23.11.2015
FOTO UND TEXT: Caspar Türler

Kaffee unterwegs oder im Büro? Hier lassen sich Verpackung und Geld sparen.

Umwelttrends

Potenzial mit Hindernissen

Kunststoffe prägen unser Leben: Geräte, Möbel, Kleider, Verpackungen. Abgesehen von PET-Flaschen landet das meiste davon irgendwann im Müll, auf der Strasse oder in der Umwelt. Was ist Kunststoff überhaupt, welche Mengen verbrauchen wir, und wäre mehr Recycling sinnvoll? Eine Woche (Selbst-)Analyse.

Bequemlichkeit und Blackbox

Montag. Auf dem Weg zwischen Bahnhof und Arbeitsplatz fallen mir wie so oft Verpackungen auf: Tüten, Folien, Dosen, Becher und Flaschen. Achtlos weggeworfen oder neudeutsch «Littering», die Kehrseite unserer mobilen Konsumwelt. Zugegeben, auch ich nutze das Verpflegungsangebot unterwegs, doch der Weg zur nächsten Mülltonne war mir noch nie zu weit. Am Kiosk an der Ecke kaufe ich einen kalten Kaffee zum Mitnehmen. Das Trendgetränk schmeckt und befriedigt mein Bedürfnis. Doch im Büro angekommen, ärgere ich mich innerlich: Der Becher vom Kiosk war dreimal so teuer wie ein Espresso aus unserer Kaffeemaschine, und ich habe erst noch Abfall produziert, statt eine Porzellantasse zu verwenden. Wieso lasse ich Bequemlichkeit über Vernunft siegen? Und könnte man neben PET- und Milchflaschen das formbare Verpackungsmaterial — umgangssprachlich «Plastik» — nicht in grösserem Umfang wiederverwerten?

Ich beschliesse, eine Woche lang zu testen, wie viel Plastik ich und meine Familie draussen und zuhause (ver)brauchen. Gefühlt macht es mehr als die Hälfte des 35 Liter fassenden Abfallsacks aus, den wir jede Woche entsorgen. Statt den Kaffeebecher wegzuwerfen, hebe ich ihn also auf, genau wie die über Mittag anfallende Sandwichbox, Joghurtverpackung und Wasserflasche. Beim Abendessen überzeuge ich meine Frau und die beiden Kinder, beim Experiment mitzumachen, und verspreche, die Verpackungen vor dem Sammeln zu waschen. Fleisch-Vakuumschale, Folienüberzug des Gemüses, Pastabeutel — statt wie gewöhnlich in die Blackbox des Mülleimers kommt die bunte Mischung nun in einen grossen Papiersack: Ich bin gespannt, was bis Sonntag zusammenkommt.

Was werfe ich hier eigentlich weg?

Dienstag. Heute will ich wissen, was mit Plastik im Hausmüll weiter geschieht. Leta Filli, Leiterin Kommunikation von Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ), antwortet auf Anfrage, dass ERZ den Kunststoffabfall im Hauskehricht vor dem Verbrennen aus Kostengründen nicht trennt. Denn Plastik könne bei ERZ nur von Hand und nicht mit physikalischen Verfahren aussortiert werden. Aus dem Abfall gewinnt ERZ Strom und Fernwärme für tausende von Haushalten. Filli spricht denn auch nicht von Kehrichtverbrennungsanlagen (KVA), sondern von Kehrichtheizkraftwerken. Weiter betont sie, dass ERZ in den Recyclinghöfen separat Plastikflaschen aus PET, PE und PP zurücknehme, um sie in einem möglichst regionalen Kreislauf stofflich zu verwerten. So weit, so gut. Doch erst einmal fragt sich der Laie: PET, PE, PP, was bedeuten diese Abkürzungen? Woraus besteht Kunststoff, und gibt es Verbrauchszahlen dazu?

Die wichtigsten Massenkunststoffe (zirka 90 Prozent der weltweiten Jahresproduktion von rund 150 Millionen Tonnen), ihre Recycling-Codes und Anwendungen sind:

(1) PET = Polyethylenterephthalat. Getränkeflaschen, Zahnräder, Sicherheitsgurte, Implantate, Geräteteile, Schrauben, Federn, Lager.
(2) PE-HD = Polyethylen, hohe Dichte. Gehäuse, Eimer, Schüsseln, Kunstholz.
(3) PVC = Polyvinylchlorid. Bodenbeläge, Dichtungen, Schläuche, Kunstleder, Tapeten, Fensterrahmen. Wegen giftiger Chlorbestandteile kaum rezyklierbar.
(4) PE-LD = Polyethylen, tiefe Dichte. Folien, Tuben.
(5) PP = Polypropylen. Lebensmittelbehälter, Möbel, Kunstrasen, Koffer, Geräte, CD-Hüllen.
(6) PS = Polystyrol. Styropor, Isolierungen, Schalter, Becher, Folien, Spielzeug, Kassetten.
Andere: rund 200 weitere Plastikarten wie Polyurethan (Schaumstoff), Polycarbonat, Nylon, Acrylglas etc.

