31.01.2017
TEXT: Albert JörimannVIDEO: Albert Jörimann

Mehr_als_Werkstatt

Freiwilligenarbeit

Werkstatt für alle

In der Zürcher Baugenossenschaft «Mehr als Wohnen» bündeln Quartiergruppen die Interessen der Bewohnenden. Eine davon betreibt das Projekt «Mehr als Werkstatt» mit Elektrogeräten, Schreinerei, Velowerkstatt und Nähmaschinen.

Die Ziele von «Mehr als Wohnen» in Zürich sind vor allem in den Bereichen Ökologie und soziales Zusammenleben höher gesteckt als bei traditionellen Baugenossenschaften. So soll die Überbauung noch im Jahr 2017 als 2000-Watt-Areal zertifiziert werden. Interessen, Aktionen und Interaktionen der Bewohnenden bilden ebenfalls so etwas wie eine Grundhypothese des Projektes, wobei die Verantwortlichen hauptsächlich auf die Eigeninitiative der Genossenschafterinnen und Genossenschafter setzen, durchaus im Gegensatz zu ersten Konzeptpapieren des bekannten Urbanisten Hans Widmer. Dieser hat seit den 1980er-Jahren unter dem Pseudonym PM zahlreiche Texte zu neuen Wohn- und Arbeitsformen publiziert und befürwortet ein verpflichtendes Minimum an Einsätzen für die Gemeinschaft, zum Beispiel zwei Stunden pro Person und Monat.

Jedenfalls sind zahlreiche Quartiergruppen entstanden, in welchen ganz unterschiedliche Menschen mit gleichen Interessen zusammenfinden. Eine davon ist die Quartiergruppe «Mehr als Werkstatt», die sich schon vor dem Abschluss der letzten Bauarbeiten auf dem Hunziker-Areal gebildet hatte. Die ersten Sägespäne flogen in einer Baracke neben der Baustelle, und seit April 2016 stehen die Einrichtungen im Erdgeschoss des «Schrebergarten» genannten Hauses an der Hagenholzstrasse 106 bereit zur Nutzung.

Werkzeuge und Maschinen gemeinsam nutzen

Das Ziel von «Mehr als Werkstatt» ist es, allen Bewohnenden unentgeltlich einen Raum mit verschiedenen Maschinen im handwerklichen Bereich zur Verfügung zu stellen, von einer Veloreparaturstelle über ein kleines Nähatelier bis zu den Werkbänken, wo elektromechanische Geräte repariert und Schreinerarbeiten ausgeführt werden können.

Das ganze Angebot hat der harte Kern der Gruppe in reiner Freiwilligenarbeit auf die Beine gestellt. Dank der Bereitstellung eines Allmendraumes, Spenden und dem Genossenschaftsfonds zur finanziellen Unterstützung der Einrichtungen und Veranstaltungen kam ein ansehnlicher Werkzeugpark zusammen. Zur Betriebsgruppe gesellt sich eine «Schlüsselgruppe», deren Mitglieder über einen Schlüssel des Lokals verfügen und dafür sorgen, dass die Werkstatt so lange wie möglich offen zugänglich ist. Gleichzeitig wachen sie darüber, dass keine Werkzeuge und Geräte verschwinden. Auch dies ganz und gar unentgeltlich. Dafür füllen sie ihre Präsenzzeiten oft damit, ein eigenes kleines handwerkliches Projekt in der Werkstatt zu realisieren.

Im Nebenraum hat eine weitere Interessengruppe einen «Co-Working-Space» mit Gratisarbeitsplätzen eröffnet, konkret einfach ein paar Tische und Stühle sowie ein WLAN. Wer seine Hausaufgaben nicht in den eigenen vier Wänden erledigen möchte, kann sich hier einklinken. Gleichzeitig nutzt «Mehr als Werkstatt» einen Teil der Fläche für ruhigere Arbeiten, namentlich beim Schneidern und Nähen.

Reparieren statt wegwerfen

Auch die Quartiergruppe «Mehr als Gemüse» hat sich in der Werkstatt niedergelassen, in einem Holzverschlag, wo die Hobbygärtner Erzeugnisse aus eigenem Landbau lagern und abholen können. In einem gewissen Sinne ist schliesslich auch die Gemüsegärtnerei eine Form von Handwerk. Dieses Angebot wird ergänzt durch das Kühlregal des Biomilchproduzenten Basimilch, der hier seine Produktelieferungen deponiert. 

Mehrmals im Jahr findet in der Regel an einem Wochenende ein «Repair Café» statt. Diese Anlässe dienen dazu, kaputtgegangene Gegenstände zu flicken, wie der Name sagt. Hier zeigt sich die Gemeinsamkeit aller Mitglieder der Quartiergruppe vielleicht am klarsten: Sie verweigern sich der Wegwerfmentalität und lehnen die Auswüchse der Konsumgesellschaft ab, zum Beispiel den systematischen Einbau von Schwachstellen in industrielle Gebrauchswaren oder den Hype, immer das jeweils neueste Produkt kaufen zu müssen und die nicht mehr topaktuellen Modelle in den Kehricht zu stopfen.

Auch der Betrieb einer gemeinsamen Werkstatt geht in diese Richtung: Weshalb soll ein jeder eine eigene Schlagbohrmaschine kaufen, die sie oder er doch nur alle drei Jahre einmal benutzt? Klüger ist es, wenn die Gruppe eine solche Investition gemeinsam tätigt – und anschliessend durch eine kluge Regelung dafür sorgt, dass sich die Benutzerinnen und Benutzer nicht in die Haare kriegen. 

So ist «Mehr als Werkstatt» zu einer Mischung geworden aus einem Ort, wo der Verschleiss reduziert wird, zum anderen zu einer Begegnungsstätte, wo neue Kontakte entstehen und alte gepflegt werden, und drittens produzieren die Benutzerinnen und Benutzer hier immer wieder neue Dinge aus eigener Kreation und eigener Arbeit. Und das sind sowieso und immer die allerschönsten Objekte.