29.07.2015
FOTOS UND TEXT: Ines Schöne

Eine Gruppe Freiwilliger wirft handtellergrosse Steine auf das entstehende Heim für Eidechsen.

Corporate Volunteering Day

Teambildung im Weinberg

Eine Mulde graben, Sand aufhäufen, Steine schichten: Mitarbeitende von Kuoni Schweiz bauen eine Steinlinse im Weinberg. Die Freiwilligenarbeit fördert der Reiseanbieter zur Imagepflege, aus Verantwortung – und weil es Spass macht.

«Steine ausgraben, das ist ja fast wie Kinder gebären!», ruft eine junge Frau aus, während sie den Felsblock mühsam aus dem Sandhaufen hervorstemmt. Ihre Mitstreiterinnen lachen zustimmend. Einsatzleiter Gilbert Projer gräbt ein paar Meter weiter eine Mulde in den Wegesrand, wirft ihnen einen kurzen Blick zu und entgegnet schmunzelnd: «Na, euch möchte ich dann sehen!»

Es ist Corporate Volunteering Day von Kuoni Schweiz im Jurapark Aargau, einem Naturpark, der 26 Gemeinden umfasst. Oberhalb des Dorfes Villigen machen sich 25 Freiwillige im Weinberg nützlich.

Sie kommen aus verschiedenen Abteilungen des Hauptsitzes oder aus den Reisebüros. Während eine Gruppe die Reben pflegt, baut die andere einen Steinwall für Eidechsen, nach einem halben Tag wird getauscht.

Schaufel fassen und los  

Die Wegkreuzung am Hang ähnelt einem grossen Sandspielplatz. An der Abzweigung, einen knappen Meter oberhalb der Schotterstrasse, liegt der Weinberg.

Im Laufe des Tages wird hier eine Steinlinse entstehen, ein Heim und Nistplatz für Eidechsen.

Ihre natürlichen Lebensräume, in Steinbrüchen oder an Felsen, gehen in der Kulturlandschaft der Schweiz langsam verloren.

«Wir heben zunächst einen flachen Graben aus, um die Kurve», erklärt Gilbert Projer der Einsatzmannschaft und zeigt auf die Böschung vor den Reben. «Den Sand schütten wir auf einen Haufen, den wir später weiter sortieren, in gröberes und feineres Material: Sand, handgrosse und oberschenkelgrosse Steine.»

Auf der anderen Seite der Kreuzung liegen drei stark verästelte Wurzelblöcke. «Was mit denen passiert, erkläre ich euch später.» Eifrig machen sich die Freiwilligen ans Werk. Mit Hacken lockern sie den Boden auf und häufen die Erde mit Schaufeln an.

Drei Frauen bearbeiten den Sandhaufen. «Es ist ein Junge!», ruft die junge Frau im Scherz ihrem Kollegen zu. Der Felsblock ist aus dem Sand geboren. Der Arbeitskollege nimmt ihr den schweren Stein ab und trägt das «Baby» behutsam zum Haufen mit den Felsblöcken. Das Gros hat ein Bagger aus einem nahen Steinbruch herangefahren.

Der Natur etwas zurückgeben

Patrizia Wili macht das zweite Mal bei einem Corporate Volunteering Day mit. Die 30-Jährige ist Reiseexpertin bei Helvetic Tours Winterthur, einer Tochtergesellschaft von Kuoni. «Es ist wirklich eine gute Gruppe», kommentiert sie die unkomplizierte Zusammenarbeit. Annette Kreczy, 50, Mitglied der Geschäftsleitung und zuständig fürs Retail-Geschäft, ist positiv überrascht, dass «das Team einfach funktioniert, weil jeder intuitiv das Richtige macht».

Corporate Volunteering Day

Corporate Volunteering, auch Employee Volunteering, nennt man seit den Nullerjahren gemeinnützige Arbeit von Unternehmen. Diese stellen die Mitarbeitenden meistens für einen Tag frei, um gemeinnützige Arbeit zu verrichten.

Im Beispiel von Kuoni Schweiz organisiert die Abteilung Corporate Responsibility – Unternehmensverantwortung – den Tag. Bei Kuoni und seinen Tochtergesellschaften kann jeder, der möchte, mitmachen.

Das Netzwerk für Schweizer Naturpärke bietet gezielt Corporate Volunteering an, zum Beispiel unter dem Titel «Stein und Wein», an dem auch Kuoni teilnahm. 

Der Tag kostet die Firma etwa 100 Franken pro Person, inklusive Verpflegung. Am Veranstaltungstag werden die Freiwilligen von einem Vertreter des Parks, einem Bauleiter und dem Rebbauern bei der Arbeit geschult und begleitet.

Corporate Volunteering ist bei Schweizer Grossunternehmen wie Swisscom, Credit Suisse und anderen Firmen etabliert.

