Veröffentlicht am 23.10.2013FOTO UND TEXT: Stefan Wichmann

Die Merktafeln machen die Stellensuchenden auf die wichtigsten Fakten einer Onlinebewerbung aufmerksam.

Vertrauen gegenüber dem PC wecken

Der Gump- und Drahtesel in Bern bietet Kurse für Stellensuchende mit geringen Computerkenntnissen an. Diese sollen niedrigqualifizierten Menschen Basiswissen am PC vermitteln und die Teilnehmenden auf die zunehmende Digitalisierung von Stellenanzeigen vorbereiten.

Beim Versuch, eine E-Mail-Adresse einzurichten, suchen die Augen von Roman Destani (Name geändert) jeden einzelnen Buchstaben auf der Tastatur. Destani ist gebürtiger Kosovare und hat sein Leben lang in der Baubranche gearbeitet. Einen Computer hat er dafür nie gebraucht, der Umgang mit der Tastatur ist daher ungewohnt.

Beim Gump- und Drahtesel in Bern absolviert Destani nun die «Kleine PC-Schule»: «Dieser Kurs ist sehr praktisch für mich. Meine Kinder bringen die Geduld nicht mit, um mich mit einem PC vertraut zu machen», sagt der Stellensuchende.

Viele Betroffene

Wie Roman Destani fühlen sich viele Menschen. Sie haben Berührungsängste mit dem Computer, denn sie arbeiteten jahrelang in Branchen, die keine PC-Kenntnisse erfordern. Gemäss Projektleiter Simon Blaser ist der Kenntnisstand der Teilnehmenden verschieden: «Manche haben 30 Jahre in der Baubranche gearbeitet und betreten mit dem Erwerb eines Computers Neuland. Andere bringen bereits Erfahrung mit und können dank dem modularen Aufbau der Kleinen PC-Schule individuell geschult werden.»

Der Gump- und Drahtesel, ein soziales Unternehmen im Bereich der beruflichen Integration, bewarb sich 2010 mit seinem Konzept der Kleinen PC-Schule für ein Förderprogramm von Microsoft und kam beim Computerriesen gut an.

«Unser Programm überzeugt durch seine unkomplizierte Umsetzung. Wir führen auch Teilnehmende ohne Computerkenntnisse Stück für Stück in die neue Materie ein», sagt Projektleiter Simon Blaser. Der Lehrgang kam 2011 so gut an, dass er ein Jahr später erneut finanzielle Unterstützung von Microsoft erhielt. «Mittlerweile haben wir über 6000 Teilnehmer geschult und kommen seit April 2013 ohne Fördermittel aus.»

Auf dem grossen Areal in Bern-Liebefeld sind neben den Werkstätten und anderen Angeboten des Gump- und Drahtesels (siehe Kasten) auch verschiedene Schulungsräume für die Computerkurse angesiedelt. Im Moment werden neun Teilnehmende im Kurs der Kleinen PC-Schule betreut.

Einführung in eine neue Welt

Auf Empfehlung der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren, die den Kurs finanzieren, können Interessierte einmal in der Woche grundlegende Fähigkeiten erlernen. So schreiben sie etwa ein Bewerbungsschreiben oder erstellen einen Lebenslauf. Mit Unterstützung von Zivildienstleistenden, die als Kursleiter arbeiten, tasten sich die Neulinge langsam an das unbekannte Wesen Computer heran.

Laut Simon Blaser ist eine Aussage über die Erfolgsquote allerdings schwierig: «Wir möchten den Teilnehmenden vor allem den Umgang mit Online-Stellenbörsen und Onlinebewerbungen beibringen.»

Michael Kroplewski ist einer der Trainer der Kleinen PC-Schule und leistet beim Projekt seinen Zivildienst. Für ihn ist der geduldige Umgang mit den Teilnehmenden Grundvoraussetzung beim Unterrichten: «Das Level im Kurs ist sehr unterschiedlich, oft ist das Erstellen einer E-Mail-Adresse schon eine Hürde. Wir nehmen uns aber die Zeit und betreuen jeden Teilnehmer individuell.»

Jeder neue Kurs beginnt mit einem Fragebogen zu den bestehenden Computerkenntnissen, je nach Ergebnis können die Teilnehmenden dann einzelne Schritte überspringen oder wiederholen. Die Unterlagen für das Programm sind bildhaft und logisch aufgebaut: Beginnend mit dem Anschalten des PC, dem Aufbau des Betriebssystems bis zum Arbeiten mit den Online-Stellenbörsen, erfolgt die Einführung in die Computerwelt schrittweise und behutsam.

Erste Erfolgserlebnisse

Roman Destani hat inzwischen seine eigene E-Mail-Adresse eingerichtet und sieht die Vorteile, die das Internet bietet: «Immer mehr Stellenausschreibungen sind nur noch online zu finden. Ich hoffe, jetzt schnell wieder eine Anstellung zu bekommen.» Als Nächstes fertigt er ein Schreiben inklusive Lebenslauf an, um sich gezielt auf Online-Inserate zu bewerben. Der Weg dahin ist aber noch lang, denn nicht nur die Tastatur hat ihre Tücken, auch der Umgang mit den verschiedenen Programmen und der Maus stellt sich als schwierig heraus.

