Veröffentlicht am 11.01.2008TEXT: Esther Salzmann

Der Job Coach vom Bodensee

Psychische Erkrankungen führen oft zu länger dauernder Arbeitsunfähigkeit, die den Erhalt des Arbeitsplatzes gefährdet. Der Job Coach der Psychiatrischen Dienste Thurgau hilft Betroffenen am Arbeitsplatz und bei der Stellensuche.

Eine grosszügige Parkanlage, ältere, aber gut erhaltene Gebäude neben modernen Bauten, ein öffentliches Restaurant mit Sonnenterrasse, ansprechende Wohnblöcke, Skulpturen. Wir befinden uns auf dem Gelände der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen am Ufer des Bodensees. Auf dem Situationsplan, den ich im Pförtnerhaus erhalte, sind um die zwanzig Stationen eingezeichnet. Zunächst geht es nur ein paar Schritte weiter: Gleich nebenan befindet sich die Tür mit dem Schild «Helmut Wojak, Job Coach». Was ist ein Job Coach? Um dieser Frage nachzugehen, habe ich mich für heute bei Helmut Wojak angemeldet. Drei Arbeitsplätze befinden sich in seinem Büro, ein Besprechungstisch, eine Kochnische. Wojak arbeitet allein hier, die weiteren PC-Arbeitsplätze stellt er bei Bedarf seinen Kunden (er spricht von Kunden, nicht von Patienten) zur Verfügung.
Sollen Menschen nach einer schweren psychischen Störung in die Arbeitswelt (re-)integriert werden, kann eine Beschäftigung in einer geschützten Werkstatt der ers-te Schritt sein. «So wertvoll solche Einsätze auch sein mögen, man muss sich jederzeit bewusst sein, dass selbst die besten Werkstatt-Mitarbeitenden draussen wieder von ganz unten beginnen müssen», gibt Helmut Wojak zu bedenken. «Die Tätigkeit bei einem realen Arbeitgeber ist eine andere Welt.»

Coaching mit der ganzen Belegschaft

Helmut Wojak bedient sich des Modells der begleiteten Anstellung, besser bekannt unter dem englischen Begriff «Supported Employment». Es hat den direkten Weg zum Ziel: Stellensuchende mit Beeinträchtigungen sollen möglichst rasch in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden und sowohl während der Such- und Bewerbungsphase als auch am neuen Arbeitsplatz die nötige Unterstützung von einem Job Coach erhalten. In der Klinik Münsterlingen wird die Aufgabe des Job Coachs seit rund drei Jahren von Helmut Wojak wahrgenommen. Dass er vollamtlich als Job Coach tätig sein kann, erachtet Wojak als grossen Vorteil: «Ich kann mich ohne zeitlichen Druck dem Coaching und der Betreuung meiner Kunden widmen. Nötigenfalls kann ich mir auch mal einen ganzen Tag Zeit nehmen.»
Und wie sieht es mit der Finanzierung aus? Wojaks Coachings sind sowohl für die betreuten Personen als auch für die involvierten Arbeitgeber kostenlos. Die Finanzierung wird vom Spital Thurgau übernommen, als zusätzliche Dienstleistung.
Die meisten Klienten werden Wojak aus den Klinikbereichen «Sucht und Forensik» sowie «Psychotherapie» vermittelt. In den letzten drei Jahren hat der Coach etwa 300 Hilfesuchende betreut, rund 100 Frauen
und 200 Männer. 35 Coachings fanden am Arbeitsplatz der Betroffenen statt. Wie viele von den 89 Personen, die dank seiner Unterstützung Arbeit gefunden haben, noch immer einer Beschäftigung nachgehen
können, weiss er nicht; es werden keine Nachbetrachtungen durchgeführt.
Beim Coaching vor Ort sieht sich Wojak als Übersetzer und Vermittler. Einer seiner ersten Fälle war die Begleitung eines Lehrlings, der im direkten Arbeitsumfeld kein Verständnis fand für seine Schizophrenie-
Erkrankung. Es drohte Abbruch der Lehre. Helmut Wojak konnte dann vor Ort die Belegschaft über die Krankheit aufklären und der Stigmatisierung von Schizophrenie entgegenwirken. Der Lehrling wurde danach in Ruhe gelassen und konnte seine Ausbildung erfolgreich zu Ende führen. Zwei Jahre hat die Betreuung gedauert.