Die meisten Freiwilligen kennen sich erst seit einer Stunde, aber werkeln Hand in Hand. Was motiviert sie dazu? «Ich möchte der Natur etwas von dem zurückgeben, was der Mensch ihr genommen hat. Und in zweiter Linie zur Abwechslung draussen arbeiten und Tieren helfen», sagt Patrizia Wili. Kuoni stellt jedem Mitarbeitenden, der sich meldet, diesen Tag im Weinberg zur Verfügung. Damit die Arbeit im Büro nicht liegen bliebt, springen Kollegen für ihn ein.

Ökologische Schäden kompensieren

Kuoni nutzt den Event zur Imagepflege. Ein junger Filmemacher zeichnet die Arbeit auf, für einen Spot auf der Homepage. «Unsere Kunden kaufen gern bei einem Unternehmen, das sich sozial engagiert», sagt Verkaufsleiterin Annette Kreczy. Hinter der Imagepflege sieht sie Engagement aus Überzeugung. 

«Kuoni fördert die Verständigung der Kulturen. Durch den Einsatz von Flugzeugen oder den Bau von Hotels richtet unsere Firma auch ökologischen Schaden an. Dafür übernimmt sie Verantwortung.»

Als Beispiele führt Annette Kreczy die Schweizer Umweltstiftung MyClimate an, mit der Kuoni über klimaneutrales Reisen informiert sowie ihre Kunden zu Spenden aufruft, und die Förderung sozialer Projekte, wie Ausbildungen für benachteiligte Kinder.

Um solche Vorhaben kümmert sich die 2002 entstandene Abteilung für Corporate Responsibility, die auch den heutigen Tag organisiert hat.

Die Senke ist ausgehoben, und Beat Utiger erscheint auf der Bildfläche. Der Baubegleiter vom Verein Naturwerk, der mit dem Jurapark Aargau zusammenarbeitet, erklärt den Freiwilligen, wie sie die Steine stabil schichten und dabei genug Zwischenräume für Eidechsen lassen.

Der Bau einer Steinlinse im Jurapark AargauFotos: Ines Schöne

Am Rand zum Feldweg soll die Steinlinse aussehen wie ein Wall. Die Innenseite Richtung Weinberg können die Teilnehmenden frei gestalten, mit grösseren und kleineren «Wohnungen» für Zaun- und Mauereidechsen, Schlingnattern sowie einigen «zweistöckigen Lofts» für Igel.

Turmfalke «rüttelt» vergeblich

Die Arbeitenden stellen zwei Steine waagerecht auf, überdachen sie mit einem dritten und füllen dazwischen Blätter, Kies und Sand. Jetzt kommen auch die erwähnten Wurzelblöcke zum Zug, damit bewehren sie die Steinlinse. Katzen und andere Tiere werden von ihr ferngehalten. Pionierpflanzen wie Löwenschwanz, auch Herzheil genannt, und die Zweihäusige Zaunrübe wachsen hier gern. Auch Rosen gedeihen auf der sonnigen kalkigen Oberfläche. Etwa 30 Prozent beträgt die ideale Vegetationsdeckung einer Steinlinse, erfahren die Freiwilligen.

«Schaut mal nach oben», ruft Einsatzleiter Gilbert Projer. Gegen die Wolken hebt sich der Schatten eines Vogels ab, der auf der Stelle zu stehen scheint. Die Schwanzfedern abgespreizt, schnell flatternd und den Kopf gesenkt, sucht ein Turmfalke die Wiese am Waldrand nach Mäusen ab. Bei bedecktem Himmel, leichtem Wind und 15 Grad sind weder Eidechsen noch kleine Nagetiere auf Achse. Der «rüttelnde» Raubvogel geht leer aus.

Die Steinlinsenbauer geniessen die niedrige Temperatur und sind froh, dass das sommerliche Wetter der Vortage für einmal aussetzt. Ihre T-Shirts aus dicker Baumwolle mit dem Logo von Kuoni sind da das Richtige. Wanderstiefel, Jeans und Shirts färben sich im Laufe des Vormittags weiss, als die Freiwilligen die grösseren, hellen Steine zu einer Mauer anordnen. Passende Stücke zu finden, ist gar nicht so einfach, und die Konzentration im Team steigt.

Teamwork in stillem Einvernehmen

Während die scherzenden Frauen vom Morgen dazu übergehen, sich über ihre liebsten Reiseziele zu unterhalten, arbeiten eine junge Frau und ein junger Mann schweigend für sich, wobei sie mit halbem Ohr zuhören, was um sie vorgeht.

Er schult sein Auge bei der Suche nach dem perfekten Puzzleteil, sie belädt eine Schubkarre mit handtellergrossen Stücken und fährt sie an die Mauer heran. Zehn Ladungen wird die grobe Mauer im Laufe des Tages an Material schlucken. Irgendwann geht er ihr bei der Arbeit zur Hand, und sie arbeiten ohne viele Worte miteinander. Während einer Arbeitspause entspinnt sich zwischen ihnen ein Gespräch.

Ein Stück hangabwärts bereiten der Weinbauer und Besitzer des Weinbergs, Hansruedi Zimmermann, und seine Frau das Mittagessen zu. Es gibt hauseigene Burger vom mobilen Grill und verschiedene Salate. Auf den Zufahrtsweg haben sie fünf Biertische und Holzbänke aufgestellt. Zwei Rotmilane ziehen ihre Kreise oberhalb der Reben. Das Greifvogelpärchen braucht heute viel Geduld für die Nahrungssuche. Beide fliegen langsam leicht schwankend im Tiefflug, und die Federn ihrer Schwingen teilen sich im Wind.

