25.04.2016
FOTOS UND TEXT: Ines Tanner

Bruno Syfrig zeigt einen Luftdrucksensor und das dazugehörige Messgerät.

Pneuwechsel

Vom Reifenhotel auf die Hebebühne

Die Zeiten, in denen sich Laien einen Wagenheber schnappten, Autos aufbockten und die Pneus selber wechselten, sind vorbei. Heute braucht es dazu einen ausgebildeten Reifenpraktiker mit technischem Wissen.

Der Frühling ist da. Die Zeit für den Reifenwechsel. Hochbetrieb also für Garagen. Das merkt auch Bruno Syfrig, Inhaber eines Pneuhauses im Zürcher Vorort Adliswil. In seiner sauberen, hellen und grossen Werkstatt erzählt er: «Es ist jedes Jahr zweimal dasselbe. Von März bis Mai und von Oktober bis November drängeln sich die Kunden.» Im Unterschied zum Winter herrscht aktuell aber deutlich weniger Hektik. Als Grund nennt Syfrig die vielen Menschen, die im Frühling noch in die Berge fahren, wo es deutlich kälter sei als in den Niederungen. Generell eile es mit dem Sommerfitmachen der Autos nicht so wie bei einem plötzlichen Wintereinbruch. Trotzdem stockt er während der Pneusaison seine Mannschaft jeweils um ein bis zwei Mann auf. Momentan arbeiten in seinem Betrieb fünf Angestellte. Davon befinden sich zwei in der zweijährigen Berufslehre als Reifenpraktiker. Gut ausgebildet müssen Syfrigs Mitarbeitende sein. Heutzutage reicht es nicht mehr, einfach die Räder abzuschrauben und durch andere zu ersetzen. Personen- und Lieferwagen, die ab November 2014 neu zugelassen wurden, sind obligatorisch mit einem Reifendruckkontrollsystem (RDKS) ausgestattet. Dessen Wartung verlangt vom Pneuwechsler fundiertes technisches Wissen.

Wellness für Räder

Der Reifendruck ist wichtig. Stimmt er, werden der Abrieb der Pneus und der Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge reduziert. Auch für die Sicherheit spielt er eine Rolle. Ist der Druck zu niedrig oder nicht optimal auf die Räder verteilt, bricht das Auto bei einer Schnellbremsung oder einem Ausweichmanöver eher aus als ein optimal versorgtes. Und alle Reifen verlieren Luft. Sie sind Naturprodukte und bestehen zu einem grossen Teil aus echtem oder künstlichem Kautschuk. Beigemischt sind ungefähr 20 weitere Zusatzstoffe wie Russ, Kohlenstoffe, Kreide, Öle und Harze. «Dadurch atmen sie», weiss Syfrig und rät, den Druck mindestens alle 1000 Kilometer zu kontrollieren. Augenzwinkernd gesteht er, dass auch er sich nicht immer an diese Richtlinie hält. Aber weitgehend. «Schliesslich weiss ich, wie wichtig das ist.» Nach dem Reifenwechsel des Fachmanns stimmt der Luftdruck natürlich.

Reifenpraktiker
Die Ausbildung zum Erlangen des eidgenössischen Berufsattests zum Reifenpraktiker dauert zwei Jahre. Vier Tage pro Woche arbeitet der Auszubildende in einem Lehrbetrieb, einen Tag besucht er die Berufsfachschule. Neben dem Reifenwechsel ist er in der Lage, Pneus zu reparieren und sie fachgerecht zu pflegen. Ausserdem kann er einfache Servicearbeiten an Personen-, Liefer- und Lastwagen selbständig ausführen.

Das gilt auch für Rasenmäher, Landwirtschaftsfahrzeuge und Motorräder. Deren Besitzer sind naturgemäss Sommerkunden und halten die Pneuhausangestellten auf Trab. Während der warmen Monate werden zudem sämtliche Pneus und Felgen, die im sogenannten Reifenhotel eingelagert sind, herausgenommen, kontrolliert, auf ihr Alter überprüft und gepflegt. «Auch sie brauchen Wellnessbehandlungen», sagt Syfrig schmunzelnd und relativiert: «Unsere Reifenpraktiker waschen sie, prüfen sie auf das Alter und allfällige Risse, sie wuchten sie aus und führen bei Bedarf Reifen- oder Felgenreparaturen aus.» Das schätzen die Kunden. Für viele sind Räder nicht bloss Räder, sondern etwas Wertvolles oder gar ein Schmuckstück.

In der Werkstatt türmen sich Sommerpneus. Sie sind bereit zum Montieren.

Kundenräder schlummern im Trockenen

Pneu und Räder wecken Emotionen. Die Jahreszeiten auch. Offenbar akzeptieren die Leute den Sommer eher als den Winter. Das wirkt sich auf die Arbeit im Reifengeschäft aus. Bruno Syfrig sagt: «Viele Menschen wollen sich nicht frühzeitig mit der kalten Jahreszeit auseinandersetzen. Ja zum Winter zu sagen, fällt schwer. Darum zögern Autofahrer den anfallenden Reifenwechsel oft so lange wie möglich hinaus. Dann kommt es zu Engpässen. «Es ist für uns und alle anderen Betriebe des Autogewerbes schlicht unmöglich, während des sechs bis acht Wochen dauernden Winterstresses alle Kunden zu bedienen. Wir brauchen mehr Zeit.» Syfrig erklärt, dass sein Gewerbe pro Autohebebühne rechne. An einer fertigen jeweils zwei Monteure ungefähr 25 Autos pro Tag ab. Je nach Fahrzeugtyp benötigen sie zwischen 15 und 30 Minuten. Bei einem Neunstundentag sind das bis zu 130 Autos pro Woche. Syfrig hat zwei Hebebühnen. 2000 Kundenräder schlummern im kühlen, dunklen und trockenen «Hotel». Um sie alle zu montieren, dauert der Reifenwechsel drei bis vier Wochen. Dazu kommen Neureifen und -kunden. Neben dem Kerngeschäft führen Syfrigs Mitarbeitende auch kleine Servicearbeiten aus. Sie wechseln Lampen, kontrollieren Flüssigkeiten, tauschen Batterien oder ersetzen Scheibenwischer. «Auch dafür muss das Personal ausgebildet sein. Es wäre fatal, wenn falsches Öl oder etwa Scheibenwaschmittel in den Bremsflüssigkeitsbehälter eingefüllt würde», sagt Syfrig, dreht sich um und zeigt einem Lehrling, wo sich das Batterieladegerät befindet.

Pneuwechselpreise
Lagerung für einen Reifensatz: ab 50 Franken für eine Saison.
Reifenwechsel für Pneus, die noch nicht auf Felgen aufgezogen sind: ab 24 Franken pro Reifen inklusive Auswuchten.
Reifenwechsel für Pneus auf Felgen: ab 14 Franken pro Pneu. Auswuchten inbegriffen.
Luftdrucksensor ersetzen: ab 75 Franken pro Rad.
Reparatur eines Lochs im Pneu: ab 28 Franken.