Veröffentlicht am 22.10.2014TEXT: Annekatrin KapsFOTO: Carmen Püntener

Der Plan von der Abschaffung des Managements

Basisdemokratie funktioniert auch in der Wirtschaft. Beim St. Galler IT-Unternehmen Haufe-umantis wählen die 150 Angestellten ihre Führungskräfte selbst. Firmenchef Marc Stoffel hält das Vertrauen in die Mitarbeitenden für die Königsdisziplin des Managements.

Marc Stoffel, Ihre Mitarbeitenden haben Sie letztes Jahr zum CEO gewählt. Wie fühlen Sie sich bei diesem umgekehrten Rollenverhältnis? 
Gute Frage (lacht), natürlich fühlte ich mich geehrt, geschmeichelt und bestätigt. Ich wusste zum Zeitpunkt der Wahl, was von mir erwartet wird. Dass zuerst das Team sich abstimmt – «Wo stehen wir und wo wollen wir hin?» – ist von unserem Wahlsystem so vorgesehen. Die Diskussion zu diesen Fragen ist die Grundlage für die Rolle jeder Führungsperson innerhalb unserer Firma. Erst dann können sich Personen für die Positionen bewerben. Der Prozess gilt für alle Teams, gewählt wird jedes Jahr neu.

Wie lange dauert dieses Wahlprozedere?
Wenn das Team wunderbar funktioniert, ist das eine kleine Geschichte von ein, zwei Wochen. Sonst kann es ein bis zwei Monate dauern. Der Prozess ist dabei das Wichtigste, für die Wahl an sich reichen die zehn Minuten, die für das Ankreuzen des Stimmzettels nötig sind. 

Haufe-umantis
Umantis wurde im Jahr 2000 als Start-up in St. Gallen gegründet. Die Firma bietet Software-Lösungen im Bereich Human Ressources an. Seit März 2012 gehört der IT-Spezialist zur deutschen Haufe Gruppe und bildet seit April 2013 die Firma Haufe-umantis St. Gallen. Das Unternehmen beschäftigt 150 Mitarbeitende.

Haben Sie die Wahl emotional als schwierig empfunden?
Emotional schwierig ist eher die Wiederwahl, die erste Wahl war einfacher. Das Feedback ist hart, da man ja auch viele Dinge nicht richtig macht. Trotzdem werde ich mich erneut zur Wahl stellen. Ich glaube, ich bin bis jetzt ein ganz guter CEO, für 1000 Mitarbeiter wäre ich möglicherweise der Falsche.

Ist die angewandte Basisdemokratie der Haufe-umantis einzigartig?
Unser System für die komplette Belegschaft ist weltweit einzigartig. Bei Gore und Semco finden sich jedoch sehr ähnliche Strukturen. Das brasilianische Maschinenbauunternehmen Semco hat schon vor dreissig Jahren damit begonnen, dass Management abzuschaffen und dient uns ein Stück weit als Vorbild. Auch die amerikanische Technologiefirma Gore wird seit den Neunzigerjahren demokratisch geführt. 

Was sind die Vorteile eines demokratisch geführten Unternehmens?
Demokratie heisst, dass wir daran glauben, dass Mitarbeitende die Firma mit steuern sollen. Sie entscheiden, welche Personen eingestellt oder entlassen werden. Die Chefwahl ist also nicht das einzige Instrument. Die zunehmende Geschwindigkeit der Märkte macht aus zu langsamen Firmen tote Unternehmen. Auch die Unternehmensgrösse ist entscheidend. Neue Ansätze in der Führung sind deshalb gefragt. Durch mitgestaltende Mitarbeitende kann das Werk schneller auf Veränderungen reagieren und ist dadurch erfolgreicher.

Und worin bestehen die Nachteile?
Wir sind alle weder als Mensch noch als Führungskräfte antiautoritär erzogen. Die Schule oder das Studium sind auf ein Oberhaupt ausgerichtet. Im Team zu arbeiten, ein Netzwerk aufzubauen, lernen wir nicht. Das überfordert im ersten Moment, braucht Zeit und kostet Energie. Vor der Umstellung haben viele Unternehmen Angst. Die Entscheidungen einem Chef zu überlassen, ist immer einfacher.

Wie lange braucht der Lernprozess?
Das ist individuell, pauschal kann ich das so nicht beantworten.

Wofür sind Sie als CEO verantwortlich?
Ich habe zwei Aufgaben, einerseits den Strategieprozess – «Was tun wir? Wo wollen wir hin?» – zu moderieren und damit die Teams zur optimalen Zusammenarbeit zu bringen. Andererseits die Konflikte, die es gibt und auch geben muss, durch Leadership zu meistern.

Welche Konflikte?
Die unterschiedlichen Ziele der Einzelnen können Konflikte schaffen. In einer hierarchischen Abteilung entscheidet der Chef. Ein Team muss dies anders klären, das erfordert Selbstverantwortung und Sozialkompetenz.

Sie sprachen von Leadership, ist das nicht gleichbedeutend mit Management?
Managen bedeutet kontrollieren und verwalten. Ich muss ein System schaffen, das ohne den CEO auskommt. Das ist wie beim Fussball, wo der Trainer analysierend am Rand steht. Das beste System ist, wenn Mitarbeitende sich selbst organisieren und wie Fussballer zusammenspielen. Das ist die Königsdisziplin oder mit den Worten Ricardo Semlers, dem Geschäftsführer von Semco, gesagt «Das Ziel des Managements ist es, sich abzuschaffen.»

Erzeugt die grosse Verantwortung für Ihre Mitarbeitenden nicht auch einen gewissen Druck?
Natürlich habe ich die Verantwortung und den Druck. Die Frage ist aber, wie gehe ich damit um? Gebe ich den Druck weiter oder übertrage ich Verantwortung? Wenn ich beispielsweise vom Vertriebsteam zehn Millionen Franken Umsatz verlange, muss ich ihm auch die Kompetenz geben, den Weg zum Ziel selbst zu bestimmen. Auch wenn das heisst, dass sich das Team seinen Chef selbst wählt.

Sie haben als Praktikant 2005 der damaligen Firma umantis begonnen, hätten Sie damals Ihre Karriere zum CEO für möglich gehalten?
Ich bin grundsätzlich kein Mensch, der sich Gedanken macht, wo er sich in zehn Jahren sieht. Dafür hatte ich den letzten zehn Jahren innerhalb des Unternehmens acht verschiedene Jobs. Ich rate keinem jungen Talent, lediglich die Karriere zu fokussieren, sondern sich auf die Fragen – «Was macht mir Spass? Was will ich wirklich?» – zu besinnen.

Sind Sie mit Ihren 32 Jahren der jüngste Chef von Haufe-umantis in St. Gallen?
Das schon, allerdings war Hermann Arnold 25, als er die Informatik und IT-Dienstleistungsfirma umantis im Jahr 2000 gründete.

Marc Stoffel, 32, studierte Wirtschaftsinformatik in Lichtenstein und schloss sein Studium 2005 mit einer Diplomarbeit über die Firma Umantis ab. Postgradual absolvierte er den Master of Business Administration. Zeitgleich begann er als Praktikant bei der damaligen Umantis, seit Juni 2013 ist er CEO von Haufe-umantis St. Gallen.