Vielfältiges Hightech-Material

Kunststoffe oder Polymere bestehen aus langen Ketten von Molekülen, die man zum Teil durch chemische Umwandlung aus nachwachsenden Naturprodukten wie Gummibaumsaft und Cellulose gewinnt, aber vor allem aus fossilen Rohstoffen zusammensetzt.

Wie die Bezeichnung «Kunststoff» nicht a priori vermuten lässt, wird das Hightech-Material überwiegend durch das Spalten von Erdöl und durch die Synthese von Zwischenprodukten hergestellt.

Quelle: Wikipedia

Beim Bundesamt für Umwelt (BAFU) werde ich fündig. Wie Michael Hügi, stellvertretender Chef der Sektion Abfallbewirtschaftung, ausführt, verbraucht die Schweiz gemäss den letzten Schätzungen jährlich gut 1 Million Tonnen oder 125 kg Kunststoff pro Kopf. Je nach Verwendung sind Kunststoffe nur kurz oder über Jahrzehnte in Gebrauch. Durchschnittlich werden jährlich rund 780 000 Tonnen entsorgt. Nur etwa 10 Prozent des gesamten Kunststoffabfalls werden rezykliert (siehe Grafik unten).

Um herauszufinden, ob der Recyclinganteil sinnvoll erhöht werden kann, treffen sich im Auftrag des BAFU seit fünf Jahren die Behörden und privaten Interessenvertreter an einem Runden Tisch für Plastikrecycling. Ein abschliessender Bericht wird in den kommenden Monaten erwartet. Michael Hügi unterstreicht, dass im Ausland zwar mehr Kunststoffe eingesammelt würden. Die effektive stoffliche Verwertung ist dort jedoch geringer. Prozentual dürfte die ausländische Recyclingausbeute beim Plastik deshalb gemäss Michael Hügi etwa derjenigen der Schweiz entsprechen. In puncto Ökobilanz seien beim Kunststoff nicht nur die Wiederverwertbarkeit und der hohe Brennwert positiv zu betrachten, sondern auch die Herstellungsenergie (graue Energie), welche durch Recyclingprodukte eingespart werden kann.

Entsorgter Kunststoff
25 Prozent sind Baukunststoffe, 37 Prozent Verpackungen, und 15 Prozent fallen in Fahrzeugen und Geräten an, der Rest in diversen Bereichen. Von den 780 000 Tonnen Abfall landen 635 000 Tonnen direkt in der Kehrichtverbrennung. 145 000 Tonnen werden gesammelt, sortiert und aufbereitet. 50 000 Tonnen davon sind Mischkunststoffe und dienen als Brennstoff in Zementwerken, sparen also fossile Energieträger ein. 90 000 Tonnen werden stofflich rezykliert. Bleiben 15 000 Tonnen, die bei Aufbereitung und Recycling nicht genützt werden können und darum ebenfalls in die KVA gehen. (Modellierung für das Jahr 2010.)
Quelle: Projekt «Kunststoff-Verwertung Schweiz», Bericht Module 1 und 2, BAFU 2011.

Schwierige Fraktion

Mittwoch. Wir sind eine Familie von Joghurtessern: ein ganzes Tablar in unserem Kühlschrank nimmt die weissen Becher aus Polypropylen auf. Bestimmt könnte man mehr Plastik recyceln, wenn die Konsumenten die einzelnen Arten korrekt zuordnen und gesammelt abgeben würden, denke ich mir. Sortenreine Wertstoffe bezeichnet man in der Abfallwirtschaft als «Fraktionen». In der Schweiz sind die Rückläufe der Fraktionen Glas (94%), Metall (91%), Elektronikschrott (90%), PET (80%) und Papier (70%) beachtlich. Doch «beim Sammeln von Plastikabfällen sind die Schweizer richtige Flaschen», fand das SRF-Nachrichtenmagazin «10 vor 10» Anfang April 2015.

Wie der Dachverband Swiss Recycling erklärt, ist das Problem bei den Kunststoffen die Heterogenität. Je gemischter das Sammelgut, desto schwieriger die Aufteilung in Fraktionen und desto höher die Kosten. Weder die Kehrichtentsorgung noch die Konsumenten können die Dutzende von verschiedenen Kunststoffen mit vertretbarem Aufwand aussortieren. Bleibt also nur die gemischte Sammlung und spätere Auftrennung durch private Anbieter.