Der Job Coach verlangt von seinen Kunden Engagement

Manchmal seien die Leute so ratlos oder gleichgültig, dass sie auf seine Frage, was sie denn machen möchten, mit einem «Egal» antworteten. In einem solchen Fall gibt Wojak demonstrativ «egal» als Suchbegriff auf einem Internet-Stellenportal ein. «Egal gibt es nicht!», verdeutlicht er dann. Der Kandidat muss sich selber Gedanken machen und bereit sein, in seine berufliche Zukunft zu investieren. Wojak sieht sich denn auch nicht als Stellenvermittler. Die Arbeitsuchenden müssen sich selber um eine Anstellung bemühen. «Wenn mir ein Kunde erklärt, dass es ihm zu viel Arbeit mache, bei einem potenziellen Arbeitgeber anzurufen, so ist er bei mir an der falschen Adresse», betont Wojak.
Auf die Frage, welche Firmen sich für die Aufnahme seiner Kundinnen und Kunden am ehesten eigneten, sagt Wojak, dass es aufgrund der oftmals langen Entscheidungswege in Grossunternehmen leichter sei, eine kleinere Firma zu gewinnen, einer psychisch angeschlagenen Person einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
Die Zusammenarbeit mit den RAV und der IV funktioniert gemäss Helmut Wojak gut. Diese Stellen seien oftmals sehr froh, wenn er als Job Coach die Betreuung von psychisch Beeinträchtigten ganz oder teilweise übernehmen und sie dadurch entlasten könne. Pünktlich um 10.30 Uhr spricht ein junger Mann in Wojaks Büro vor. Der 33-Jährige trifft sich zum zweiten Mal mit dem Job Coach. Beim ersten Gespräch geht es jeweils darum, sich gegenseitig kennenzulernen, herauszukristallisieren, was der Kunde erwartet und was der Coach bieten kann und was nicht. Der in Südafrika geborene, aber bereits vor 20 Jahren mit seinen Eltern in die Heimat zurückgekehrte Schweizer hat keine Berufsausbildung absolviert. Verschiedene familiäre und persönliche Umstände hätten das verhindert, erklärt er. Er stecke in einer Lebenskrise. Seine grosse Passion – oder schon eher sein Laster – ist der Computer. Tage- und nächtelang sitzt er vor dem Bildschirm. Er hat keine anderen Interessen, möchte auch beruflich etwas im IT-Umfeld tun. Helmut Wojak denkt an PC-Shops: Dort gäbe es vielleicht Möglichkeiten im Service, in der Geräte- oder der Software-Installation. «Webdesign würde mich eher interessieren», entgegnet der Kunde. «Was fällt Ihnen sonst noch so ein, was ich machen könnte?», fragt der Kunde seinen Coach. Er wird diese Frage in der nächsten Stunde noch ein paar Mal stellen. Wojak versucht, die Auswahl näher einzugrenzen: «Arbeiten Sie lieber draussen oder drinnen, am Tag oder in der Nacht? Was könnte neben IT noch in Frage kommen?» «Etwas mit Fahren», meint der Klient. Eine Fahrbewilligung für Personenbeförderungen oder für einen LKW hat er nicht. Wojak überlegt laut: «Kleintransporte, Post?» «Ich fühle mich relativ schnell überfordert mit der Kommunikation in einer Gruppe», sagt der Klient. Er wolle allein arbeiten oder nur in einem ganz kleinen Team. Die beiden Männer werden noch einige Gespräche führen müssen, bis sich klarer abzeichnet, in welche Richtung die Stellensuche gehen soll.
Coach und Kunde setzen sich an den Computer, um zunächst einen Lebenslauf aufzusetzen. Bei allen Tipps, die Helmut Wojak abgibt, betont er, dass es sich nur um Vorschläge handle, dass man es auch anders machen könne. Ein Universalrezept gibt es nicht. Bei weiteren Sitzungen wird er seinen Kunden mit diversen Job-Suchmaschinen im Internet vertraut machen und ihm mit Rat und Tat bei der Stellensuche zur Seite stehen. Wojak führt maximal fünf Kundengespräche am Tag. «Wenn einer nach dem andern kommt, dann leidet die Qualität. Ich brauche etwas Zeit dazwischen. Die Treffen müssen gut vorbereitet sein und alles wird schriftlich dokumentiert.»
Am Nachmittag dann ein Treffen mit dem Sozialarbeiter Stefan Feldmann. Mit ihm tauscht Helmut Wojak mindestens einmal pro Monat seine Einschätzungen von gemeinsamen Patienten-Kunden aus.
Sich auf den Computerfreak, Wojaks Kunden von heute Vormittag beziehend, diskutieren sie die Frage, ob eine Beschäftigung im IT-Bereich für den jungen Mann wirklich sinnvoll wäre oder ob sie ihm eher schaden würde.
Noch während ich mich von Helmut Wojak verabschiede, klingelt sein Telefon. Nach dem Gespräch erzählt er mir, dass es sich beim Anrufer um einen ehemaligen Kunden handelte, der soeben seinen ersten Arbeitstag bei seinem früheren Arbeitgeber absolviert habe. Der Kunde sei glücklich und zuversichtlich. Ein tolles Erfolgserlebnis zum Feierabend.