Michael Kroplewski beweist grosse Geduld und nimmt sich Zeit, um den Teilnehmenden die Angst vor dem Schreiben am Computer zu nehmen. Die Kursunterlagen sind so aufgebaut, dass sie das Gelernte zu Hause nochmals in Ruhe üben können.

Jonas Stuber, der ebenfalls seinen Zivildienst beim Gump- und Drahtesel leistet, schaut Michael Kroplewski über die Schultern: «Ich habe heute meinen ersten Tag hier und übernehme den Kurs von Michael. Wir absolvieren unseren Ersatzdienst wochenweise und wechseln uns somit gegenseitig ab.» Auch Jonas Stuber strahlt Ruhe aus und nimmt den Teilnehmenden so den Druck.

Das Konzept der Kleinen PC-Schule beinhaltet keine Benotungen oder Tests, sondern baut darauf, Eigeninteresse bei den Teilnehmenden zu wecken. Ist die Hemmschwelle erst einmal überwunden, siegt die Neugier auf das Unbekannte, und die Schüler machen sich auf, das Internet als neue Informationsquelle zu entdecken.

Sozialer Charakter

So gesehen, hat jeder Kursbesucher ein persönliches Erfolgserlebnis und wird fortan in der Lage sein, die Vorteile der digitalen Medien für die Stellensuche zu nutzen. Die Unterlagen der Kleinen PC- Schule sind kostenlos verfügbar (siehe Kasten) und unterstützen damit den gemeinnützigen Charakter des Projektes. 

Simon Blaser hat bereits Anfragen von Programmleitenden aus anderen Ländern erhalten, die Interesse am Grundkurs bekundeten. Die Kursinhalte sind mittlerweile in deutscher und französischer Sprache verfügbar.

Für viele Stellensuchende ohne Computerwissen ist der Kurs ein Weg aus einer Sackgasse. So ist auch Roman Destani froh, am Projekt teilnehmen zu können: «Ich hätte nicht gedacht, mit meinen 54 Jahren noch einmal etwas vollkommen Neues zu erlernen.»

Projektleiter Simon Blaser ist sich sicher, auch in Zukunft ausreichend Interessierte für den Kurs zu finden: «Auch 2013 haben noch sehr viele Menschen keine oder mangelnde Computerkenntnisse. Der Bedarf besteht mit Sicherheit noch eine ganze Weile.»

Gump- und Drahtesel
Im Auftrag des bernischen Wirtschaftsamts Beco entwickelt und betreibt der Gump- und Drahtesel Abklärungs- und Qualifizierungsprogramme für Erwerbslose. Weitere Arbeits-, Bildungs- und Coachingangebote richten sich an IV-Versicherte sowie Sozialhilfebezüger. Insgesamt bieten die unterschiedlichen Programme 95 Plätze für Teilnehmende.
Velowerkstätten Seit 1993 sammelt, verarbeitet und exportiert das Programm «Velos für Afrika» ausgediente Fahrräder. Über 100 000 Velos haben die Verantwortlichen bereits von der Schweiz nach Afrika verschifft. Das Projekt stiftet dreifach Nutzen: Der Abfallberg in der Schweiz wird reduziert, durch das Velorecycling erhalten erwerbslose Menschen in der Schweiz einen befristeten Arbeitsplatz, und die Fahrräder sichern in Afrika Mobilität und Einkommen. In den verschiedenen Werkstätten besteht die Möglichkeit für Langzeitarbeitslose und IV-Bezüger, eine Ausbildung als Fahrradmechaniker abzuschliessen.
Verkaufsladen Gump- und Drahtesel betreibt einen eigenen Verkaufsladen. Der «Pico Bollo» in Bern-Liebefeld führt ein vielfältiges Sortiment von ökologischen Produkten aus der Produktion der Metallwerkstatt des Gump- und Drahtesels und aus anderen sozialen Werkstätten.
PC-Schule Diese Initiative lancierte der Gump- und Drahtesel 2010. Zwei Jahre lang förderten Microsoft und die Schweizerische Post das Projekt, inzwischen ist das Programm finanziell unabhängig. Die Kursunterlagen zur Kleinen PC-Schule sind auf einer Internetplattform kostenlos downloadbar. Beesmart.ch soll niedrigqualifizierte Stellensuchende mit dem Computer vertraut machen, den Umgang mit Internetjobbörsen erleichtern und Hilfe beim Erstellen von Bewerbungsunterlagen bieten. Die Trainingsmodule sind webbasiert und setzen somit keinen eigenen Computer voraus.
Auszeichnung 2009 erhielten der Gump- und Drahtesel und «Velos für Afrika» von der Schwab Stiftung die Auszeichnung als «Swiss Social Entrepreneur». Die Jury honorierte damit das soziale Engagement des Projektes.