kam zu einer sogenannten Fettsäurekonservierung. Die Leichen wurden dabei mit einer weissen bis gräulichen, krümeligen und fettigen Schicht von bis zu zwei Zentimeter Dicke überzogen. Fettwachsleichen nennt man das im Branchenjargon. In diesem Zustand sind die Toten nur schon anhand ihres Gesichtes auch nach 20 Jahren noch problemlos zu identifizieren. Im Normalfall ist ein Leichnam nach fünf bis sieben Jahren vollkommen skelettiert. Nur noch der Schädel und die grossen Knochen – die Oberschenkelknochen, Teile des Brustkorbes, die Oberarme – liegen im Grab. Der Sarg ist verrottet.
Das ist des Öfteren nicht der Fall. Das Problem ist ein Bodenproblem. Ein Lehmbodenproblem. Und Lehmböden gibt es viele in der Schweiz. Für Erich Aeschlimann gibt es noch viel zu tun. Eine krisensichere Tätigkeit.

Aus den Augen, aus dem Sinn gilt heute nicht mehr

Erich Aeschlimann und seine Mannen haben die Fehler gutzumachen, die früher gemacht wurden. «Man hat sich in der Vergangenheit keine grossen Gedanken gemacht», sagt Aeschlimann. Das Grabfeld war gegeben, meist um die Dorfkirche herum, oder man hat den Friedhof möglichst weit weg vom Dorf angelegt, zum Beispiel am Waldesrand, wie in Bassersdorf. Aus den Augen, aus dem Sinn. Der Tote ist verscharrt, und das möglichst tief.
In früheren Jahrzehnten, ja Jahrhunder-ten stand der Gedanke der Seucheneindämmung im Vordergrund, deshalb wurden die Toten tief versenkt. «Dabei wäre das Beste eine nicht zu tiefe Bestattung, am besten in einem Waldboden», so Aeschlimann. Dann wäre die Verwesung garantiert. Das ist aber nicht möglich: Hunde und Füchse wären schnell da und würden die Verstorbenen ausbuddeln. Womöglich würden Kinder mit den Knochen spielen oder sie herumtragen. Auch das ist, so Aeschlimann, schon passiert. In Gemeinden, die ihre nicht skelettierten Toten möglichst schnell loswerden wollten: den Bagger bestellt, rauf mit der Erde auf den Laster und mit allem, was auch noch drin ist, aber nicht drin sein sollte, weg auf die öffentliche Baugrube damit. Kommt es raus, ist das Debakel da.

Zwanzig Jahre alte Spritzen und Katheter in den Särgen

Bei dieser unbequemen Aufgabe erkenne man, ob die Verantwortlichen über ihren Zeithorizont als Gemeindepolitiker hinaus, oder vor allem an ihre Wiederwahl dächten und das Problem vor sich herschöben, bis der Handlungsdruck – meistens ein Platzproblem – da sei, meint Aeschlimann. «Mit Grabfeldsanierungen kann man sich als Gemeindepolitiker keine Meriten holen. Das ist mit Schulhauseinweihungen halt viel einfacher», ergänzt er trocken.
Den aktuellen Kunden, die Gemeinde Bassersdorf, könne er aber nur loben. Diese sei schon vor zwei Jahren auf ihn zugekommen. Zeit genug, um das Projekt seriös auszuarbeiten, «und nicht wieder eine dieser Feuerwehrübungen», seufzt Aeschlimann. Zeit genug auch, um diese Arbeit demokratisch sauber und transparent abzuwickeln: Geschäftsbehandlung im Gemeinderat, Projektausschreibung, Budgetierung, Orientierung über das Projekt anlässlich einer Gemeindeversammlung und anschliessende Beschlussfassung. Geschieht das so, fragt keiner misstrauisch, was eigentlich hinter den zwei Meter hohen, schwarzen Sichtschutzwänden geschieht, die um ein zu sanierendes Grabfeld aufgezogen werden – wie Anfang Jahr in der Stadt Luzern geschehen, weil die Behörden es versäumten, transparent und rechtzeitig zu informieren, und sich so völlig unnötigerweise nur Ärger einhandelten.
«Auf diesem Grabfeld», Aeschlimann macht eine weit ausholende Bewegung über die nun auf 1,8 Meter Tiefe ausgehobene Grube, «haben wir alles gefunden.» Auf der rechten Seite, in der Nähe des Baumes und seines Wurzelstocks, bei lockerem, wasserdurchlässigem Boden, war die Verwesung vollkommen. Auf der linken Seite, bei kompaktem Lehmboden, fand sie gar nicht statt. Deshalb müsse subtil vorgegangen werden. Das erfordert vorsichtiges Arbeiten. Für die fest angestellten Friedhofsarbeiter, die vielleicht nur einmal in ihrem Berufsleben mit Fettwachsleichen konfrontiert werden, kann das ein grosses Problem sein. Die Gefahr sei dann gross, dass die Exhumierung, also die Leichenbergung, nicht mit der gebotenen Pietät ausgeführt werde, sagt Aeschlimann.
Am Anfang ist es noch einfach: Der erste Bodenmeter kann mit dem Bagger abgetragen werden, da die Toten in der Regel in gut 1,5 Metern Tiefe liegen. Danach aber geht es nicht mehr ohne den Exhumator. Er steht dabei, wenn der Bagger sorgsam weiterarbeitet, bis die Särge, die zumeist auch nicht verrottet sind, sichtbar werden. Wenn der Sarg noch stabil genug ist, kann er mit dem Bagger geborgen werden, andernfalls geht es nicht ohne Handschaufel und Muskelkraft. «Bei diesen Bergungen haben wir schon alles erlebt», so Aeschlimann. «Wir haben Särge angetroffen, denen man ansah, dass sie direkt vom Spital kamen.» Mit dem Toten wurden gleich die Spritzen mit entsorgt, die Katheter steckten noch in der Haut, Windeln und Plastikhandschuhe wurden auch noch in den Sarg geworfen. Es musste schnell gehen, und nachher sieht es sowieso keiner mehr – für die nächsten 20 Jahre.
Zu den Sündern gehören aber auch die Bestattungsinstitute. Diese hätten natürlich ein Interesse, möglichst viel zu verkaufen, Geschäftssinn würde sich hier mit Unkenntnis paaren, meint Aeschlimann. Wenn statt der teuren Baumwoll-Leichenhemden billigere Synthetikhemden verkauft würden, sei die Sauerei vorprogrammiert: «Diese Hemden wirken perfekt konservierend.» Und so müssen er und seine Mannen dann Leichen bergen, deren Oberkörper unversehrt sind, die Beine aber perfekt skelettiert. Das Umgekehrte ist anzutreffen, wenn Frauen mit synthetischen Strumpfhosen beerdigt wurden.