Private Initiativen

Donnerstag. Genau so eine Sammelmöglichkeit für Plastikabfälle fiel mir in den letzten Ferien in Deutschland auf: der sogenannte Gelbe Sack. Wie bei uns Tex-Aid und andere Separatsammlungen von Alt-Kleidungsstücken wird dieser zusätzliche Beutel von der Abfuhr mitgenommen oder kann in Wertstoffsammlungen abgegeben werden. Dank privaten Initiativen gibt es seit wenigen Jahren auch in der Schweiz Möglichkeiten, die über das bestehende PET- und Milchflaschen-Recycling hinausgehen. Neben lokalen Recyclingfirmen vertreiben die Anbieter Baldini aus Altdorf (UR) und InnoRecycling aus Eschlikon (TG) in der Deutschschweiz Sammelsäcke für gemischte Plastikabfälle. Die Säcke werden teils von den Konsumenten abgegeben, teils vom Anbieter und von Partnern eingesammelt. Anschliessend werden die Kunststoffe getrennt – bei Baldini manuell, bei InnoRecycling maschinell im grenznahen Ausland.

Das Modell rechnet sich gemäss den Anbietern: Die Konsumenten zahlen für die Sammelsäcke, und die Industrie zahlt für die produzierten Kunststoffgranulate und Brennstoffe. Im Gegenzug fallen natürlich Kosten für Transportwege, Sortier- und Reinigungskosten an. Das funktioniert allerdings nur, solange die angelieferten Stoffe nicht zu stark verschmutzt sind oder aus mehreren Kunststoffen bestehen, wie etwa Zahnbürsten. Aus diesen Gründen wurden oder werden einzelne Pilotversuche mit Plastikrecycling wieder eingestellt, wie zum Beispiel in der Stadt Zug.

Wegwerfen oder nicht?

Unter der Abfallempfehlung für die Verpackung eines Stücks Aprikosenwähe versteckt sich das PET-Symbol. Wo das Angebot vorhanden ist, kann der Konsument unter Umständen billiger rezyklieren: Am 1. Oktober 2015 lancierten der Zweckverband Abfallverwertung Bazenheid und der Verband KVA Thurgau eine einheitliche Mischkunststoffsammlung in 100 Ostschweizer Gemeinden. Der 60-Liter-Sammelsack kostet hier zwei Franken, deutlich weniger als ein Kehrichtsack gleicher Grösse.

Markus Tonner, Geschäftsführer von InnoRecycling, bleibt dabei, dass die Schweiz ein Rohstoffland ist, was das Potenzial des weggeworfenen Kunststoffs angeht. Nach Studien von InnoRecycling könnten mehr als 50 Prozent davon wiederverwertet werden. Das rechnet sich ökologisch, denn beim Verbrennen eines Kilos Kunststoff entstehen rund 2,8 Kilo Kohlendioxyd. Zudem spart 1 Kilo Recyclingkunststoff bis zu 3 Liter Rohöl ein, die es für die Herstellung eines neuen Kilos Plastik braucht. Nach seinen Berechnungen müssten bei entsprechender Infrastruktur und Sammelwillen der Bevölkerung in der Schweiz bis zu 250 000 Tonnen weniger fossile Rohstoffe eingeführt werden, als für die aktuelle Plastikproduktion und Zementherstellung nötig wären.

Das tönt gut. Doch was heisst wiederverwerten konkret? Aus gebrauchten Joghurtbechern und Verpackungsfolien entstehen nicht etwa neue. Aus der einen Hälfte des gesammelten Kunststoffs werden Produkte im Non-Food-Bereich, wie Profile, Rohre, Kabel, Säcke und Abdeckfolien. Die andere Hälfte dient als Brennstoff für Zementwerke und ersetzt dort die dreckige Kohle.

Für die Fraktionierung und Weiterverarbeitung von gemischten Kunststoffen sorgen spezialisierte Betriebe, die es in der Schweiz (noch) nicht gibt. Das nächstgelegene Sortierwerk, das verschiedenste Plastikarten mittels Infrarot-Scanning zu 95 Prozent automatisch erkennt, steht in Vorarlberg. Via InnoRecycling arbeiten auch Coop und Migros mit dem Werk zusammen. Sie nehmen seit Ende 2012 an immer mehr Verkaufsstellen Lebensmittelflaschen (Milch, Saucen, Essig und Öl) sowie Behälter für Wasch- und Reinigungsmittel entgegen. Die lokalen Anbieter ziehen nach: Seit Anfang 2014 steht in Frauenfeld die erste Plastikflaschen-Sortieranlage der Schweiz, und im Frühling 2015 erfolgte der Spatenstich für ein zweites Sortierzentrum im Waadtland.