Stillleben mit Hacke

«Was, schon Mittagessen?», fragt eine Kuoni-Mitarbeiterin, als Gilbert Projer die Pause ankündigt. Auch Patrizia Wili scheint noch nicht müde. Versunken in die Vorstellung von sonnenbadenden Reptilien, hat sie die Zeit vergessen.

Foto: Ines Schöne

«Wir haben die Arbeit nie vorher gemacht, und wir kannten uns nicht. Als absolute Laien haben wir es geschafft, eine akzeptable Steinlinse zu bauen.»

Annette Kreczy

Jeder legt sein Werkzeug hin, klopft sich den Staub von den Klamotten und zieht die Handschuhe aus. Schubkarre, Pickel, Schaufeln und Harken fügen sich mit der Mauer zu einem Stillleben. «Noch nicht ganz fertig, aber sieht doch schon ganz wohnlich aus», lautet ein zufriedener Kommentar.

Der Himmel ist grau durchzogen, wie mit einem wässrig-dunklen Tuschepinsel eingefärbt. Die Weinreben haben armlange hellgrüne Triebe, die sich farblich von der rotbraunen Erde abheben. Tiere sind nicht zu hören, dafür das Rauschen der Autobahn weiter hinten im Tal und der benachbarte Weinbauer, der auf seinem Rasenmäher durch die Reihen fährt.

Nach dem Mittagessen tauschen die zwei Gruppen ihre Arbeitsplätze, Steinlinse gegen Pflege der Reben. Weinbauer Hansruedi Zimmermann arbeitet mit. Annette Kreczy schätzt es, wie entspannt er ist. «Ein normaler Winzer würde mir wohl nicht erlauben, einfach so in seinem Weinberg herumzuwerkeln.» Die Gruppe soll die Pflanzen auslauben, das heisst die alten Blätter auf Hüfthöhe entfernen und dann die frischen Triebe in die auf Kopfhöhe gespannten Drähte einschlaufen.

Natürliche Klimaanlage

Über die langen grünen Ranken hinweg entstehen Gespräche. Schon ist es 16 Uhr. Wer die Reben gepflegt hat, möchte jetzt wissen, wie die Steinmauer weitergewachsen ist. Patrizia Wili ist zufrieden mit dem vollendeten Werk, das sich vor ihr ausbreitet. «Ich habe es gern, wenn Sachen abgeschlossen sind.» Auch Annette Kreczy staunt: «Wir haben die Arbeit nie vorher gemacht, und wir kannten uns nicht. Als absolute Laien haben wir es geschafft, eine akzeptable Steinlinse zu bauen.»

Von aussen sieht diese aus wie ein gewöhnlicher Wall. Wer sie gebaut hat, schaut sie aber mit anderen Augen an. Eidechsen werden sich tagsüber auf den flachen, hellen Steinen sonnen können, die gespeicherte Wärme noch bis spät am Abend abgeben können. Am Morgen lockt das Holz der Baumstümpfe, das schnell warm wird, die Tiere an die Sonne.

Ihr verästeltes Wurzelwerk hält Feinde von der Mauer ab, genau wie die Rosen, die über kurz oder lang auf der Steinlinse wachsen werden, oft besucht von Insekten, die den Reptilien als Nahrung dienen.

Nachts können sich die Eidechsen in ihre Behausungen im Innern zurückziehen, das selbst im Winter in Erdnähe trocken und frostsicher sein wird. 

«Jetzt könnt ihr eure Namen auf diesen Stein schreiben und in 30 Jahren euren Enkelkindern zeigen, was ihr heute geleistet habt.» Gilbert Projer zieht einen Spezialstift aus der Tasche. Sein Angebot wird gern angenommen.

Nach dem Freiwilligen-Tag ist vor dem Freiwilligen-Tag

Am späten Nachmittag blitzen ein paar Sonnenstrahlen durch die Wolkendecke, und die Weinberge schillern in Gelb- und Grüntönen. Der eine oder andere blättert in den Prospekten des Juraparks, die etwa zu einer kulinarischen Wanderung auf der Genuss-Strasse einladen.

Annette Kreczy und Patrizia Wili geniessen ein Glas frischen Silvaner aus dem Keller von Winzer Hansruedi Zimmermann. Sie lassen ihren Blick über das Tal gleiten. Woran denken sie jetzt? «Die Tiere haben jetzt einen Unterschlupf. Das ist ein gutes Gefühl», sagt Patrizia Willi.

«Ich möchte zu gern in ein paar Monaten vorbeikommen und schauen, ob der Igel wirklich da war», ergänzt Annette Kreczy. Sie spinnt den Faden weiter. «Wenn ich an die Verwüstung nach den Regenfällen in Dierikon bei Luzern denke, wünsche ich mir, das nächste Mal dorthin zu fahren.»