Für neue Grabfelder wird der ideale Boden gemischt

Ein weiteres Problem sind Särge, die mit nicht verrottenden Materialien ausgeschlagen wurden: Darin wird gleich der ganze Körper konserviert. Hierbei, so führt Aeschlimann aus, wäre es eben am Gesetzgeber, die Friedhofsreglemente so zu gestalten, dass gewisse Materialien verboten seien.
«Eigentlich», resümiert er diese Zustände lakonisch, «sind Friedhöfe nichts anderes als ungeordnete Deponien.»
Bevor die nicht verwesten Leichen neu bestattet werden, werden sie zum Teil zwischengelagert oder direkt in eine Gebeingruft umgebettet. Nun folgen die sorgfältigen Aufbauarbeiten des Grabfeldes. Als Erstes werden perforierte Sickerleitungen gelegt, die in eine Sammelleitung und in die örtliche Kanalisation führen. Sie sind notwendig, um das Giess- und Regenwasser, aber auch die austretende Körperflüssigkeit aufzufangen und abzuführen. Danach wird eine spezielle Filter- und Sickerschicht eingebaut. Parallel dazu werden die Grabsteinfundamente eingebaut, die ein späteres Absacken oder ein Schiefstellen des Grabdenkmals und der Grabeinfassung verhindern sollen. Auf der Filter- und Sickerschicht wird nun ein Armierungsgitter ausgelegt. Es hat den Zweck, dass bei einer Neubelegung eine eindeutig definierte Grabsohle erreicht werden kann. Danach folgt die wichtigste Arbeit, das Einfüllen einer speziellen Materialmischung. «Dazu machen wir Bodenuntersuchungen. Aufgrund dieser Untersuchungen stellen wir eine spezielle Mischung her mit einer optimalen Wasserdurchlässigkeit und dem richtigen Säure- und Kalkgehalt. So ist die Verrottung der Leichname gewährleistet», führt Aeschlimann aus. Die genaue Zusammensetzung dieser Grabfeldmischung ist erstens von Grabfeld zu Grabfeld verschieden und zudem sowieso Geschäftsgeheimnis. Der einschlägigen Literatur ist aber zu entnehmen, dass die Mischung aus Humus, Kiessand und diversen Holzanteilen besteht. Das ganze Verfahren ist patentrechtlich geschützt. Als oberste Schicht werden rund 15 Zentimeter reiner Humus aufgebracht. Danach können die Oberflächenarbeiten an die Hand genommen werden. Von oben betrachtet sieht nach den Garten- und Architekturarbeiten jedes neue Grabfeld schön aus, aber, so meint Aeschlimann mit einem leichten Lächeln, «die Wahrheit liegt im Boden».

Die Kremation ist in jedem Fall teurer als die Erdbestattung

Aufwändige Arbeiten – ob dies nicht ein Grund wäre, von den Erdbestattungen vollkommen wegzukommen und nur noch auf Kremationen zu setzen, aus Kostengründen und wegen der Bodenprobleme? Das hört Aeschlimann gar nicht gerne: «Es ist eine grosse Illusion, zu meinen, dass kremieren billiger sei.» Schon wegen der Infrastrukturkosten für ein Krematorium. Und nur schon bis die Urne am Grab sei, müsse mit rund tausend Franken gerechnet werden. Kosten, die bei einer Erdbestattung wegfallen. Eine Erdbestattung sei, richtig gemacht und vorausgesetzt, man lässt sich nicht allerlei aufschwatzen, immer noch die natürlichste, umweltschonendste und billigste Bestattungsart. «Was vom Boden gekommen ist, soll auch wieder in den Boden zurück», meint Aeschlimann bestimmt.
Ausserdem möchte er rund um alte Krematorien lieber keine Bodenproben nehmen. Diese Böden seien oft stark mit Quecksilber verseucht und müssten eigentlich grossflächig und teuer saniert werden. Bei den neuen Krematorien gehörten die Filter in eine Sondermülldeponie.
Den Friedhofsreglementen, die in der Gebührenordnung vorsehen, dass Erdbestattungen kostenpflichtig sind oder wesentlich teurer als Kremierungen, will er eine «gewisse Willkür» nicht absprechen. Er vermutet, dass die Gemeinden damit der Bodenproblematik ausweichen möchten. Das ist für Aeschlimann nicht korrekt, und er stellt in den Raum, ob damit nicht der Artikel 7 der Bundesverfassung geritzt werde, der festhält: «Die Würde des Menschen ist zu achten und zu schützen.» Für Aeschlimann ist daher klar: «Jeder Bürger sollte ein Anrecht darauf haben, zwischen einer Erd- und einer Feuerbestattung frei wählen zu können.»