Veröffentlicht am 03.10.2012TEXT: Regula PfeiferFOTO: Simone Gloor

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf birgt ein Potenzial an
qualifizierten Arbeitskräften.

Der Aargau lockt qualifizierte Mütter und Väter an

rp. Der Kanton Aargau will seinen wirtschaftlichen Standort stärken und dem Arbeitskräftemangel vorbeugen. Zu diesem Zweck hat er das Projekt «Erfolgreich dank Familienfreundlichkeit» angestossen, das die Unternehmen zu familienfreundlichen Massnahmen motivieren soll.

Flexible Arbeitszeiten, ein flexibler Arbeitsort, mehr Teilzeitarbeit und eine angepasste Arbeitsorganisation sollen gut ausgebildete junge Mütter und Väter in den Aargau locken. Die Kinderbetreuung muss ausgebaut, die Unternehmenskultur familienfreundlicher und die Personalentwicklung gezielt eingesetzt werden. Mit diesem Wunschkatalog wendet sich der Aargau an seine Unternehmen.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter familienfreundlicher Betriebe seien motivierter, produktiver, sozial kompetenter und loyaler. Dies verspricht der Dachverband Pro Familia, der ein Kompetenzzentrum zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie betreibt. Er ist mit der Projektleitung beauftragt. Deren Geschäftsführerin, CVP-Politikerin Lucrezia Meier-Schatz, wird in den kommenden Monaten regionale Round-Table-Gespräche durchführen und den interessierten Unternehmen familienfreundliche Massnahmen schmackhaft machen.

Profit als Argument

An der Kick-Off-Veranstaltung in Baden versuchte die Aargauer Regierungsrätin Susanne Hochuli, Vorsteherin des federführenden Departements Gesundheit und Soziales, die Unternehmer beim Eigeninteresse zu packen: Familienfreundliche Arbeitsbedingungen seien ein wesentlicher Bestandteil des Humankapitals, «das Sie nicht nur als guter Mensch, sondern als guter Unternehmer aus Rentabilitäts- und Profitabilitätsüberlegungen erhalten wollen».

Es sei dringend notwendig, die Personalpolitik an die Erfordernisse der Familien anzupassen, befand der deutsche Sozialwissenschaftler Tilmann Kittel von der Firma Prognos. Denn der wachsende Bedarf an Fachkräften könne bald nicht mehr durch Import gedeckt werden. Deutschland brauche seine Leute zunehmend selbst. Also müsse man sich überlegen, wo das Potenzial in der Schweiz liege.

Qualifizierte Mütter im Visier

Die Antwort lag für Kittel auf der Hand: Man müsse qualifizierte Mütter verstärkt in den Arbeitsmarkt integrieren. Es gehe kaum darum, den Anteil erwerbstätiger Mütter von aktuell 70 Prozent zu erhöhen, denn da sei vermutlich eine Grenze erreicht. Stattdessen müsse man beim Umfang der Arbeitszeit ansetzen, so Kittel. Gut die Hälfte der Mütter arbeiteten in geringen Teilzeitpensen – unter 50 Prozent –, auch wenn die Kinder bereits grösser seien.

Die minimalen Pensen schränkten die Entwicklungs- und Verdienstperspektiven der Frauen ein. Kittel plädierte für eine kontinuierliche Steigerung der Pensen und insgesamt eine lebensphasenorientierte Personalpolitik. Auch bei der familienexternen Kinderbetreuung und der väterorientierten Personalpolitik ortete er Nachholbedarf.

Trotz Anstrengungen nur bescheidene Fortschritte

Die zwei Aargauer Unternehmen, die das Projekt mitfinanzieren, präsentierten an der Veranstaltung ihr Engagement. Die Neue Aargauer Bank verfügt über eine betriebseigene Fachstelle Diversity. Sie bemüht sich, mindestens eine Frau in der Evaluation für eine Kaderstelle zu haben und den Frauenanteil im Entwicklungspool zu erhöhen.

Auch ein Workshop für Berufs- und Karriereplanung für Frauen, ein Mentoring-Programm und die finanzielle Unterstützung der Kinderbetreuung gehören zum Förderprogramm. Dies ist auch notwendig. Die 45 Prozent angestellten Frauen sind mehrheitlich normale Angestellte; im Kader bilden sie eine kleine Minderheit.

Der Energiekonzern Alstom – der grösste private Arbeitgeber des Kantons – beteiligt sich finanziell an 14 Krippen im Raum Baden, macht aber mit 18 Prozent weiblichen Beschäftigten und 8 Prozent Teilzeitstellen einen verhalten familienfreundlichen Eindruck. Ingenieurinnen seien wenig verbreitet, argumentierte der Alstom-Personalchef.

Trend zu familienfreundlichen Initiativen

Das Projekt «Erfolgreich dank Familienfreundlichkeit» ist nicht das erste Engagement des Aargaus. Bereits 2009 bis 2011 lief das Projekt «Familienfreundliche KMU». Die Fachstelle Familie und Gleichstellung und das Amt für Wirtschaft und Arbeit hatten es konzipiert, die Fachstelle Und, ein Kompetenzzentrum für die Vereinbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit, führte es durch. Zehn Unternehmen beteiligten sich mit dem Ziel, für Eltern attraktiver zu werden.

Der Aargau liegt damit im Trend. Auch andere Kantone setzen auf familienfreundliche Unternehmen und Arbeitsplätze, etwa Basel und Luzern. Der Kanton Bern hat 2011 als erster Schweizer Kanton das Zertifikat «Familie und Beruf» erhalten, verliehen von der Fachstelle Und.