Die PET-Sammlung ist eine Erfolgsgeschichte. Foto: Nana do Carmo

PET- und andere Plastikflaschen

Freitag. Die Zeitschrift «PET-Flash», Ausgabe Oktober 2015, jubelt: 25 Jahre PET-Recycling in der Schweiz. Jährlich werden über 80 Prozent der zirka 1,5 Milliarden in der Schweiz in Verkehr gebrachten Flaschen an über 40 000 öffentlichen und privaten Sammelstellen zurückgegeben. So kommen rund 38 000 Tonnen PET zusammen – was allerdings nur knapp 5 Prozent des gesamten Plastikverbrauchs in der Schweiz ausmacht. Immerhin: PET lässt sich relativ einfach wieder als PET verwenden beziehungsweise zu Kleidern, Duvetfasern oder Taschen verarbeiten. Eine unbestrittene Erfolgsgeschichte. Auch andere Kunststoffe lassen sich problemlos wiederverwenden, nur wird die Rücknahme nicht vorfinanziert. Das PET-System wird durch einen seit 1991 auf jede Einwegflasche erhobenen, vorgezogenen Recyclingbeitrag (vRB) von 1,8 bis 2 Rappen bezahlt.

Patrik Geisselhardt, Geschäftsleiter von Swiss Recycling, begrüsst die Entwicklung zu mehr Recyclingbewusstsein. Swiss Recycling überprüft derzeit die Angebote zur Gemischtsammlung. Beim Sammeln von Kunststoffen über Flaschen hinaus ist Geisselhardt wichtig, dass Standards bezüglich der Verwertung (zum Beispiel der Anteil der stofflichen Verwertung) gesetzt werden und dass die Mengenströme entsprechend transparent sind. Das BAFU empfiehlt den Gemeinden bisher, mit einer Sammlung von gemischten Kunststoffabfällen aus Haushalten zu warten. Die Kosten für Sammlung, Transport und Trennung seien noch zu hoch. Was nicht ist, könnte aber noch werden — spätestens dann, wenn die Rohstoffpreise steigen.

Ökologisch einkaufen?

Samstag. Heute steht wieder der Grosseinkauf an. Doch statt zum Einkaufscenter zu fahren, gehe ich auf den Markt und in den Bioladen. Erstaunlicherweise ist auch hier vieles in Plastik verpackt, vor allem Kleingebäck und Trockenfrüchte. Plastik-Einkaufsbeutel sucht man hier zwar vergebens. Und die Taschen aus Jute sind der leichteren und bedruckbaren aus Baumwolle gewichen. Die meisten offenen Produkte werden in Papiertüten verpackt, genau wie auf dem Strassenmarkt. Statt nur eine Einkaufstüte aus Plastik wiederzuverwenden, könnte ich auch Behälter für meine Einkäufe mitbringen, überlege ich mir. Doch das Nachfüllen wie vor 80 Jahren ginge mir zu weit, da müsste man den Einkauf ja minutiös vorplanen. Die Normalität ist heute eine andere. Meist stehe ich im Supermarkt vor Gestellen mit hygienisch in Kunststoff abgepackten Nahrungsmitteln und frage im Zweifelsfall per Handy nach, was wir noch brauchen.

Sonntag
Vier Personen verbrauchen in einer Woche eine Menge Kunststoffe. Fotos: Caspar Türler

Umdenken zur Ressourcenschonung

Sonntag. Zeit, Bilanz zu ziehen. Als Unterlage für unsere Plastiksammlung eignet sich unsere Weltkarte aus Filz. Schliesslich wird Plastik auf der ganzen Welt weggeworfen und landet vielfach in den Ozeanen – aber das ist ein anderes Kapitel. Nach der Aufnahmeserie (jedes Foto entspricht einem Wochentag) legen wir PET- und Milchflaschen ins Körbli, der Rest kommt in die Einkaufstüte. Sie ist randvoll und wiegt rund 1,5 Kilogramm. Was passiert nun damit? Da wir nicht in der Nähe einer Mischplastik-Rücknahmestelle wohnen, wandert das Plastik wohl oder übel in den Abfall, um den 35-Liter-Sack zu füllen. Ohne Plastik würde dieser bestimmt erst in zwei oder drei Wochen voll sein. Das Problem ist nur, dass der Sack vorher streng zu riechen beginnt!
Fazit: Bei entsprechender Infrastruktur würde ich Plastik vom restlichen Müll trennen, denn sinnvoll ist der schonende Umgang mit Ressourcen auf alle Fälle. Bis dahin werde ich versuchen, schon beim Einkaufen auf weniger Plastik zu achten.